Mit der "Visionauten-WG" geht die Berufungspastoral in Aachen neue Wege

Lucy hat jetzt einen Plan

Veröffentlicht am 08.06.2016 um 00:01 Uhr – Von Gabriele Höfling – Lesedauer: 
Pastoral

Aachen ‐ Lucy ist 19, macht ein Freiwilliges Soziales Jahr und lebt in einer WG. So weit, so normal. Nur ihre Wohngemeinschaft in Aachen ist es nicht: Vier "Visionauten" suchen dort ihre Berufung.

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Dass die erst 19-Jährige sich selbst so klar sieht, hat sie nach eigenen Worten den vergangenen Monaten zu verdanken: Während ihres Freiwilligen Sozialen Jahres wurde sie zur "Visionautin" und zog in eine ganz besondere WG – auf der Suche nach der eigenen Berufung.

Die Wohnung der jungen Leute zwischen 19 und 23 Jahren liegt zentral in der Aachener Innenstadt, verfügt über vier Schlafzimmer, ein Bad mit separatem WC, eine gut ausgestattete Küche und mehrere Gemeinschaftsräume. Die aktuelle Besetzung – zwei Frauen und zwei Männer - bildet den Piloten für ein neues Projekt der Berufungspastoral des Bistums: Junge Leute leben für eine begrenzte Zeit zusammen, jeder absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr, aber alle nutzen die Zeit auch, um sich über die existenziellste aller Fragen klar zu werden: Was will ich aus meinem Leben machen? "Jeder hat eine Berufung, wie auch immer die aussieht", erklärt Pastoralreferent Christian Schröder.

Drei junge Leute essen zusammen zu Abend.
Bild: ©Bistum Aachen

Hier sind drei Visionauten versammelt: Drei der WG-Bewohner beim gemeinsamen Essen.

Nach dem Schulabschluss stünden junge Menschen an einem entscheidenden Punkt in ihrer Biografie: "Sie müssen sich entscheiden, welchen Beruf sie erlernen wollen, aber sie sollten sich zugleich auch grundsätzlich darüber im klaren werden, was ihnen im Leben wichtig ist und wie sie in die Gesellschaft hinein wirken wollen". Hilfe bei ihren Überlegungen bekommen die jungen Leute von Schröder und seinen Kollegen von der  Berufungspastoral.

Sie haben sich für das neue Orientierungsjahr ein ausgefeiltes Konzept mit ausführlichem Begleitprogramm ausgedacht. Wichtig sei ihnen dabei gewesen, "vom Nutzer her zu denken", wie es Christian Schröder formuliert. Statt nur am Schreibtisch eine Idee zu entwickeln, die am Ende vielleicht an der Realität der jungen Leute vorbeigeht, sollten diese gezielt eingebunden werden. Daher unter anderem auch die Pilot-WG, die sich demnächst auflöst.

Ein Mentor für jeden Bewohner

Wer sich als "Visionaut" bewirbt, den erwartet ein durchaus anspruchsvolles Programm: Grundgerüst sind eine Stelle als FSJler und der Einzug in die WG. Aber es geht noch weiter: Vorgesehen ist auch ein fester WG-Abend jede Woche. Wie sie den gestalten wollen, liegt in der Kreativität der Bewohner: Mal schwärmen sie aus, um etwas zu unternehmen, mal kochen sie gemeinsam, mal geht es aber auch darum, den Alltag an der Arbeitsstelle zu reflektieren oder über den Glauben zu sprechen. Abgestimmt wird das jeweils mit den Mitarbeitern der Berufungspastoral. Aus deren Team wählt sich außerdem jeder WG-Bewohner einen Mentor, mit dem er oder sie alle vier bis sechs Wochen trifft, um über den bisherigen Verlauf des Jahres zu reflektieren und auch Geistliche Begleitung zu erhalten.

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Video: © Bistum Aachen

Die Visionauten sind junge Leute zwischen Schule, Ausbildung und Studium. Sie leben für ein Jahr gemeinsam in einer WG und suchen nach tragfähigen Ausdrucksformen für ihren Glauben.

Vorgesehen ist außerdem, dass jeder der Visionauten an seiner Arbeitsstelle ein "innovatives Projekt" verwirklicht. Christian Schröder verdeutlicht mit einem Beispiel, was das sein könnte: "Hier in Aachen gibt es zum Beispiel mitten in der Innenstadt die sehr lebendige Jugendkirche Kafarnaum. Sie verfügt über einen tollen Hof, der für alle möglichen Aktivitäten genutzt werden kann, allerdings eher trist und grau aussieht. Was liegt da näher als ihn mit Urban Gardening zu verschönern?".

Als Gedankenanstoß lernen die jungen Leute im Kurs "Soziale Innovation" eine Methode, um Lösungsvorschläge für soziale, pastorale oder ökologische Probleme zu entwickeln, die sie in ihrer Umfeld entdecken. "Der Kurs funktioniert wie eine Sehschule: wie erkenne ich Veränderungs- oder Verbesserungsbedarf, wie gehe ich das Projekt dann konkret an, mit wem muss ich mich abstimmen?", erklärt Schröder. Die Wochenendseminare sollen den jungen Erwachsenen das Handwerkszeug für ihr jeweiliges Projekt geben – aber ihnen auch später in Ausbildung oder Studium nutzen.

Christian Schröder im Porträt
Bild: ©www.xiqit.de

Dr. Christian Schröder ist Pastoralreferent in der Berufungspastoral im Bistum Aachen.

Lucy findet es "ziemlich cool, dass es ein solches Projekt gibt, das junge Leute unterstützt, ihren Glauben und ihren Weg zu finden", erklärt sie. Während ihres FSJ, das in einigen Wochen endet, arbeitet sie in einem Flüchtlingsheim mit Jugendlichen aus Afghanistan zusammen. Sie erteilt ihnen Deutschunterricht, den sie selbst plant und gestaltet. "Durch das FSJ habe ich Eigeninitiative und Selbständigkeit gelernt", erklärt sie. Vorher habe sie noch nicht so genau gewusst, welchen Beruf sie erlernen wolle. Klar war nur, dass es eine Arbeit mit Menschen sein sollte, vielleicht im sozialen Bereich. Doch jetzt sei ihr das Fach klar: Medizin will sie studieren. In wenigen Monaten geht es in Münster los.

Ob sie sich durch die vielen Termine zusätzlich zum FSJ nicht eingeengt gefühlt hat? "Nein, wir sind eine ganz normale WG. Jeder geht seinem Alltag nach." Wer sich für die WG interessiert, sollte ihrer Ansicht nach "neugierig auf das Leben sein, Lust haben, andere Menschen kennenzulernen und den Mut haben, bei sich selbst damit anzufangen, die Welt zu verändern". Etwas anderes würde zu echten Visionauten ja auch nicht wirklich passen.

Nähere Infos

Wer sich bewerben will, sollte mindestens 17 Jahre alt sein und einen Schulabschluss haben. Während des FSJs verdienen die Visionauten 360 Euro pro Monat, die Eltern erhalten weiter Kindergeld. Die Miete für das WG-Zimmer kostet 250 Euro monatlich. Für alle Trips und Fahrten – darunter ein Aufenthalt in der britischen Hauptstadt London – müssen insgesamt 400 Euro bezahlt werden. Katholisch zu sein ist dagegen keine formale Voraussetzung. Nähere Informationen gibt es im Internet.
Von Gabriele Höfling