Ratzinger, der Ältere
Seine ungeplante zweite Karriere als engster Verwandter des katholischen Kirchenoberhaupts begann am 19. April 2005, da war er schon mehr als zehn Jahre im Ruhestand. Plötzlich wollte alle Welt von ihm wissen, wie Benedikt XVI. denn so tickt, beruflich und privat. Der drei Jahre ältere der Ratzinger-Brüder gab bereitwillig Auskunft, nach dem Geschmack einiger Vatikan-Mitarbeiter manchmal zu bereitwillig, etwa wenn es um die nicht immer stabile Gesundheit des Papstes ging. Doch bald meisterte er die diplomatisch anspruchsvolle Rolle als Intimus einer Weltprominenz souverän.
Georg Ratzinger war für die menschliche Seite des Papstes zuständig. Theologische oder kirchenpolitische Kommentare ließen sich ihm selten entlocken. Dafür konnte er anrührend schildern, wie sehr sich Klein-Joseph als Zweijähriger vom Christkind nichts sehnlicher als ein "Teddybärle" wünschte. Drohte eine falsche Legendenbildung, grätschte er auch mal dazwischen, etwa als der Literat Günter Grass die Anekdote in die Welt setzte, er sei dem jungen Joseph Ratzinger 1945 in Oberbayern in einem Lager für Kriegsentlassene begegnet.
Der Name und der weiße Talar bleiben
Eisern schwieg er über Monate, nachdem ihn Benedikt XVI. 2012 frühzeitig über seine Rücktrittsabsicht ins Bild gesetzt hatte. Das brüderlich geteilte Geheimnis blieb bewahrt. Als die Öffentlichkeit später spekulierte, unter welchen Umständen der Papst seinen Ruhestand verbringen werde, hielt Georg Ratzinger hingegen nicht hinterm Berg: Den Titel "Heiliger Vater" werde er ablegen, nicht aber seinen nach dem Konklave gewählten Namen und auch nicht den weißen Talar . So kam es dann auch.
In gewisser Weise gelte "einmal Papst ist immer Papst", sagte Ratzinger damals verschmitzt, obwohl das dogmatisch und kirchenrechtlich nicht ganz stimmt. Schließlich handelt es sich um ein Wahl- und kein Weiheamt. Beim Kirchenvolk und in der Öffentlichkeit hat sich diese Sicht dennoch durchgesetzt, und das erstaunlich unspektakulär. Rom-Pilger berichten begeistert, sie seien bei den "beiden Päpsten" gewesen. Insofern ist auch Georg Ratzinger geblieben, was er war, nämlich Bruder des einen.
Dabei war er in seinem früheren Leben auch schon etwas. Mit den Regensburger Domspatzen bestritt der Kirchenmusiker von 1964 bis 1994 mehr als 1.000 Konzerte in aller Welt. Nur ein Jahr nach seinem Amtsantritt produzierte er die erste Schallplatte, natürlich eine Messe, von Franz Schubert. Viele Aufnahmen folgten. So mehrte er den Ruhm der jungen Sänger. Als Priester war ihm indes der liturgische Dienst des Chors in der Bischofskathedrale das Wichtigste.
Der "Orgel-Ratz" und der "Bücher-Ratz"
Zum Heiligen Jahr 2000 steuerte er eine Komposition bei, die von modernen Harmonien durchsetzte "Missa l'Anno Santo". Das Werk wird vier Tage nach seinem Geburtstag erneut im Regensburger Dom erklingen. Der "Orgel-Ratz", wie er früher genannt wurde, in Absetzung zu seinem gelehrten Bruder, dem "Bücher-Ratz", unterhält zu einigen seiner Schüler bis heute enge Bindungen. Sie besuchen ihn regelmäßig und lesen ihm aus der Zeitung vor. Das Augenlicht lässt den Betagten inzwischen fast völlig im Stich.
Einen schweren Schlag musste Georg Ratzinger am 10. November letzten Jahres verkraften. Da starb seine langjährige Haushälterin Agnes Heindl. Er konnte sich nicht mehr von ihr verabschieden, denn er war gerade bei seinem Bruder in Rom. Die gute Seele fehlt ihm sehr - nicht nur am 90. Geburtstag.
Von Christoph Renzikowski (KNA)