Neues Dokument: Stalin verhandelte mit Pius XII.
Stalins Haltung zu Pius XII. wird gemeinhin mit einem einzigen Zitat beschrieben: "Wie viele Divisionen hat der Papst?" Diese spöttische Geringschätzung für den Nachfolger Petri soll der sowjetische Diktator im Februar 1945 während der Konferenz in Jalta geäußert haben. Der britische Premierminister Churchill und der amerikanische Präsident Roosevelt hatten ihm vorgeschlagen, den Papst an der politischen Neuordnung Europas zu beteiligen. Für Pius XII. wiederum war Stalin, der die Katholiken im Land grausam unterdrückte, der Kirchenfeind Nummer 1. Unter den Päpsten des 20. Jahrhunderts gilt Pius XII. als der Antikommunist schlechthin. Seine Kritiker behaupten sogar, er habe Stalin mehr gefürchtet als Hitler.
Ein bislang unbekanntes Geheim-Dokument zeigt nun, dass Stalin nach dem Krieg trotz aller weltanschaulichen Gegensätze den Kontakt zum Vatikan suchte. Laut dem Internetportal "Vatican Insider" berichtete der italienische Historiker Matteo Luigi Napolitano während eines heute zu Ende gehenden Kongresses in Rom über einen spektakulären Aktenfund, der frühe Gespräche zwischen Stalins Sowjetunion und dem Vatikan belegt.
Stalin suchte demnach im Februar 1952, auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs, eine Annäherung an den Vatikan. Beide Seiten nahmen geheime Gespräche auf. Den Vatikan vertrat hierbei der italienische Jesuit Giacomo Martegiani. Der Chefredakteur der Jesuiten-Zeitschrift "Civilta Cattolica" hatte regelmäßig Zugang zum Papst. Die sowjetische Seite repräsentierte der kommunistische italienische Historiker Ambrogio Donini. Beide trafen sich im Haus von Falcone Lucifero, dem einstigen Minister des königlichen Hauses unter Umberto II., dem 1946 abgesetzten italienischen König. Auf kirchlicher Seite war laut den Unterlagen auch der Erzbischof von Genua, Giuseppe Siri über die Unterredungen auf dem Laufenden, ein Vertrauter Pius' XII.
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Zwanzig Jahre lang hat Papst Pius XII. in dramatischer Zeit die katholische Weltkirche geleitet: Ein Spitzendiplomat und Kirchenpolitiker, der am Vorabend des Zweiten Weltkriegs sein Amt antrat.In einem Gespräch am 13. Februar 1952 äußerte der Vertreter der sowjetischen Seite den Wunsch eine Botschaft beim Heiligen Stuhl zu eröffnen: "Der Heilige Stuhl hat bereits und würde heute auf ein Neues einen akkreditierten Repräsentanten der Vereinigten Staaten akzeptieren. Warum hat er nie eine ähnliche Position gegenüber der Sowjetunion eingenommen?" Darauf antwortete der Jesuit laut den Aufzeichnungen: "Das wäre ein sehr wichtiges Faktum. Aber man kann nicht den Karren vor die Ochsen spannen." Diplomatische Beziehungen pflege man erst dann aufzunehmen, wenn Verhandlungen geführt würden und regelmäßige Gespräche stattfänden.
Von sowjetischer Seite wurde demnach offenbar auch die Idee einer Vermittlung des Papstes zwischen den Konfliktparteien des Kalten Kriegs ins Spiel gebracht. Doch zu konkreteren Überlegungen kam es nicht mehr: Mit Stalins Tod am 5. März 1953 starb auch der geheime vatikanisch-sowjetische Dialog.
Historiker: Bedeutsamer Aktenfund
Nach Einschätzung des Historikers Napolitano handelt es sich um einen bedeutsamen Aktenfund. Die Gesprächsnotizen zeigten, dass es lange vor der sogenannten Vatikanischen Ostpolitik seit den 1970er Jahren eine Moskauer Initiative zum Dialog gegeben habe, so Napolitano. Mit "Vatikanischer Ostpolitik" wird die Öffnung Roms gegenüber den kommunistischen osteuropäischen Ländern bezeichnet. Als ihr Architekt gilt Kardinalstaatsekretär Agostino Casaroli.
Welche Motive Stalin damals bewogen, den Kontakt zum Vatikan zu suchen und warum sein Nachfolger Chruschtschow die Gespräche nicht fortsetzte, bleibt offen. Erst nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kam mit Michael Gorbatschow im Dezember 1989 erstmals ein Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion zum Papst nach Rom. Volle diplomatische Beziehungen nahmen Russland und der Heilige Stuhl erst 2009 auf. (tja)