Kirchenrechtler über den Fall von Ex-Kardinal McCarrick

Lüdicke: Entlassung aus Kardinalsstand nicht vorgesehen

Veröffentlicht am 01.08.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Kirchenrecht

Münster ‐ Erstmals seit 90 Jahren hat mit Theodore McCarrick ein Kardinal seinen Titel zurückgegeben. Aber hätte der Papst ihn auch entlassen können? Und welche Strafen gibt es noch? Ein Kirchenrechtler antwortet.

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Am Wochenende ist der von Missbrauchsvorwürfen belastete ehemalige Erzbischof von Washington, Theodore McCarrick, aus dem Kardinalskollegium ausgeschieden. Ein in der jüngeren Kirchengeschichte äußert seltener Vorgang. Einen vergleichbaren Fall gab es zuletzt 1927. Damals trat der französische Kardinal und Jesuit Louis Billot (1846-1931) nach einem Streit mit Papst Pius XI. (1922-1939) zurück. Grund war Billots Unterstützung für die rechtsextreme und monarchistische Bewegung Action Francaise, die der Papst verurteilte. Im Interview spricht Klaus Lüdicke, emeritierter Professor für Kirchenrecht an der Universität Münster, über die Grundlagen für einen Verlust des Kardinalstitels.

Frage: Professor Lüdicke, auf welcher rechtlichen Basis kann oder muss ein Papst einen Geistlichen aus dem Kardinalsstand entlassen?

Lüdicke: Eine Entlassung aus dem Kardinalsstand ist im Kirchenrecht, dem Codex Iuris Canonici (CIC), nicht vorgesehen. Der Verlust der Kardinalswürde dürfte im Fall von Theodore McCarrick dadurch ermöglicht sein, dass er das angeboten und Papst Franziskus dieses Angebot angenommen hat.

Frage: Das kirchenrechtliche Verfahren gegen McCarrick steht erst noch bevor. Ist mit seiner Entlassung aus dem Kardinalsstand eine Vorverurteilung verbunden?

Lüdicke: Eine Vorverurteilung ist damit nicht verbunden - und es dürfte auch nicht zulässig sein, in dem Angebot des Kardinals ein Schuldeingeständnis zu sehen.

Frage: Marie Collins, die im vergangenen Jahr aus Protest die Vatikan-Kinderschutzkommission verließ, bedauert gleichwohl, dass der Papst nur den Rücktritt von McCarrick angenommen hat. Sie hätte es wirkungsvoller gefunden, wenn der Papst den Geistlichen entlassen hätte. Hätte der Papst das Recht dazu?

Lüdicke:
Die Entlassung des Kardinals ohne sein Rücktrittsangebot wäre mangels entsprechender Normen ohne rechtliche Basis gewesen.

Kirchenrechtler Klaus Lüdicke
Bild: ©KNA/Christof Haverkamp

Der Theologe Klaus Lüdicke war von 1980 bis 2008 Professor am Institut für Kanonisches Recht der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.

Frage: Bereits im Juni hatte der Papst McCarrick die öffentliche Ausübung seines Priesteramtes untersagt - nun darf er keine Sakramente mehr spenden oder liturgische Feiern leiten. Worin besteht der rechtliche Unterschied?

Lüdicke:
Im Vorfeld eines Strafverfahrens kann - siehe Canon 1722 - einem Beschuldigten zur Vermeidung von Ärgernis und wegen der Freiheit der Zeugen die Ausübung kirchlicher Ämter auf Zeit verboten werden.

Frage: In dem Prozess vor einem Kirchengericht droht McCarrick auch die Entlassung aus dem Priesterstand. Unter welchen Voraussetzungen könnte das geschehen?

Lüdicke: Bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Straftat, für die die Entlassung aus dem Klerikerstand vorgesehen ist, wie in Canon 1395.

Frage: Diese Vorschrift zielt aber eher auf Kleriker ab, die in einem "eheähnlichen Verhältnis" leben...

Lüdicke: ...wird aber üblicherweise allgemein bei Sexualdelikten angewendet.

Frage: Gibt es bei Fällen von Missbrauch Verjährungsfristen?

Lüdicke: Ja, es gibt Verjährungsfristen, aber die Glaubenskongregation nutzt ihre entsprechende Vollmacht, von der Verjährung zu dispensieren, also Taten auch dann noch durch Strafverfahren zu verfolgen, wenn sie eigentlich verjährt sind. Faktisch gibt es also keine Verjährung.

Der frühere Erzbischof von Washington, Kardinal Theodore McCarrick.
Bild: ©picture alliance / AP Photo / Robert Franklin

Der frühere Erzbischof von Washington, Theodore McCarrick, ist nicht mehr Kardinal.

Frage: Der Bostoner Kardinal und Vorsitzende der päpstlichen Kinderschutzkommission, Sean O'Malley, fordert Nachbesserungen bei der kirchlichen Verfolgung von Missbrauchsvorwürfen gegen Bischöfe und Kardinäle. Notwendig seien "klarere Verfahren". Dabei gehe es nicht nur um Missbrauch von Minderjährigen, sondern auch um den sexuellen Umgang von Bischöfen und Kardinälen mit Erwachsenen. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?

Lüdicke: Damit wird die heikle Frage angesprochen, mit welchem Nachdruck die Kirche den Zölibat durchzusetzen bereit ist. Das kirchliche Strafrecht ist hier ein wenig löcherig, denn die meisten sexuellen Verhältnisse von Klerikern sind keine Zivilehen im Sinne des Canon 1394 und auch keine Konkubinate im Sinne des Canon 1395. Außerdem setzt eine Straftat nach Canon 1395 einen Skandal mit öffentlicher Wirkung und ein andauerndes pflichtwidriges Verhalten voraus. Und man wird ja auch nicht jeden sexuellen Umgang eines Klerikers mit Erwachsenen als "Missbrauch" qualifizieren können.

Frage: Könnte ein zurückgetretener Kardinal auch wieder vom Rücktritt zurücktreten - und wenn ja, wie ginge das?

Lüdicke: Nein. Das Kardinalat liegt nicht in der Verfügung des Betroffenen, sondern in der des Papstes. Daher ist eine Kardinalswürde, auf die verzichtet wurde, nach Annahme des Verzichtes durch den Papst endgültig verloren.

Frage: Könnte der Papst von sich aus einen Ex-Kardinal wieder in den Kreis seiner engsten Berater berufen?

Lüdicke: Das könnte er, wird es aber nur tun, wenn jeder Verdacht einer Straftat wirklich beseitigt ist, der "Ex-Kardinal" also unschuldig und der ihm gemachte Vorwurf klar widerlegt ist.

Von Andreas Otto und Joachim Heinz (KNA)