Luther, Obama und der Heilige Geist
Martin Luther macht sich rar. Wer im Programm zum Evangelischen Kirchentag stöbert, findet den Namen des Reformators nur in knapp 40 der rund 2500 Veranstaltungen. "Djihad in Wittenberg - Martin Luther sein Kampf", heißt ein Kabarettprogramm. Auch ein Musical und ein Oratorium widmen sich dem Kirchenrebellen. Luther und die Juden, Luther und das Klima: Von Mittwoch an (bis 28. Mai) schwebt der Mönch über dem Treffen in Berlin und Wittenberg. Richtig greifbar wird seine Gestalt dabei aber nicht.
Zwar bleibt Luther auch 500 Jahre nach Veröffentlichung seiner Thesen Leitfigur der Protestanten weltweit. Ganz vorbehaltlos stellt sich die evangelische Kirche zumal in Deutschland aber nicht hinter den Mann, der den Anstoß zur Reformation gab. 2017 werde kein Luther-Festival, hatten die Kirchenoberen angekündigt. Denn in heutigen Ohren klingen Luthers Äußerungen zu Juden, Muslimen und Frauen brachial. Der Antijudaismus des Reformators habe ein fatales Erbe hinterlassen, sagte Jubiläums-Botschafterin Margot Käßmann. Luther sei ein "furchtbarer Zeuge" der christlichen Judenfeindschaft. Zwar kann aus dem Geist von Luthers Zeit im Spätmittelalter heute vieles verständlich werden. Als unangefochtene Lichtgestalt kann er aber wohl nicht mehr dienen.
Der Kirchentag wolle ohnehin nicht Luther feiern, sondern das Evangelium, stellt Präsidentin Christina Aus der Au klar. Das wäre auch in Luthers Sinn gewesen: "Die bedingungslose Zuwendung Gottes zum Menschen, die Würde jedes Menschen unabhängig von Leistungsfähigkeit und Herkunft, die Befreiung des Menschen aus seiner Selbstbezogenheit." Das heiße aber auch: "Wir müssen uns klar von seinem Antisemitismus abgrenzen."
Ökumene statt Spaltung
Auch im Bemühen um eine ökumenische Annäherung soll Luther nicht mehr als Spaltpilz wirken. Bereits im März feierten Katholiken und Protestanten einen "Versöhnungsgottesdienst". Luther habe eigentlich keine neue Kirche gründen wollen, erklärte dazu der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx. Er habe vielmehr den Menschen Mut machen wollen, ihr Leben ohne Angst mit Gott zu führen. Deutschlands oberster Katholik wird auch bei einer Bibelstunde auf dem Kirchentag auftreten.
Doch bei aller Versöhnung: Luther, das machte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm deutlich, bleibt für Protestanten alternativlos. Aus Luthers Lehren lasse sich die politische Botschaft des Evangeliums ableiten, schrieb der bayerische Landesbischof in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Ob Frieden, Gerechtigkeit, Dritte Welt, Klimakatastrophe oder Migranten: Das Evangelium dient dem Kirchenvolk auch als Generalschlüssel im Umgang mit weltlichen Herausforderungen - ein zweischneidiges Schwert, wie der Sozialphilosoph Hans Joas sagt. In seinem neuen Buch "Kirche als Moralagentur?" hat der Professor der Berliner Humboldt-Universität am Beispiel der Flüchtlingskrise diesen Zwiespalt beschrieben.
"Das Evangelium ist in sich unpolitisch"
Zu unkritisch, so schreibt Joas, hätten sich vor allem die Evangelischen der "Willkommenskultur" und der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) angeschlossen. Wenn sich aber Kirchen so eindeutig in einer politischen Sache festlegten, riskierten sie ein ähnliches Schicksal wie die Parteien: Menschen, die Bedenken äußern, fühlen sich missverstanden und wenden sich ab. Denn nicht alles, so der Wissenschaftler, lasse sich aus den Schriften ableiten. "Das Evangelium ist in sich unpolitisch", sagt Joas provokant. Welche konkrete Politik sich aus dessen Geist rechtfertigen lasse, sei nur selten eindeutig.
Die Verantwortlichen des Kirchentags wissen wohl um diesen Spagat. So beschwören sie für das Treffen den Geist des Dialogs. "Du siehst mich", lautet die Kirchentagslosung. Ein sichtbares Zeichen dafür ist die Einladung einer AfD-Vertreterin zu einer Diskussionsrunde. Sie wird wohl nicht nur auf Ablehnung stoßen. Auch in evangelischen Gemeinden neigten Menschen zu rechtspopulistischen Haltungen, gesteht die Präsidentin Aus der Au ein.
Als Einladungs-Coup kann schon jetzt der Auftritt Barack Obamas am Brandenburger Tor gelten. Wohl kaum ein Politiker dürfte unter den Kirchentagsbesuchern auf derart ungeteilte Zustimmung stoßen wie der frühere US-Präsident. "Wird er über's Wasser gehen?", fragte ironisch "Die Zeit". Obama sei tief im protestantischen Glauben verankert, sagt die Kirchentagspräsidentin.
So dürfte Obama am Donnerstag in Berlin ein Heimspiel haben, auch wenn in den USA die Bilanz seiner Amtszeit durchaus gemischt ausfällt. Als Politiker und Mensch habe er sich für Freiheit und Solidarität eingesetzt, seine Reden seien oft auch Predigten mit Bibelbezügen, lobt ihn Bedford-Strohm. Obama Superstar - der Kirchentag hat seinen Höhepunkt auf den Anfang gelegt.