Tagung fragt nach der heutigen Bedeutung des Heiligen

Martin verlebendigen

Veröffentlicht am 12.10.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Heiliger

Weingarten ‐ Martinsgans, Martinsumzüge, Martinssingen - wohl um keinen Heiligen entwickelte sich ein bis heute in weiten Teilen Europas so lebendiges Brauchtum wie um Martin von Tours. Doch was hat die Figur aus dem vierten Jahrhundert jenseits folkloristischer Elemente Menschen heute zu sagen?

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Sehr viel, ist der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Gebhard Fürst überzeugt. "Martin von Tours - Leitfigur für ein humanes Europa und die Zukunft der europäischen Kirchen" ist dazu passend ein viertägiger internationaler Kongress überschrieben, der am Samstag im oberschwäbischen Weingarten endet.

Für Fürst ist Martin einer der bedeutendsten europäischen Glaubenszeugen, eine Orientierungsfigur und Vorbild für die gesamte Seelsorge. Doch Fürst hat nicht nur die innerkirchliche Perspektive im Blick: So beruft er sich auf den ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Delors, und dessen Forderung, dem Kontinent eine Seele zu geben. Ein Europa, als Staatenbund nur durch eine Währung zusammengehalten, hielt Delors für wenig tragfähig. Die Gestalt des Martin, davon zeigt sich Fürst überzeugt, kann eine solche Seele sein.

Geboren wurde Martin um das Jahr 316 im heute ungarischen Szombathely. Als Jugendlicher trat der Sohn eines Offiziers der römischen Armee bei. Er wurde Christ und errichtete im heutigen Frankreich eines der ersten Klöster des Abendlandes überhaupt. Später wählte ihn das Volk zum Bischof von Tours.

Schon zu Lebzeiten wurden Martin viele Wunder nachgesagt

Schon zu Lebzeiten wurden Martin, der am 11. November 397 starb, viele Wunder nachgesagt. Im kollektiven Gedächtnis bis heute am meisten verhaftet ist jedoch eine Szene, die am Stadttor von Amiens stattgefunden haben soll, lange bevor Martin getauft wurde: Er sah am Straßenrand einen frierenden Armen, teilte mit einem Schwert seinen Mantel und schenkte dem Bettler die Hälfte.

Gebhard Fürst ist seit 2000 Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Bild: ©KNA

Gebhard Fürst ist seit 2000 Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Martin ist der erste Heilige der katholischen Kirche überhaupt, der kein Märtyrer ist, also nicht für seinen Glauben starb. Er ist Schutzpatron Frankreichs und der Slowakei, Landespatron des Burgenlandes in Österreich, Patron der Bistümer Mainz und Rottenburg-Stuttgart, Schutzheiliger für alle möglichen Berufe und Lebenslagen sowie tausendfacher Namensgeber für Kathedralen, Kirchen und Klöster weltweit.

Weitere Einordnungen machen Martin auch für heutige Menschen interessant: In seinem Leben spiegelt sich ein Epochenwechsel. Er lebte zu einer Zeit, in der sich das Christentum von einer Außenseitenrolle zur Staatsreligion wandelte, jene Epoche also, in der Staat und Religion eine andere Gestalt bekamen. Insofern ist Martin eine Figur des ganz frühen Europas.

Eckholt: Martin als "Bischof auf Augenhöhe" entdecken

Die Osnabrücker Theologin Margit Eckholt plädierte bei der Tagung der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart nun dafür, Martin als "Bischof auf Augenhöhe" zu entdecken. Eine Kirche, die sich an dem Heiligen orientiere, sei eine Kirche in der Welt und damit auf dem Weg zu sich selbst. Martin könne für einen "neuen Stil des Christentums" stehen.

Ursula Nothelle-Wildfeuer, Professorin für christliche Gesellschaftslehre in Freiburg, setzte sich mit der These des Münchner Wirtschaftsphilosophen Karl Homann auseinander, wonach Martin damals besser eine Mantelfabrik gegründet und Bettler angestellt hätte, damit diese sich vom Lohn einen Mantel hätten kaufen können und Martin noch von der Firma profitiert hätte. Und Bruno Judic vom Europäischen Sankt-Martin-Kulturzentrum in Tours berichtete, dass der Heilige in Frankreich heute fast in Vergessenheit geraten sei. Es sei eine gewaltige Herausforderung, "diese Ignoranz zu beseitigen".

Indes hat sich bereits die große Politik mit Martin befasst: 2006 nahm der Europarat wegen der grenzüberschreitenden Biografie des Heiligen Martinuswege in seine Liste der Kulturwege auf: Ein Weg führt vom zentralfranzösischen Tours über Italien und Slowenien ins nordungarische Szombathely; eine zweite große Route - ebenfalls erkennbar an den bordeauxroten Tafeln mit dem gelben Kreuz und dem Signet des Europarats - nördlicher durch die Slowakei und Tschechien nach Deutschland.

Von Michael Jacquemain (KNA)