Pro lingua latina
Dieser Entwicklung möchte Benedikt XVI. nun mit einer päpstlichen Akademie zur Pflege der lateinischen Sprache entgegenwirken. Die im November gegründete "Pontificia Academia Latinitatis" soll nach dem Willen des Papstes "das reiche und vielfältige Erbe der lateinischen Kultur in ihrem Wert hervortreten zu lassen". Leiter der neuen päpstlichen Akademie ist ein international renommierter Professor für lateinische Literatur an der Universität Bologna, Ivano Dionigi. Ein berühmtes Beispiel für eine solche Einrichtung ist die Academie Francaise in Paris. Dieses altehrwürdige Gremium von Intellektuellen wacht mit Argusaugen seit nahezu vier Jahrhunderten über das Niveau der französischen Sprache.
Im Vatikan ist Latein weiterhin offizielle Amtssprache: Die lateinische Abteilung im Staatssekretariat ist eine der größten Sprachsektionen der Kurienbehörde: Acht Mitarbeiter sind im zentralen Leitungsorgan der Weltkirche Tag für Tag mit dem Übersetzen von zumeist italienischen Dokumenten ins Lateinische beschäftigt. Nahezu alles, was den Papst betrifft, werde auf Latein ausgefertigt, sagt Antonio Salvi. Auch im Büro redeten die Kollegen bisweilen Latein, berichtet der Kapuzinermönch, der die Abteilung leitet.
Vatikanischen Verlautbarungen nicht nur erahnen
Wer kein staatliches Latinum besitzt, kann oft nur erahnen, wovon in vatikanischen Verlautbarungen die Rede ist. Päpstliche Botschaften zu besonderen Feierlichkeiten in den Diözesen wie der Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier, Erlasse für Selig- und Heiligsprechungen und Urteile der vatikanischen Kirchengerichte sowie zahlreiche andere Texte werden nur auf Latein veröffentlicht. Kirchenrechtliche Texte werden zumeist gleichzeitig in einer lateinischen und einer italienischen Version publiziert. Enzykliken erscheinen zuerst in den modernen Sprachen und einige Wochen oder Monate später in einer lateinischen Fassung. Benannt werden diese Lehrschreiben allerdings stets nach ihren lateinischen Anfangsworten: "Caritas in veritate", zu Deutsch "Liebe in Wahrheit", heißt etwa die letzte Enzyklika von Benedikt XVI. vom Juni 2009.
Auch als Verkehrssprache in der Weltkirche hat Latein keineswegs ganz ausgedient. So schrieb etwa jüngst ein betagter katholischer Bischof aus China in lateinischer Sprache einen Brief an die Teilnehmer der Bischofssynode im Vatikan. Das letzte Wort hat ohnehin in jedem Fall der Lateiner: Die in der Kirchensprache vorliegende Fassung eines Dokuments ist in Zweifelsfällen stets maßgeblich - auch in Fragen der Glaubenslehre. Die 1997 erschienene "typica latina" ist die verbindliche Ausgabe des Katechismus der Katholischen Kirche.
"Inserito Scidulam quaeso ut faciundam cognoscas rationem". Dieser Satz steht nicht im Katechismus und auch in keiner Enzyklika, sondern auf dem Bildschirm der Geldautomaten im Vatikan. Er bedeutet soviel wie "Schieben sie ihre Bankkarte in den Automaten". Sonst kommt die Kirchensprache im vatikanischen Alltagsleben außerhalb des Gottesdienstes allerdings kaum noch vor. Immerhin: An modernem Vokabular mangelt es mittlerweile auch der antiken Sprache nicht: das "Lexicon Recentis Latinitatis" hält für annähernd jede Lebenslage der Moderne die passende Wendung bereit: Das Wörterbuch enthält lateinische Wortschöpfungen für 15.000 Vokabeln des heutigen Lebens. Zigarette heißt etwa "Fistula nicotiana", wörtlich "nikotinhaltige Röhre", "fiscale pretii additamentum", wörtlich "staatlicher Preisaufschlag" ist die Mehrwertsteuer. Herausgeber des Werks ist die vatikanische Stiftung "Latinitas", die 1976 von Papst Paul VI. ins Leben gerufen wurde und nun in der neuen Akademie aufgehen soll.
Kirchenpolitischer Zankapfel
Spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) ist die lateinische Sprache auch zum kirchenpolitischen Zankapfel geworden. Um allen Gläubigen eine aktive Teilnahme an der Liturgie zu ermöglichen, hatte das Konzil den Weg für Gottesdienste in den Landesprachen geebnet. Traditionalisten betrachten die weitgehende Ablösung des Lateinischen bis heute als eine Verflachung der Liturgie. Oft geht dieser Vorwurf einher mit einer grundsätzlichen Ablehnung der Liturgiereform von 1969/1970. Allerdings sieht auch das neue Messbuch die Möglichkeit von Gottesdiensten in lateinischer Sprache vor. Eine lateinische Messe muss also nicht zwangsläufig eine Messe nach dem Alten Ritus sein. Auch dieser wurde jedoch von Benedikt XVI. 2007 wieder in größerem Umfang zugelassen.
Das gesprochene Latein außerhalb des Gottesdienstes hatte in Rom seine letzte große Bastion in der päpstlichen Universität Gregoriana. An der von Jesuiten geführten Hochschule wurde das Fach Kirchenrecht bis 1988 in dieser Sprache unterrichtet - als letztes theologisches Fach. Die anderen Disziplinen hatten ihre Vorlesungen schon Mitte der 1960er Jahren auf Italienisch umgestellt.
Und so ist es kaum Zufall, dass einer der wenigen Kardinäle, die heute noch fließend Latein sprechen, der oberste Ausleger des Kirchenrechts ist: Kardinal Francesco Coccopalmerio, der Präsident des vatikanischen "Justizministeriums". Wer Latein hören möchte, kann jedoch auch auf die "Nuntii Latini" zurückgreifen. Die lateinischen Nachrichten von Radio Vatikan sind wöchentlich als Podcast von der Internetseite der deutschsprachigen Abteilung des päpstlichen Senders abrufbar. Ein Angebot, das offenbar nicht nur Lateinlehrer nutzen: Die "Nuntii Latini" haben nach Angaben von Radio Vatikan den größten Zuspruch unter den Angeboten der deutschsprachigen Internetseite. "Ne discere cessa!", sagt der Lateiner, "Höre nicht auf zu lernen".
Von Thomas Jansen