Zwei Schwestern der Helferinnen erzählen von ihrer Arbeit in der Krankenseelsorge

Kranke besuchen

Veröffentlicht am 10.03.2016 um 00:01 Uhr – Von Sr. Julia Eder SA und Sr. Claudia Valk SA – Lesedauer: 
Fastenimpuls

Bonn ‐ Während der Fastenzeit im Heiligen Jahr stellt katholisch.de die Werke der Barmherzigkeit vor. Sieben Ordensleute erzählen dazu von ihrer Arbeit. Heute berichten zwei Schwestern der Helferinnen von ihrem Einsatz in der Krankenseelsorge.

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Wegschauen: "Ich kann keine Krankenhausluft vertragen." - "Kranke sind ansteckend, wenn nicht körperlich, dann seelisch: Sie ziehen mich runter." - "Ich will nicht daran denken, dass mir das auch passieren könnte." - "Ich schiebe den Besuch bei Christian* schon seit Wochen vor mir her."

Hinschauen: "Ich schaue mal zu ihm hin", "ich besuche ihn." So steht es wörtlich im griechischen Originaltext des Neuen Testamentes: "Krank war ich, und ihr habt auf mich geschaut." Wie der barmherzige Samariter: hinschauen, sich das Leid des Verletzten zu Herzen gehen lassen, zu ihm gehen, mit ihm in Berührung kommen, sehen, was er braucht. Zeit, Mittel, Nähe geben…

Er "erbarmte sich" über ihn

Der Samariter lässt sich das Leid des Verwundeten "an die Nieren, an die Eingeweide" gehen - das ist die genaue Übersetzung von: Er "erbarmte sich" über ihn. Und wie im Wort "Barmherzigkeit"  im Deutschen das Wort "Herz" steckt, so im Hebräischen das Wort für "Mutterschoß". Kranke besuchen ist eines der leiblichen Werke der Barmherzigkeit. Es geht darum, sich wie eine Mutter in einen Kranken einzufühlen. 

Schwester Claudia Valk SA
Bild: ©Claudia Valk

Schwester Claudia Valk von der ignatianisch geprägten Kongregation der Helferinnen hat viele Jahre als Krankenhausseelsorgerin im Raum Aachen gearbeitet. Heute ist sie Studentenseelsorgerin in Leipzig.

Wenn Sie als Kind krank waren, hat Ihre Mutter oder eine andere Person für Sie gesorgt: Was hat Ihnen da gut getan? Etwa: Dass sie die Hand auf Ihre Stirn gelegt hat, sie mit Medikamenten und bekömmlichen Speisen und Getränken versorgt hat, Sie gepflegt, mit Ihnen gespielt, einfach an Ihrem Bett gesessen hat. Und auch, dass Sie bei ihr weinen und klagen konnten, dass Sie ihr wichtig waren - in ihren Gedanken und Gefühlen, dass sie Ihnen in allem Unbekannten und Verstörenden der Krankheit Halt gegeben hat als vertrauter und verlässlicher Mensch.

Liebevolle Besucher, Pflegende in der Familie oder im Krankenhaus, Krankenhausseelsorger - sie alle bieten mit ihrer Aufmerksamkeit den Kranken einen Raum an, wo sie sich ihr Leid von der Seele reden können. Sie vermitteln ihnen, dass sie nicht vergessen sind. Besucher bringen zum Ausdruck, dass die Kranken noch immer zu einer Gemeinschaft gehören: zur Familie, zum Kollegium, zur Kirchengemeinde, zum Freizeitclub. Die Besucher sind das Bindeglied zwischen der Welt draußen und der Welt der Kranken: Sie bringen Neuigkeiten und gute Wünsche von anderen. Ihre kleinen Geschenke wie Blumen oder ein Parfum halten die Begegnung über die Zeit ihrer Anwesenheit hinaus lebendig.

Die Besucher unterbrechen die Monotonie des Tagesablaufs des Kranken, können ihn auch mit passendem Humor würzen und erleichtern. Freilich gibt es auch Dinge, die nicht oder nur schwer angenommen werden können - Rätselhaftes, Dunkles, Leiden, das nicht geheilt oder gemildert werden kann. Es geht darum, dieses Leiden anzuerkennen und zu würdigen, welche Lebensleistung der Kranke erbringt, indem er diese Schmerzen, diese Dunkelheit erträgt und sie durchlebt. Dann ist es unsere Aufgabe als Besucher und Pflegende nicht fortzulaufen, sondern mit auszuhalten.

Themenseite: Heiliges Jahr

Vom 8. Dezember 2015 bis zum 20. November 2016 findet das von Papst Franziskus ausgerufene "Heilige Jahr der Barmherzigkeit" statt. Diese Themenseite bündelt die Berichterstattung von katholisch.de zum Heiligen Jahr.

Kranke besuchen bedeutet nicht nur Geben. Besucher, Pflegende und Ärzte können ein dankbares Lied davon singen, wie Kranke sie beschenken. Eine Mitschwester, die voll in der Arbeit steht, besucht in ihrer freien Zeit regelmäßig eine früh an Demenz erkrankte Schwester. Sie schreibt: "Ich kann nie planen, was wir gemeinsam machen – ich muss mich vom Augenblick inspirieren lassen, der von Katharinas* Zustand abhängt. Wenn ich sie besuche, wird etwas klarer, einfacher in mir. Wenn ich bei dem Besuch wirklich offen bin, erfinde ich Dinge, die ich mit ihr machen kann, die mir sonst nie einfallen würden: Wir singen alte Lieder aus unserer gemeinsamen Vergangenheit, und es weckt in uns eine tiefe Freude. Oder wir spielen mit den Fingern, wie wir es in der Grundschule getan haben. Oder wir lesen ein Märchen oder zählen das Geld. Oder wir beten gemeinsam. Oder...

Und zwischendurch lachen wir gemeinsam oder wir schweigen, was manchmal auch weh tut. Aber was auch immer geschieht: Ich fühle mich reich beschenkt. Das Treffen mit Katharina führt mich an einen Ort jenseits der berechenbaren Welt, zu dem ich allein nicht kommen würde. Ich finde zu etwas Einfachem, Wesentlichem, zu etwas Kindlichem, was nicht kindisch ist, sondern eine Würde hat."

In unseren vielen Jahren in der Krankenpflege und in der Krankenhausseelsorge - wir waren beide auch lange auf der Palliativstation eingesetzt - haben wir sehr viel von den Kranken gelernt und erhalten: Dankbarkeit, die einfache Freude des Augenblicks, lebendige, echte, ungeschminkte Begegnungen jenseits der Masken, eine neue Nachdenklichkeit, Lebensweisheit aus angenommenem und erlebtem, auch durchgestandenem Leiden, Barmherzigkeit mit sich selbst und mit anderen, Lebensfreude und Lebenswille in kaum zumutbaren Situationen, Hoffnung bis zuletzt und darüber hinaus.

Schwester Julia SA
Bild: ©Schwester Julia SA

Schwester Julia Eder gehört wie Schwester Claudia Valk der Kongregation der Helferinnen an. Sie arbeitet als Krankenschwester auf einer Palliativstation in Leipzig.

Geben und Nehmen im Ausgleich - eine Begegnung auf Augenhöhe: "Ihr habt auf mich geschaut", nicht von oben herab, nicht mit dem Blick eines hochmütigen Gesunden auf einen armen Kranken - als wenn Gesundheit ein Verdienst wäre! Vielleicht besser: "Ihr habt nach mir geschaut." Wir verringern den Abstand zwischen uns und den Kranken, wenn wir sie waschen und eincremen hautnah, wenn wir mit ihnen reden und schweigen seelennah. Und dennoch lässt sich der Abstand nicht ganz aufheben: Ich kann niemandem seine Schmerzen und seine Not abnehmen, auch wenn Liebende das oft gern täten.

In dem Kranken Christus begegnen

Und in der Begegnung mit den Kranken verringert sich auch unser Abstand zu dem, dem wir manchmal so gern begegnen möchten wie einem Menschen. Es ist der, der mit "Krankheit vertraut ist" (Jes 53,3) und der sich mit den Kranken identifiziert: "Ich war krank, und ihr habt auf mich geschaut... Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." (Mt 25,36.40). Eine aus der Kirche ausgetretene Patientin sagte mir einmal: "Ich habe mich diese Nacht wie ein Soldat gefühlt, in den eine Granate eingeschlagen ist, die nicht explodiert. Alles hat wehgetan, jede Sehne, jede Vene, jeder Knochen. Ich habe mich Jesus nie so nahe gefühlt wie in diesen Tagen; die Verbindung wird immer enger: Jesus in Gethsemane, Jesus in seinem Schrei "Warum?".

Da, wo Menschen am Ende sind, ist die Liebe Gottes noch lange nicht zu Ende. Davon war Eugénie Smet, die Selige Maria von der Vorsehung und Gründerin unserer Ordensgemeinschaft, überzeugt. Ihr Anliegen war es, Menschen in Krisen und Übergangssituationen zu begleiten - vor dem Tod und nach dem Tod. "Gemeinschaft derer, die die Hoffnung retten" heißt unser ganzer Name auf Chinesisch. Welcher Anspruch! Wir möchten es zusammen mit Ihnen tun - hier und überall -, wenn  wir nach den Kranken schauen.

* Name geändert

Linktipp: Kongregation der Helferinnen

Die Kongregation der Helferinnen ist eine internationale Ordensgemeinschaft päpstlichen Rechts. Sie lebt aus der Spiritualität des Hl. Ignatius von Loyola und wurde 1856 in Paris von Eugénie Smet gegründet.
Von Sr. Julia Eder SA und Sr. Claudia Valk SA