Theologe Söding über die heiligen Drei Könige

Mehr Wahrheit als Fakten

Veröffentlicht am 06.01.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bibel

Bochum ‐ Es gibt nur vage Hinweise auf einen Stern, der um Christi Geburt am Firmament zu sehen war. Und die Personen, die ihm zur Krippe gefolgt sein sollen, waren weder zu dritt, noch heilig und schon gar nicht Könige. Aber spielt das eine Rolle?, fragten wir Thomas Söding. Der Kirchenhistoriker spricht im katholisch.de Interview über die drei Weisen aus dem Morgenland und die Spannung zwischen Glaube und Vernunft.

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Frage: Herr Söding, der WDR-Film stellt die These auf, dass sich die Geschichte aus dem Matthäus-Evangelium mit den drei Weisen aus dem Morgenland gar nicht so zugetragen hat. Spielt das für den Glauben an sich überhaupt eine Rolle?

Thomas Söding: Für den Glauben ist es wesentlich, dass er einen zentralen Bezugspunkt in der Geschichte hat – in unserem Fall ist das Jesus. Ohne einen historischen Bezug auf Jesus selbst fiele das ganze Christentum in sich zusammen. Deswegen ist es auch wichtig, dass das ganze Neue Testament nicht einfach über Jesus fabuliert, sondern einen festen Bezug auf diesen Menschen hat, der gelebt und gewirkt hat, der gestorben und von den Toten auferstanden ist. Das gilt grundsätzlich. Im Einzelnen gibt es natürlich unterschiedliche Urteile, wie sich die eine oder andere Episode in Jesu Leben wirklich zugetragen hat – und das betrifft insbesondere seine Kindheit und Jugend.

Frage: Welche Bedeutung hat die Legende für das Christentum?

Der Bochumer Theologieprofessor Thomas Söding.
Bild: ©Boente/Kirchensite

Der Bochumer Theologieprofessor Thomas Söding.

Söding: Naja, von einer Legende würde ich nicht so schnell sprechen. Die Erzählung ist ja ein Teil des Matthäus-Evangeliums, und dies ist mit "Buch der Geschichte Jesu Christi" überschrieben (Mt 1,1). Für den Evangelisten stand es außer Frage, dass es sich auch beim Besuch der Weisen aus dem Morgenland um ein geschichtliches Ereignis handelt. Aber als Exeget muss ich zuerst auf die Stellung der Episode im Matthäus-Evangelium schauen. Da kann ich erkennen, dass die Geschichte eine ganz herausragende Position einnimmt, von der auch die Liturgie des Dreikönigsfestes geprägt ist: Nämlich dass dieser Jesus als Sohn Davids und Sohn Abrahams mitten in Israel zur Welt gekommen ist und dass er als Messias alle Welt angeht.

Das wird in dieser Kindheitsgeschichte am Beispiel der Könige aus dem Morgenland veranschaulicht: Sie kommen aus dem Orient, wo Astrologie betrieben wurde; sie haben den Stern gesehen und ihn als Stern des Messias interpretiert. Das ist eine alte jüdische Tradition, auf die Matthäus sich hier bezieht. Sie sind die Abgesandten der Völker, die mit ihrem Wissen und ihrer Weisheit erkennen, dass sie sich nicht selbst genug sind. Das ist ein großer theologischer Gedanke, der zeigt, dass sich die Geschichte Jesu von Anfang an in einen weltweiten Horizont einbettet.

Frage: Historiker werden skeptisch, wenn in einer Quelle alles zueinander passt: Drei Weise, die sämtliche Altersklassen der Menschheit repräsentieren, die auch noch Könige sind und aus allen damals bekannten Erdteilen kommen, um diesem einem Menschen zu huldigen.

Söding: Das ist richtig. Aber wie kommt man auf die Zahl Drei? Sie steht ja nicht direkt in der Bibel; da ist nur von drei Geschenken die Rede: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Und von dieser Zahl der Geschenke, wurde die Zahl der Magier abgeleitet. Dass die drei Könige sind, steht auch nicht im Neuen Testament. Man hat die drei Weisen zu Königen gemacht, weil das Gold ein königliches Geschenk ist und weil man in diesem Buch die Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiung gesehen hat, dass nämlich alle Völker mit ihren Königen und Abgesandten dem neuen Messias huldigen. Und heilig? Heiligkeit ist ja nicht an einen Kanonisierungsprozess der katholischen Kirche gebunden. Sondern heilig im biblischen Sinne des Wortes heißt, dass die Menschen auf der Seite Gottes stehen. Das wird man ja zweifelsohne von den Drei sagen können: Sie haben sich auf die Seite Gottes gestellt. Man muss aber unterscheiden: zwischen dem, was das Neue Testament selbst sagt, und den legendarischen Ausgestaltungen, die es im Zuge der Volksfrömmigkeit gegeben hat.

Frage: Und wie weit ist die Episode eine gesicherte historische Überlieferung?

Söding: Das ist sicherlich – vorsichtig formuliert – eine sehr grenzwertige Geschichte. Man kann natürlich über den Stern nachdenken – und wer sucht, findet auch etwas. Einige verweisen darauf, dass es im Jahre 6 oder 7 eine bestimmte Jupiter-Saturn-Konstellation gegeben hat, andere wollen Kometen namhaft machen – so ganz sicher ist das alles nicht. Oder anders formuliert: Die Symbolik der Geschichte ist schon bei Matthäus so ausgeprägt, dass man historische Einzelheiten hinter dieser Geschichte kaum noch erkennen kann.

Frage: Spielt es denn für die Anbetung eine Rolle, ob in dem Schrein im Kölner Dom tatsächlich die Knochen der drei Weisen liegen?

Söding: (lacht) Also das halte ich für eine absolut modernistische Frage: Als ob der DNA-Code der Knochen irgendetwas über die Heiligkeit des Ortes zu entscheiden hätte. Über die Reliquien gibt die Bibel keinerlei Auskunft. Hier bewegen wir uns ebenfalls auf dem Terrain der Wirkungsgeschichte und der Volksfrömmigkeit. In der Spätantike und dem frühen Mittelalter unterschieden die Menschen nicht zwischen Original und Kopie. Der Unterschied hat sich erst im 18./19. Jahrhundert herausgebildet. Heute, im digitalen Zeitalter, kann man zwischen einem Original und einer Kopie aber auch nicht mehr gut unterscheiden. Wer sich diese Logik vergegenwärtigt, kann das Missverständnis vermeiden, dass man durch irgendwelche physikalischen oder historistischen Beweise dem Glauben auf die Sprünge helfen müsste. Die theologische Wahrheit ist größer als die Faktendichte.

Frage: Das ist aber ein Widerspruch zu jenen, die die Bibel wörtlich auslegen wollen.

Söding: Würde ich nicht sagen. Was heißt denn die Bibel wörtlich auslegen? Wörtlich auslegen kann die Bibel doch nur, wer sich mit der Sprache der Bibel auseinanderzusetzen bereit ist. Die meisten, die behaupten, dass sie die Bibel wörtlich verstehen, verstehen sie gar nicht wörtlich, sondern projizieren nur ihre eigene Sprache auf die Bibel. Die Bibel wörtlich verstehen, das machen wir als Exegeten: Wir lesen die Bibel in den Originalsprachen, wir erläutern die verschiedenen Übersetzungen und erklären die ursprüngliche Symbolik. Auch beim Stern von Bethlehem. Dann ergibt sich, dass in der Bibel nicht einfach nur Tatsachen dokumentiert werden, wie wir dies aus einem modernen Geschichtsbuch kennen. Unter antiken Bedingungen sind die Evangelien Geschichtsschreibung und Biografien, aber man muss sie in den Kontext ihrer Zeit stellen.

Frage: Also muss ein Gläubiger die Spannung zwischen dem, was in der Bibel steht und dem, was die Wissenschaft an ihn heranträgt, aushalten?

Söding: Man braucht nicht den theologischen Spagat zu üben. Der Glaube profitiert ja von der Wissenschaft. Es ist sicherlich so, dass ein Kinderglaube durch die Wissenschaft auf eine harte Probe gestellt wird. Aber er muss ja auch erwachsen werden. Letztlich ist der Glaube, so wie Jesus ihn versteht, so wie Paulus ihn versteht und so wie der Papst ihn in seiner Theologie zu entwickeln versucht, kein Gegensatz zur Vernunft. Sondern der Glaube klärt sich durch die Kritik der Vernunft und umgekehrt gibt auch der Glaube dem Menschen zu denken.

Das Interview führte Michael Richmann

Zum Film Die Heiligen Drei Könige Sonntag, 6. Januar 2013, 16.05 - 16.50 Uhr im WDR-Fernsehen Die katholisch.de-Filmkritik finden Sie hier