"Mir blieben Augen und Mund offen stehen"
Frage: Pfarrer Bock, hier in Europa hat keiner mit diesem Wahlergebnis gerechnet – sind Sie auch überrascht?
Bock: Ich glaube, niemand auf dieser Welt hat mit diesem Ergebnis gerechnet. Es ging gestern Abend ja auch ganz erwartungsgemäß los. Hillary Clinton war in Führung. Aber dann, gegen 21:30 Uhr kippte das Rennen plötzlich zugunsten von Donald Trump. Da blieben mir schon Augen und Mund offen stehen. Ich hatte mir eigentlich das Limit gesetzt, um 22 Uhr ins Bett zu gehen, weil ich in der Regel schon sehr früh aufstehe, so um 4:30 Uhr. Aber ich habe dann alle guten Vorsätze über Bord geworfen und habe erst um halb vier geschlafen, nachdem das Ergebnis feststand.
Frage: Welche Stimmung herrscht am Tag nach der Wahl in den USA und in Washington?
Bock: Ich habe heute Morgen einen Gottesdienst bei den Salesianerinnen gehalten. Da konnte ich in den Gesichtern der Schwestern lesen, dass auch sie die Wahl sehr aufmerksam verfolgt haben. Nach der Messe habe ich in der Sakristei nachgefragt, wie die Stimmung ist. Es wurde mir mitgeteilt, dass eine Frontlinie quer durch den Konvent geht, einige für Trump, andere für Clinton. Auf der Straße hier in Washington habe ich aber sehr wenig wahrgenommen. Es scheint mir fast, als wäre die Stadt heute früh wesentlich ruhiger. Ich denke, dass Viele sehr lange die Wahlnacht mitverfolgt haben. Es wird noch ein wenig dauern, bis die Amerikaner realisieren, was da geschehen ist. Eine Schockstarre würde ich es nicht nennen, aber etwas sitzt den Menschen in den Knochen, das ist zu spüren.
Frage: Wie sehen die Mitglieder der deutschsprachigen Gemeinde in Washington die Wahl?
Bock: Wahlrecht kommt uns Deutschen ja meist nicht zu, aber es gab schon sehr intensive Debatten. Manche Gemeindemitglieder hatten auch beruflich viel mit dem Thema zu tun - zur Gemeinde gehören auch Journalisten und Mitglieder der Deutschen Botschaft. Meiner Wahrnehmung nach herrscht in der Gemeinde ein ambivalentes Meinungsbild, es gibt sowohl Befürworter Trumps als auch Clintons. Viele konservative Gemeindemitglieder haben mit der Politik der Demokraten ihre Schwierigkeiten. Besonders die Frage der Abtreibung wurde diskutiert und auch die Frage, wie Freiheit gelebt und verstanden wird.
Frage: Was wurde in Bezug auf die Frage der Freiheit diskutiert?
Bock: In den USA ist es eine ewige Debatte, inwieweit die Rechte des Staates gegenüber den Rechten des Einzelnen Vorrang haben oder umgekehrt. Nach dem amerikanischen Freiheitsverständnis sollte sich der Staat aus möglichst vielen Dingen heraushalten. Er gehört zur Ur-Vorstellung der Amerikaner, dass ihr Land ein Ort ist, an man sich jeder eine Existenz aufbauen kann, an dem jeder einen Wert hat und jedem Achtung und Respekt gebührt. Donald Trump stand von Anfang an für dieses Freiheitsverständnis und ist das Musterbild eines Mannes, der dieses Modell lebt. Er vertritt ein Weltbild, von dem viele Amerikaner auch träumen, gerade in den weißen Schichten in ländlichen Regionen.
Frage: Europa ist entsetzt über den Wahlausgang. In Deutschland hätte Trump laut Umfragen noch nicht einmal 10 Prozent der Stimmen bekommen. Können Sie als jemand, der beide Kulturen kennt, erklären, warum er bei so vielen Menschen punkten konnte?
Bock: Dazu muss man sehen, wo er gewählt wurde: Während er auf dem Land populär ist, hatte Hillary Clinton in den Städten mehr Erfolg. Außerdem hat der Wahlkampf mit Themen aufgewartet, die Ängste schürten. Diejenigen, die als Verlierer der Globalisierung gelten, haben aus Angst vor einem weiteren Abrutschen einem Kandidaten die Stimme gegeben, der ihnen eine Grenzmauer und ein Einwanderungsverbot für Muslime versprochen hat.
Vor ein paar Monaten wurde hier diskutiert, ob eine Südstaatenflagge vor einem öffentlichen Gebäude hängen darf, wir hatten Unruhen, weil mehrere Afroamerikaner von weißen Polizisten erschossen wurden. Das sind Dinge, die Unruhe und Ängste schüren. Und noch etwas: Es gibt in den USA ein starkes Bildungsgefälle. Viele Familien können sich eine höhere Bildung nicht leisten. Die höheren Bildungsschichten aber haben für Clinton gestimmt. Doch all diese Argumente erklären natürlich noch nicht alles. Auch sämtliche Prognosen, die hier vor der Wahl über die Medien veröffentlicht wurden, haben sich ja als Makulatur erwiesen. Das Ergebnis gestern war dann überhaupt nicht erklärbar.
Linktipp: Vatikan gratuliert Donald Trump
Donald Trump wird der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Wie reagieren die Kirchenvertreter darauf? Während der Vatikan gratuliert, blickt man in Deutschland eher besorgt in die Zukunft.Frage: Was erwarten Sie sich jetzt vom Präsidenten Trump?
Bock: Er hat schon in der Wahlnacht sehr viel versöhnlicher geklungen gegenüber den Demokraten. Man muss ihm jetzt die Gelegenheit bieten, zu zeigen, was es denn wirklich ausmacht, wenn er Präsident ist. Es gibt ja einen großen Unterschied zwischen einem sehr massiven Wahlkampf, der in eine Schlammschlacht ausgeartet ist, und der täglichen Praxis eines Präsidenten. Dann wird sich auch entscheiden, wie er sich dann gegenüber Europa verhält. Möglicherweise könnte der frühere US-Botschafter in Deutschland, Dan Coats, dem Kabinett angehören. Wenn er vielleicht sogar das Außenressort innehat, wäre das ein Glücksfall für Deutschland. Er mag das Land sehr - auch wenn er als scharfer Kritiker der deutschen Politik gilt.
Frage: Was bedeutet das Wahlergebnis nun für die Christen in den USA?
Bock: Im Wahlkampf hat Trump die Abtreibungsdebatte sehr fokussiert. Die Republikaner haben die Position Clintons offensiv aufgegriffen und schwarze Bilder an die Wand gemalt von einer Präsidentin, die die Abtreibung freigibt. Diese Vorstellung hat konservative Christen auf die Palme gebracht. Eine gesetzliche Lockerung der Abtreibungspraxis steht jetzt nicht mehr zur Debatte, eher im Gegenteil. Umgekehrt muss man sich fragen, ob nicht eine Verschlechterung der Situation zu erwarten ist, wenn einfach mal der Sozialstaat fehlt, der die Frauen stützt und ihnen die Möglichkeit gibt, mit einem Kind über die Runden zu kommen.
Frage: Kann die Kirche zur Versöhnung in der Gesellschaft beitragen?
Bock: Die Kirche ist eine Institution, die hier derzeit ähnlich wie Banken, der Supreme-Court oder gar das Präsidentenamt von links und rechts gleichermaßen infrage gestellt werden. Da bleibt die Ungewissheit, ob der Einfluss der Kirchen eher ab- als zunimmt.