Überkonfessionelles Hilfswerk veröffentlicht neuen "Weltverfolgungsindex"

Open Doors: 200 Millionen Christen weltweit verfolgt

Veröffentlicht am 11.01.2017 um 09:20 Uhr – Lesedauer: 
Open Doors: 200 Millionen Christen weltweit verfolgt
Bild: © Open Doors
Religionsfreiheit

Bonn ‐ Im Weltverfolgungsindex 2017 wird die Zahl der verfolgten Christen doppelt so hoch geschätzt wie in früheren Veröffentlichungen. Die Aussagekraft der Angaben bleibt jedoch umstritten.

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Laut Open Doors sind derzeit rund 200 Millionen Christen weltweit einem hohem Maß an Verfolgung ausgesetzt. Das geht aus dem "Weltverfolgungsindex" hervor, den das überkonfessionelle christliche Hilfswerk am Mittwoch veröffentlichte. In den vergangenen Jahren war stets die Zahl von 100 Millionen Menschen genannt worden.

Den Sprung begründet das Hilfswerk damit, dass nach neun Jahren eine "Neueinschätzung der Situation" vorgenommen und die bisherige Schätzung aktualisiert worden sei. Die Lage der 650 Millionen Christen, die als Minderheit in den 50 Ländern des Weltverfolgungsindex leben, habe sich von Jahr zu Jahr verschlechtert, so Open Doors. Beispiele seien etwa die Folgen des Arabischen Frühlings, die Vertreibung der Christen aus der irakischen Stadt Mossul und eine verschärfte Situation in Asien und Afrika, wo Christen beispielsweise unter der Verfolgung von Boko Haram in Nigeria leiden.

Umstrittene Zahlen

Es ist umstritten, wie aussagekräftig die Zahlen des Indexes sind. Das Phänomen "Christenverfolgung" lässt sich schwer messen. Kirchenvertreter etwa aus Syrien oder dem Irak weisen beispielsweise immer wieder darauf hin, dass nicht nur Christen, sondern auch Muslime Opfer des islamistischen Terrors sind. Weder die evangelische noch die katholische Kirche in Deutschland gibt jährlich vergleichbare Statistiken wie Open Doors heraus.

Dessen Index mit den Ländern, in denen Christen verfolgt werden, führt auch 2017 Nordkorea an. Dort könnten die rund 300.000 Christen unter der Herrschaft von Kim Jong Un nur im Untergrund leben, so Open Doors. "Findet man sie, drohen ihnen Hinrichtung oder Straflager", heißt es in dem Bericht. In Somalia leben nur einige hundert Christen, denen ebenfalls der Tod droht, falls sie entdeckt werden. Das Land ist im Index im Vergleich zum vergangen Jahr auf Platz 2 vorgesprungen. Die acht weiteren Plätze in der traurigen "Top Ten" belegen in dieser Reihenfolge Afghanistan, Pakistan, der Sudan, Syrien, Irak, Iran, der Jemen und Eritrea.

Verschlechterung in Indien und der Türkei

Besonders auffällig in diesem Jahr ist Indien. Das Land ist erstmals auf den 15. Platz des Indexes gerutscht. Laut Open Doors hat sich die Situation der Christen unter dem seit 2014 amtierenden Premierminister Narendra Modi deutlich verschlechtert. Religiös motivierter Nationalismus sei auf dem Vormarsch: Wie die Organisation schreibt, brennen Kirchen nieder, es gebe einen massiven Druck auf Journalisten. Die Türkei wandert gleich um 8 Ränge nach vorn und ist nun auf Platz 37. Die Religionsfreiheit für Christen sei unter Präsident Edogan nun stark eingeschränkt, urteilt Open Doors.

Nordkoreas Diktator Kim Jong Un.
Bild: ©picture alliance / dpa

Auch unter Diktator Kim Jong Un bleibt Nordkorea das Land, in dem Christen am stärksten verfolgt werden.

Matthias Kopp, der Sprecher der Katholischen Bischofskonferenz, rät zu einem differenzierten Umgang mit den jetzt veröffentlichten Zahlen. "Verfolgungen und Gewalt auf Grund einer Religionszugehörigkeit oder Gewalt im Namen von Religion verlaufen oft entlang sich überlappender religiöser, ethnischer, wirtschaftlicher, sozialer und politischer Spannungsfelder", erklärte er am Mittwoch in Bonn. Auch Open Doors weise darauf hin, dass gesellschaftliche und politische Einschüchterungen Christen teilweise daran hinderten, sich überhaupt nach außen zu bekennen. Gerade deshalb sei es aber schwierig, genaue Zahlen zu ermitteln.

Der Sprecher äußerte deshalb mit Blick auf die Open-Doors-Berichte der vergangenen Jahre Zweifel an der Methodik. Ausgangspunkt für die Indizes der Organisation unter anderem im Bericht für 2016 seien umfangreiche Fragebögen gewesen. Diese seien von Open-Doors-Mitarbeitern und anderen Quellen ausgefüllt worden, außerdem seien nicht näher genannte Experten und Internetrecherchen hinzugezogen worden. Viele hielten dieses Verfahren für nicht repräsentativ und die Ergebnisse für nicht validierbar, sagte Kopp.

Als Alternativen böten sich qualitative Studien an. So habe die Deutsche Bischofskonferenz gemeinsam mit der Evangelischen Kirche 2013 einen Bericht zur weltweiten Religionsfreiheit vorgelegt - eine aktuelle Version sei in Arbeit. Auch die Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Petra Bosse-Huber, betonte: "Dort, wo die Religionsfreiheit für Christen eingeschränkt ist, wird immer auch die Freiheit anderer Religionen missachtet".

Kauder: Bericht ist Alarmsignal

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) nannte den Bericht ein "Alarmsignal". Die Unionsfraktion sei darüber in "tiefer Sorge". "Die Bundesregierung muss in ihrer Außen- und Entwicklungspolitik weiterhin stets auf die Einhaltung der Religionsfreiheit pochen. Denn die Wahrung der Glaubens- und Gewissensfreiheit ist Voraussetzung für den Frieden in der Welt geworden", erklärte er.

Auch Heribert Hirte, der Vorsitzende des Stephanuskreises der Unions-Bundestagsfraktion, nennt den neuen Bericht von Open Doors "besorgniserrend". Die Bedrohung durch Islamisten im Mittleren Osten und Afrika sei nicht hinzunehmen. "Religionsfreiheit muss auch in muslimisch geprägten Ländern für alle gewährleistet sein", fordert der Politiker. Auch er warnt jedoch davor, den Islam "in Gänze" für islamistische Terrorakte verantwortlich zu machen. "Neben den Christen leiden auch viele Muslime unter der Gewalt von Extremisten und unter Herrschern, die Religion zur Festigung ihrer Macht missbrauchen." (gho/dpa)

11.01.2017, 09.50 Uhr: ergänzt um Statement Heribert Hirtes

11.01.2017, 16.00 Uhr: ergänzt um weitere Reaktionen

Linktipp: Thema Christenverfolgung

Christen gelten als eine der am stärksten verfolgten religiösen Gruppen weltweit. Oft haben sie unter Repressalien zu leiden. Katholisch.de informiert über alles Wichtige zum Thema.