Vatikan-Museumsdirektor Arnold Nesselrath im Gespräch

Raffael, die Kunst und der Medienhype

Veröffentlicht am 07.08.2017 um 13:45 Uhr – Lesedauer: 
Kultur

Vatikanstadt ‐ Eine Sensation? Im Vatikan wurden angeblich zwei Werke von Raffael "entdeckt". Das ist keine Neuigkeit, sagt Arnold Nesselrath, Direktor in den Vatikanischen Museen. Der Medienhype hat ihn ziemlich gestört.

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Frage: Herr Nesselrath, vor einigen Wochen machte die Nachricht in den Medien die Runde, dass es eine Neuentdeckung im Apostolischen Palast gebe: Bei zwei Figuren in den Fresken in der Sala di Costantino habe man festgestellt, dass Raffael sie gemalt habe. Wie kam das?

Arnold Nesselrath: Es handelt sich um zwei weibliche allegorische Figuren, eine Comitas, Freundlichkeit, und eine Iustitia, Gerechtigkeit. Die Zuschreibung der Figuren an Raffael ist keineswegs neu, sie taucht schon seit Langem immer wieder mal in der Literatur auf. Ich selbst habe die Frage aus aktuellem Anlass seit zwei Jahren in wissenschaftlichen Vorträgen diskutiert. Neu ist an der Geschichte vor allem der Hype. Die Pressemeldungen liefern keine Gründe für die Zuschreibung und hinterfragen nichts kritisch. Die beiden Frauengestalten sahen schon immer anders aus als der Rest. Man wusste aus zeitgenössischen Quellen, dass Raffael hier mit Ölmalerei als Wandmalerei experimentieren wollte, und das andere Aussehen der Figuren legte nahe, was durch die Arbeiten auf dem Gerüst lediglich bestätigt wurde. Es war gerade deshalb notwendig, mit der Restaurierung bei ihnen zu beginnen, um die ästhetische Ausgewogenheit des ansonsten von den Mitarbeitern am Ende doch in Freskotechnik ausgemalten Raumes durch eine Reinigung nicht zu gefährden und den Grad der Reinigung darauf abzustimmen. Die Qualität der beiden Figuren ist ausgesprochen hoch. Das Spiel des Lichtes in den Draperien des Stoffes ist äußerst subtil, und der Maler hat es mit seinen nuancierten Farben eingefangen. Wie die einzelnen Farben gemischt und aufgetragen wurden und welche Farben wie miteinander in Beziehung gebracht wurden, lassen zusammen mit der unkonventionellen Wahl der Technik den Gedanken aufkommen, ob Raffael hier noch selbst beteiligt war.

Frage: Was stört Sie an der medialen Aufmerksamkeit?

Nesselrath: Sie lässt in Bezug auf die Kultur unserer Tage tief blicken. Es hat etwas mit Populismus zu tun: Den Menschen wird eine solchen Nachricht als Sensation präsentiert, sie springen darauf an, aber eine differenzierte Darstellung bleibt aus. Die flachen Botschaften, die bei solchen Hypes benutzt werden, machen einen Diskurs unmöglich. Aber differenzierte Diskussionen sind wichtig, man braucht sie nicht nur in der Kultur, sondern auch in anderen Bereichen der Gesellschaft und vor allem im politischen Bereich.

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Frage: Welche Diskussion wäre denn um die beiden vermeintlichen Raffael-Figuren nötig?

Nesselath: Wir sind zurzeit dabei, die Iustitia zu reinigen. Hier sind uns technische Differenzen gegenüber der Comitas aufgefallen. Dies führt zu der Überlegung, ob beide Figuren wirklich von derselben Hand gemalt worden sind. Eine Restaurierung kann Anhaltspunkte für die Frage liefern, ob es sich noch um eine eigenhändige Malerei Raffaels handeln kann; diese Indizien müssen aber mit den historischen Fakten, den zeitgenössischen Quellen, der hohen Qualität der Malerei und stilistischen Phänomenen zusammengesehen werden. Das Geschehen rankt sich eng um Raffaels Tod; der zeitliche Spielraum, in dem sich alles abspielt, beträgt nur ein paar Monate. Diese Überlegungen und entsprechende Untersuchungen stehen im Wechsel, brauchen Zeit und wirken natürlich auf die Arbeiten zurück. Die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen müssen schließlich in einer Abschlusspublikation erläutert werden. Mitten in diese Diskussion kommt nun der Hype.

Frage: Also hätte da gar nicht drüber berichtet werden sollen.

Nesselrath: Doch, es ist wichtig, über solche Vorgänge zu berichten. Museen sind Bildungseinrichtungen. Wie Museumsarbeit vonstattengeht, sollte der Öffentlichkeit nahegebracht werden. Aber Kultur ist kein Populismus-Objekt. Sie betrifft den individuellen Menschen: Hier wird einmal mehr evident, was in unserer Gesellschaft im Moment falsch läuft. Man darf ein Ergebnis nicht vorwegnehmen, bevor man es untersucht hat.

Arnold Nesselrath  im Porträt
Bild: ©KNA

Arnold Nesselrath ist Kunsthistoriker und Direktor der Abteilung für byzantinische, mittelalterliche und moderne Kunst in den Vatikanischen Museen.

Frage: Wie kann man denn von der Kultur lernen?

Nesselrath: Die Kultur ist vielleicht das letzte einigende Band der Menschheit, sogar über unterschiedliche Religionen hinweg. Man muss sich wieder an einen Diskurs gewöhnen und offen bleiben, eben keine flachen Mitteilungen akzeptieren und den anderen und dessen Werte respektieren. Dazu gehört auch, festzustellen, dass man Geschichte nicht ungeschehen machen kann: Die Sprengungen von Palmyra durch den IS sind ein historisches Faktum, das man nicht durch einen Wiederaufbau umkehren kann. Kultur ist nicht nur Schule und Universität. Es ist ebenso Aufgabe des Museums, die Menschen fortzubilden. Museen sind keine staubigen Einrichtungen. Sie müssen dafür sorgen, dass mit dem Menschen dort etwas passiert. Der Mensch soll anders wieder herauskommen, als er hineingegangen ist.

Frage: Wie kann man es als Museum schaffen, auch Menschen anzusprechen, die kulturellen Angeboten weniger nahe stehen?

Nesselrath: Natürlich müssen einige besondere Exponate anziehen. Das Museum muss aber die Menschen fordern und ihr Interesse stimulieren. Bis vor einigen Tagen lief hier in Rom die Ausstellung "Die Menorah. Kult, Geschichte und Mythos", gemeinsam organisiert von den Vatikanischen Museen und dem Jüdischen Museum der Stadt. Hier ging es um den jüdisch-christlichen Dialog, um den Respekt vor dem, was dem anderen heilig ist, vor allem aber um gemeinsame Initiativen bei unterschiedlicher Ausgangsperspektive.

Frage: Wie sprechen denn die berühmten Stanzen des Raffael im Apostolischen Palast die Menschen an? Manches ist ja sehr martialisch, etwa die Schlacht bei der Milvischen Brücke, bei der Kaiser Konstantin I. gewann und den Sieg dem christlichen Gott zuschrieb.

Nesselrath: Es gibt hier viel brutalere Szenen: In der Sixtinischen Kapelle zum Beispiel sieht man David, wie er den am Boden liegenden Goliath enthauptet, und Judith mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes. Die Grausamkeit solcher Bildpropaganda, die wir heute aus anderen Bereichen kennen, die aber auch dem Christentum eigen war, wird heute leicht übersehen und im Bereich der Kunst glorifiziert. Dem Besucher sollte dies bewusst gemacht werden, wir sollten alle darüber nachdenken! Es ist wichtig, dass sich der Betrachter darauf einlässt, dann kann die Kunst den Betrachter verändern.

Das Fresko "die Schule von Athen" von Raffael zeigt die Philosophen der griechischen Antike.
Bild: ©picture-alliance / akg-images

Im Fresko "Die Schule von Athen" in der Stanza della Segnatura porträtierte Raffael die Philosophen der griechischen Antike. In der Mitte stehen Platon (links) und Aristoteles.

Frage: Darf man denn dann auch die schönen Seiten bewundern?

Nesselrath: Auf jeden Fall. Kunst soll selbstverständlich erfreuen. Es kann durchaus eine Herausforderung darstellen, sich etwa mit Raffaels Fresko der Schule der Philosophen oder dem der Disputa del Sacramento auseinanderzusetzen. Jeder geht anders damit um. Diesen Dialog zwischen Betrachter und Kunstwerk zu provozieren, darin besteht gerade die Faszination von Kunst. Über 2.000 Jahre Christentum haben uns die abendländische Kunst beschert. Das ist Teil unseres Wesens und unserer Geschichte – übrigens mit jüdischen und klassischen Wurzeln und mit starken islamischen Einflüssen.

Frage: Im Apostolischen Palast gibt es auch viele Darstellungen, die Macht und Religion verbinden.

Nesselrath: Nicht nur Julius II., der die ersten Fresken Raffaels im Vatikan in Auftrag gegeben hatte, war der Meinung, dass das Papsttum nur zu retten ist, wenn es territoriale Macht hat. Einer solchen Haltung wollte ich mit der Menorah-Ausstellung etwas entgegensetzen und zeigen, dass man auch aus unterschiedlicher Perspektive das respektieren kann, was dem anderen heilig ist, und dass man dennoch etwas Gemeinsames schaffen kann, das trotz der unterschiedlichen Perspektiven verbindet. Die Zusammenarbeit mit den jüdischen Kollegen war eine großartige Erfahrung: Man wird ganz unerwartet einer anderen Kultur teilhaftig und nimmt seine eigene anders wahr. Ein solcher Austausch lehrt, friedlich miteinander umzugehen.

Von Johanna Heckeley

Linktipp: Späte Hommage

Eigentlich war die Restaurierung der Konstantins-Fresken bereits für das Gedenkjahr 2012/13 geplant. Aber erst Ende 2014 begannen die Arbeiten an den vier monumentalen Bildern in den Vatikanischen Museen - und sind noch längst nicht abgeschlossen