"Man gewöhnt sich auch daran"
Die Kapelle und das Gemeindehaus in der Rue Spontini liegen am rechten Seine-Ufer, im 16. Arrondissements. Eine der schickeren, wohlhabenden Gegenden in Paris. Sedlmeier erzählt von seinem Gespräch mit dem Pfarrer der evangelischen Gemeinde, ein paar Straßen weiter. Dort gebe es seit den Attentaten Kontrollen an den Eingangstüren der Kirche. Auch vor der Synagoge im selben Viertel sei die Zahl der ständigen Wachleute von zwei auf vier erhöht worden.
Nach den Anschlägen haben sich seiner Meinung nach viele Kleinigkeiten verändert. Die Soldaten an den Bahnhöfen würden jetzt nicht mehr nur eine Pistole tragen, sondern hätten ein Gewehr im Anschlag. "Aber man gewöhnt sich auch daran", sagt der Pfarrer. Er selbst habe keine Angst, fahre jeden Morgen wie bisher mit der Metro zur Arbeit. Doch seine Gemeindemitglieder seien unruhig. Die Unsicherheit beherrsche die Gespräche. Nach dem Gottesdienst am Sonntag hätten sich die Gläubigen vor allem über die Anschläge unterhalten. In der Vorwoche seien deutlich weniger Menschen im Gottesdienst gewesen, "vermutlich aus Angst".
"Die Pariser sind stark"
Petra Neier ist Pfarrsekretärin in der Gemeinde und lebt seit mehr als 25 Jahren mit ihrem Mann, einem Franzosen, und ihrem Sohn in der französischen Hauptstadt. Der Alltag habe sich verändert, erzählt sie. "Es sind wesentlich weniger Leute unterwegs, die Restaurants sind leer, auch die Metros." Sie selbst versuche nicht in Angst zu verfallen. "Aber ich muss jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit an einem großen Einkaufszentrum umsteigen, da ist man eingepfercht, da gibt es wenige Möglichkeiten wegzulaufen. Ein komisches Gefühl da zu stehen zwischen tausenden Menschen", erzählt Neier. Paris komme ihr in diesen Tagen nach den Anschlägen anders vor. "Aber die Pariser sind stark. An jeder Ecke wird die Nationalhymne gesungen. Für mich als Deutsche doch eher befremdlich."
Linktipp: "Requiem der Einheit" für die Opfer
Mit einem "Requiem der Einheit" hat Paris der Opfer der Terroranschläge gedacht. Kardinal Andre Vingt-Trois betonte, dass es nach dem 48-stündigen Ausnahmezustand nun auch darum gehe, für die Verletzten zu beten und das Leid der Angehörigen zu teilen.Pfarrer Sedlmeier erzählt, dass bereits seit den Anschlägen auf "Charlie Hebdo" und den jüdischen Supermarkt im Januar die Sicherheitsvorkehrungen in der Stadt stark erhöht worden seien, daran habe er sich gewöhnt. Seitdem gelte für die Hauptstadt der Status Alerte attentat - die höchste Alarmstufe des Antiterrorplans des Innenministeriums. Doch die Situation in Paris sei nach den Anschlägen auf die Redaktion eine andere gewesen. "Der Angriff auf 'Charlie Hebdo' hat sich konkret gegen die Karikaturisten gerichtet, jetzt sagt jeder: das hätte ich selbst sein können."
Zurück nach Deutschland?
Hinzu komme, dass die Ermittlungen in Paris noch nicht abgeschlossen seien, in Belgien werde weiter nach den Attentätern gesucht, in Deutschland herrsche Unruhe. "Es gibt immer wieder neue Meldungen", sagt Sedlmeier. Das verunsichere. Und dann würden so "unsägliche Begriffe wie Krieg" verwendet. Auch dass der Papst von einem dritten Weltkrieg gesprochen habe, sei nicht förderlich, sondern verstärke die Angst, meint der Pfarrer.
Erste Auswirkungen sind bereits zu spüren. Rund um den Weltklimagipfel, der am Montag in der französischen Hauptstadt beginnt, seien Programmpunkte abgesagt worden. "Es haben sich auch schon ganze Gruppen aus Deutschland für andere Veranstaltungen rund um den Gipfel abgemeldet oder sie sind wesentlich geschrumpft", sagt Sedlmeier. Vor allem viele Jugendliche würden nun nicht mehr an den kirchlichen Veranstaltungen teilnehmen. Eine deutsche Familie aus seiner Gemeinde habe angekündigt, sie wolle nach Deutschland zurückgehen. "Aber sind sie dort sicherer?"