Kreativ, kindgerecht, biblisch fundiert
Mittendrin bewegt sich Gemeindereferentin Judith Effing von einem zum anderen - klärt hier etwas mit einem Kameramann, spricht dort mit Jugendlichen, die mit großen Handpuppen in die Kirche kommen. Und während die Puppenspieler von den kleinen Tänzerinnen stürmisch begrüßt werden, folgt Effing einem Ruf nach draußen auf den Kirchplatz. Neben dem Kirchenportal ist ein Pavillon aufgebaut. Auf einem großen Aufsteller steht "Großer Bruder - Kirche für Kids".
Die Kinder blieben aus
Was an diesem Morgen im kleinen Örtchen Thomasberg passiert, ist die Fortsetzung einer Erfolgsgeschichte, die vor zwölf Jahren unter dem Titel "Abenteuerland Kindergottesdienste" im bayerischen Pegnitz begann. Initiatorin Schwester Teresa Zukic von der Kleinen Kommunität der Geschwister Jesu erzählt, wie es dazu kam: "Jahrelang haben wir in unserer Gemeinde Kindergottesdienste veranstaltet und trotzdem blieben die Kinder aus."
Bis sie eines Tages von einer Mega-Church in den USA hörten, die "so eine wundervolle Kinderarbeit machen sollte". Nach anfänglicher Skepsis reiste eine Gruppe nach Willow Creek am Lake Michigan und erlebten erstaunt und zunehmend frustriert die "kreative, kindgerechte, biblisch fundierte Weise", mit der die evangelische Gemeinde ihren rund 5.000 Kindern Jesus nahe bringt. "Wir sind nach Hause gefahren und haben gedacht, sowas können wir nie."
Und in der Tat dauerte es noch eine ganze Weile, bis sich die Gemeindereferentin Teresa gemeinsam mit Erziehern, Lehrern, Eltern und Katecheten auf das Experiment "Abenteuerland Kindergottesdienste" einließ. "Als wir gestartet sind, hatten wir die gemeinsame Vision, den Kindergottesdienst zur schönsten Stunde der Woche zu machen." Dazu übernahmen sie die Grundelemente aus Willow Creek und übersetzten sie für eine deutsche katholische Gemeinde.
Die Spielstraße
Auch die "Spielstraße", wie sie an diesem Oktobersonntag an Sankt Joseph aufgebaut wird. Auf dem Kirchplatz und im großen Pfarrheim können sich Kinder ab dem Vorschulter an verschiedenen Stationen so richtig austoben. Zum Beispiel bei einer Rallye um die Kirche herum, beim Dosenwerfen und Eierlaufen über einen Hindernis-Parcours. Bei Billard, Kicker, Tischtennis und in der Bastelwerkstatt, wo sie herbstliche Bilderrahmen fertigen.
"Die Spielstraße dient dazu, Kindern und Familien einen Zugang zur Gemeinde zu ermöglichen", erklärt Schwester Teresa das Konzept. Sie sollen Freunde treffen und sich heimisch fühlen. Vor dem ersten Kindergottesdienst vor zwölf Jahren zogen die Organisatoren durch Schulen und Kitas. Sie verteilten Namensschilder und erzählten vom Kinderabenteuerland. "Wir haben ihnen gesagt: Am Sonntag steht an der Kirche ein Bodyguard und wenn du dein Namensschild mitbringst, dann darfst du rein", lacht Schwester Teresa.
Der erste Sonntag kam und die Gemeinde wurde überrannt. "Es waren 400 Kinder im Gottesdienst! Uns war gar nicht bewusst, dass die Gemeinde so viele Kinder hatte", erzählt die Schwester. Und die Besucher blieben treu. "Wir haben damals gedacht, wir träumen. Die Kinder waren begeistert, sangen die Lieder auf dem Schulweg, freuten sich schon unter der Woche auf den Gottesdienst. Einmal kam eine Fünfjährige zu mir und sagte: Schwester Teresa, das Abenteuerland ist schöner als die Sendung mit der Maus."
Der Countdown läuft
In Sankt Joseph im Siebengebirge nimmt gerade ein fröhliches Völkchen die vorderen Bankreihen ein. Die Kirche ist trotz Herbstferien bis auf den letzten Platz gefüllt. Kaum vorstellbar, dass die lebhafte Schar jetzt ruhig werden und sich auf eine Katechese einlassen soll. Doch bald werden die Blicke auf eine große Leinwand gezogen, die hinter dem Altar angebracht ist. In haushohen Lettern läuft dort ein Countdown, der von allen laut mitgesprochen wird. Bei null herrscht konzentrierte Ruhe - der Gottesdienst beginnt.
Es sind solche Elemente und Spielereien, die den Kindern gefallen, die von Kritikern aber in Frage gestellt werden. "Meist heißt es, wir sollten den Kindern lieber die Mitte des Glaubens, die Eucharistie zeigen. Aber was soll ich zeigen, wenn ich gar keine Kinder habe", so Schwester Teresa. "Wir wollen Kinder ansprechen, die noch keine Berührung mit Kirche haben und dafür müssen wir auf Augenhöhe gehen. Ein Kindergottesdienst muss Kinder in den Mittelpunkt stellen, um sie zu erreichen."
In Sankt Joseph ziehen derweil Puppe Lucy und Plüschkater Samson die Aufmerksamkeit der Vier- bis Zwölfjährigen auf sich. Sie sorgen an diesem Sonntag für die Rahmenhandlung der Bibelgeschichte. Der große weinrote Schrank, der seit dem Morgen im Altarraum steht, erweist sich nun als Bibeltür, die das alte Israel mit der heutigen Welt verbindet. Durch sie treten nun Jünger in den Kirchenraum und streiten lautstark darüber, wer der Beste von ihnen sei. Jesus kommt hinzu und versucht ihnen nahezubringen, dass es wichtiger ist, sich selbst zurückzunehmen und anderen zu helfen.
Die Botschaft vermitteln
Das ist die Botschaft des heutigen Gottesdienstes und sie verlangt nach Vertiefung. Und so kommt gleich nach der Katechese wieder Bewegung in die Kirchenbänke. Während der Gottesdienst für die Älteren weiterläuft, ziehen sich die Kinder mit Katecheten zur Gruppenarbeit in die angrenzende Kita zurück. Dort bearbeiten sie das Gehörte spielerisch und gestalterisch und übertragen die Botschaft Jesu in ihren Alltag, um sie zu verstehen.
Wie wichtig das ist, zeigt sich im Kreis der Erstklässler, die in einem Kita-Raum auf dem Boden sitzen. Die Gruppenleiterin fragt: "Und, was haben wir eben in der Messe gehört?" – "Was ist eine Messe?", meldet sich ein Kind zu Wort. "Meine Mutter war vor Kurzem auf einer Messe", wirft ein anderes ein, "da gab es Hundezubehör." Die Katechetin erklärt geduldig, was es mit der Messe auf sich hat und vermittelt den Kindern im Spiel und im Gespräch, worum es in der Bibelgeschichte ging.
Kindergottesdienst "Großer Bruder"
Seit Februar 2014 findet in der Pfarrkirche Sankt Joseph (Pfarreiengemeinschaft Königswinter am Oelberg) einmal monatlich der Kindergottesdienst "Großer Bruder" statt. Vorbild sind die "Abenteuerland Kindergottesdienste" von Schwester Teresa Zucik, die das Konzept 2013 in der Gemeinde vorstellte."Wir haben die großartigste Botschaft der Welt, nur die Verpackung stimmt manchmal nicht", sagt Schwester Teresa. Es reiche nicht, im Kindergottesdienst eine schöne Geschichte vorzulesen und dann zur Eucharistie überzugehen. Es reiche erst recht nicht, kleinere Kinder während der Eucharistie im Pfarrheim zu betreuen. Viel besser sei es, diese Zeit zu nutzen, um ihnen in ihrer Sprache Jesus nahe zu bringen.
Lebendig, plastisch, erfahrbar
Nach der Eucharistie kehren auch die jüngeren Kinder wieder in die Kirche zurück. Sie tragen Plakate mit ihren Handabdrücken, als Zeichen für die Hilfsbereitschaft, die Jesus in der Bibelgeschichte gefordert hat. Gemeindereferentin Effing steht mit einer großen Pappfigur vor einem Siegertreppchen am Altar. "Auf Platz eins kommt der Helfende, denn er hat ein großes Herz", findet sie gemeinsam mit den Kindern heraus. Sie befestigt das Herz am Rücken der Pappfigur, dreht sie um und lehnt den entstandenen Engel an den Altar.
"Bibel muss lebendig, plastisch und erfahrbar sein", sagt Schwester Teresa. Nur so könne die Botschaft Kinder erreichen. Und nicht nur Kinder. "Auch die Erwachsenen kommen gerne in die Abenteuerland-Gottesdienste." Die Gemeinde im Siebengebirge singt begleitet von Kinderchor und Band das Abschlusslied vom "Großen Bruder" Jesus. Dann strömen Große und Kleine ins herbstliche Sonnenlicht hinaus. "Ich war schon zwanzig Mal da“, sagt Alexander stolz. "Und ich komme immer wieder", ruft Héloise fröhlich und trägt eine Freundin Huckepack aus der Kirche.
"Jesus sagt, lasset die Kinder zu mir kommen", so Schwester Teresa. "Ich will nicht irgendwann vor ihm stehen und hören: Warum hast du meine Botschaft so langweilig rübergebracht, dass meine Kinder mich nicht kennengerlernt haben."