Margot Käßmann zur Zukunft der Ökumene vor dem Reformationsjubiläum

Kreative Kraft der Konfessionen

Veröffentlicht am 04.08.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bild: © KNA
Ökumene

Berlin ‐ Wie geht es weiter mit der Ökumene ? Ein Grundlagenpapier der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) führt zu Verstimmungen zwischen Protestanten und Katholiken. Margot Käßmann, Botschafterin des Reformationsjubiläums, sieht die Debatte positiv: Sie zeige eine "kreative Kraft der konfessionellen Differenz". 2017 möchte sie ökumenisch feiern, schreibt sie in ihrem Gastbeitrag für katholisch.de.

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Am Ende des Textes "Rechtfertigung und Freiheit", der so viel Gesprächsbedarf gezeigt hat, heißt es: "So können (aber auch) die evangelischen Christenmenschen in aller Welt im Jahr 2017 die Botschaft von der in der Rechtfertigung begründeten Freiheit als Christusfest feiern. Sie tun dies gemeinsam mit ihren römisch-katholischen und orthodoxen Glaubensgeschwistern in einer durch lange ökumenische Gespräche begründeten Gewissheit, dass alle miteinander jenseits von Streitigkeiten und Spaltungen die gemeinsame Grundlage im Evangelium von Jesus Christus erkennen und anerkennen können."

Das halte ich für das entscheidende Kennzeichen für das Reformationsfest 2017: Es wird bewusst nicht als abgrenzend deutsch-lutherisch geplant, sondern von Anfang an sind beispielsweise die Partnerkirchen in der Schweiz beteiligt. Es wird einen Stationenweg geben, bei dem die Partnerkirchen in Europa vorab besucht und nach ihren reformatorischen Erfahrungen heute befragt werden.

Messegelände am 14. Mai 2010 auf der AGORA - Christinnenrat mit Margot Käßmann
Bild: ©KNA

Oder Margot Käsmann (rechts), die nach ihrem Rücktritt als Bischöfin die Öffentlichkeit gemieden hatte und beim Ökumenischen Kirchentag den Kontakt mit anderen sichtlich genoss.

Nicht in Gegensätzen verharren

In und um Wittenberg ist für den Sommer 2017 eine Weltausstellung der Reformation geplant, die in großer Weite reformatorische Aktualität aufzeigt – mit Blick auf die Kirchen der Welt, aber auch mit Blick auf Kunst und Kultur, Bildung und Politik, Gesellschaft und Religion. Und schließlich gibt es von Anfang der Planungen an eine ausgestreckte Hand in Richtung römisch-katholischer Kirche, gemeinsam zu feiern. Die Frage, ob es eine Feier oder ein Gedenken gibt, halte ich dabei für zweitrangig. Schließlich heißt Feiern nicht gleich Karneval, Feiertage können durchaus Ernsthaftigkeit mit sich bringen. Es geht darum, Reformation als gemeinsame Geschichte zu sehen und nicht in Gegensätzen zu verharren.

Das Besondere an 2017 ist zum einen, dass wir anders als vor 100 Jahren ökumenische Erfahrung haben. Da ist die Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung, die viele "Dokumente wachsender Übereinstimmung" zu Fragen von Kirchenverständnis, Abendmahl und Amt verfasst hat. Die berühmten Lima-Dokumente von 1982 haben beachtliche Konvergenzen zwischen römischen Katholiken, Protestanten und Orthodoxen in Fragen von Taufe, Abendmahl und Amt erarbeitet. 1999 haben Lutherischer Weltbund und Einheitssekretariat in Rom die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre feierlich unterzeichnet, die hervorhebt: So, wie wir diese Lehre heute darlegen, werden wir von den gegenseitigen Verwerfungen des 16. Jahrhunderts nicht getroffen.

Theologischen Debatten sind fruchtbar und zeigen gegenseitiges Interesse

Die theologischen Auseinandersetzungen zeigen doch geradezu die kreative Kraft der konfessionellen Differenz! Manche Kirchen in Ländern des Südens bezeichnen sich heute als post-konfessionell und erklären, sie seien nicht interessiert an den europäischen theologischen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts. Gerade diese theologischen Debatten sind aber doch fruchtbar und zeigen das gegenseitige Interesse. Unterschiede werden bleiben im Verständnis von Kirche, Amt und Abendmahl bzw. Eucharistie. Aber das Verschiedene ist doch nicht nur Problemanzeige, sondern bringt anregende Dialoge mit sich. Einheit kann es auch in versöhnter Verschiedenheit und gegenseitigem Respekt geben.

„Wir können zeigen, dass die Reformation uns alle verändert hat, sie war ein breiter Prozess.“

—  Zitat: Margot Käßmann

Und zum anderen: Ökumene wird gelebt in den vielen Gemeinden vor Ort, in der Gebetswoche für die Einheit der Christen, im Weltgebetstag der Frauen , in der Normalität des Miteinanders, die sich vielerorts eingespielt hat. Das habe ich gerade wieder erlebt im ökumenischen Gottesdienst zur Eröffnung des Festivals der Europäischen Kirchenmusik in Schwäbisch Gmünd. Er war beeindruckend, vielfältig und im besten Sinne selbstverständlich in der Gemeinsamkeit von Singen und Beten, Hören und Bekennen. Dieses selbstverständliche Miteinander ist auch zu erleben in dem, was als "Praktisches Christentum" bezeichnet wird. Auch durch gemeinsames Handeln wird der Weg zur Einheit beschritten. Das haben diejenigen gezeigt, die in Zeiten des Krieges die Kontakte nicht abreißen ließen.

Gelebte Ökumene ist vielfach sichtbar

Es wird sichtbar, wenn die Kirchen in Deutschland jedes Jahr gemeinsam einen Rüstungsexportbericht durch die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung vorlegen. Das zeigt sich, wenn Evangelische sich mitfreuen über die Symbolhandlungen von Papst Franziskus mit der ersten Auslandsreise nach Lampedusa oder der Fußwaschung in einem Gefängnis. Solches praktisches ökumenisches Christsein gibt es in vielen Gemeinden vor Ort ebenso. Da wird gemeinsam eine Initiative für Flüchtlinge gegründet, es entsteht eine Organisation für ehrenamtliche Großeltern, die junge Familien entlastet, es wird gemeinsam gesungen und gebetet.

Die Gemeinden an der Basis wünschen sich ökumenische Signale

Beim Katholikentag in Regensburg war die Veranstaltung " Reformationsjubiläum 2017 – können Katholiken mitfeiern?" völlig überfüllt. Das zeigt: Gerade die Gemeinden an der Basis wünschen sich ökumenische Signale. Das erlebe ich im reformatorischen Umfeld ebenso. Deshalb gilt es, das Jubiläumsjahr mit einer Haltung der Versöhnung zu beginnen. Wir können zeigen, dass die Reformation uns alle verändert hat, sie war ein breiter Prozess. Die Rückbesinnung auf Jesus Christus als Zentrum unseres Glaubens und die Konzentration auf die Bibel als Orientierungsquelle haben unsere Kirchen erneuert. Und gemeinsam können wir sehen, dass die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die sich aus dem Jahrhundert der Reformation entwickelt hat, gesamtgesellschaftliche Folgen hatte, die wir heute bewusst bejahen als römisch-katholische wie als evangelische Christinnen und Christen.

Außerdem kann ich mir gut vorstellen, dass es gemeinsame Pilgerwege gibt. Der Rat der EKD und die deutsche Bischofskonferenz pilgern zu den Ursprüngen nach Jerusalem. Tschechen und Deutsche begegnen sich auf dem Jan-Hus-Pilgerwege. Katholiken gehen mit auf dem Lutherweg in Sachsen-Anhalt. Protestanten gehen mit auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela. Und all das wird ins Internet gestellt, um zu zeigen: Wir verharren nicht im Blick zurück und in den Trennungen, sondern machen uns auf in eine Zukunft, die Unterschiede kennen wird, aber sie als versöhnte Verschiedenheit erlebt. Eine solche Haltung wird auch helfen, die Reibungspunkte und Empfindsamkeiten, die immer wieder zu Tage treten, auszuhalten und zu besänftigen mit dem Wissen, dass das Gemeinsame stärker ist als das Trennende.

Von Margot Käßmann

Zur Person

Margot Käßmann ist Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum 2017. Die Pastorin war von 1999 bis 2010 Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und 2009 bis 2010 EKD-Ratsvorsitzende.

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