Henri Tincq übt scharfe Kritik an Gläubigen und Bischöfen

Publizist beklagt Rückzug des Katholizismus

Veröffentlicht am 02.04.2018 um 16:29 Uhr – Lesedauer: 
Frankreich

Paris ‐ Rechtsruck, Rückzug, fehlende Stellungnahmen von Bischöfen und Eingeschüchtertsein vor dem Islam: Der französische Religionsjournalist Henri Tincq lässt kein gutes Haar an der Kirche in Frankreich.

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Der Religionsjournalist Henri Tincq sieht einen Rechtsruck und einen Rückzug des französischen Katholizismus in die Sakristei. "Ich erkenne meine Kirche nicht wieder", sagte der langjährige "Le Monde"-Korrespondent im Interview des politischen Wochenmagazins "Le Point". Statt wie früher die Gesellschaft mitzugestalten und auch intellektuelle Impulse zu geben, flüchte sich ein großer Teil der Katholiken in Klosterexerzitien, schöne Liturgien und andere Aktivitäten für den eigenen Seelenfrieden. Ein anderer Teil verschanze sich hinter traditionalistischen Fundamentalismen.

Tincq vermisst nach eigenen Worten auch wegweisende Stellungnahmen französischer Bischöfe. So sei es ein Unding gewesen, dass sich die Bischofskonferenz bei den Präsidentschaftswahlen 2017 nicht zum Aufstieg des rechtspopulistischen Front National positioniert habe. Die Bischöfe seien von der Angst gelähmt gewesen, einen Teil ihrer schrumpfenden Herde durch eine deutliche Ansage zu verprellen.

Versteinerung der Kirche

Der Journalist, dessen neues Buch "Die große Furcht von Frankreichs Katholiken" soeben erschienen ist, diagnostiziert einerseits eine "Versteinerung" der Kirche; jeder zweite noch aktive Priester im Land sei über 75 Jahre alt. Andererseits ließen sich die Gläubigen vom Islam und einem immer offensiveren Laizismus einschüchtern. Viele flüchteten in eine "antimoderne Gegengesellschaft" und folgten dem "obsessiven" Gerede vom Untergang des christlichen Abendlandes in rechten Blogs und Sozialen Medien.

Der langjährige Vatikan-Korrespondent von "Le Monde" nimmt auch wahr, dass sich verunsicherte Katholiken vom offenen Kurs von Papst Franziskus abgeschreckt fühlten. Dabei sei es dessen großes Verdienst, die Widersprüche des Katholizismus in der modernen Welt deutlich anzusprechen: "Konservieren wir eine normative, dogmatische und ritualisierte Kirche, einen Katholizismus, der sich in einer Kritik an der Moderne, an Multikulturalität und Globalisierung erschöpft? Oder wollen wir einen einladenden Katholizismus, der sich für Neues und für die Ränder öffnet, auch in sozialer und moralischer Hinsicht?", fragt Tincq. Diese Frage sei keineswegs neu, aber seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) noch drängender geworden. (KNA)