Erzbischof aus Kongo zu Massenvergewaltigung und Rohstoffhandel

Rufer nach Gerechtigkeit

Veröffentlicht am 11.12.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Menschenrechtspreis

Bonn ‐ Erzbischof Francois-Xavier Maroy Rusengo (56) steht mit seinem Leben für Versöhnung und Frieden in der Krisenprovinz Kivu im Osten der Demokratischen Republik Kongo - nur knapp ist er einem Mordanschlag entgangen. Wo Massenvergewaltigungen ein Mittel der Konfliktparteien sind und Ausbeutung und Verschleuderung von Bodenschätzen die Maschinerie des Krieges befeuern, predigt er Gerechtigkeit.

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Dafür erhielt er am Montagabend den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt Maroy, was er von den Europäern erwartet.

Frage: Herr Erzbischof, Ihre Region Kivu ist in diesen Tagen im Blick der Weltöffentlichkeit. Goma, nicht weit von Ihrer Bischofsstadt Bukavu, wurde vorübergehend von der Rebellengruppe "M23" besetzt. War es schwer, Ihre Diözese in dieser Phase zu verlassen?

Maroy: Während der Besetzung von Goma war die Lage unklar. Aber zuletzt schien es mir doch möglich zu reisen. Ich stand hier im Wort, war vom Hilfswerk missio eingeladen und möchte auch hier in Deutschland etwas bewirken. Missio kann unsere Stimme weiter tragen, als wir das im Kongo könnten. Ich bete, dass in dieser Zeit nicht wieder noch Schlimmeres in meinem Land geschieht.

Frage: Die Nachrichten über schlimmste Menschenrechtsverletzungen im Osten des Kongo reißen nicht ab. Hat die Kirche irgendeinen vernünftigen Ansprechpartner, mit dem politisch etwas zu erreichen ist?

Maroy: Die Krise ist permanent, eine Abwärtsspirale. Wir können nur unsere Kontakte stärken, noch mehr appellieren, die Waffen niederzulegen. Wir können nicht einfach jedem vertrauen; wir dürfen aber auch nicht jedem misstrauen, sondern müssen die Menschen und die Regierenden ermutigen, gemeinsam Schritte Richtung Frieden zu gehen.

Frage: Welche Rolle spielt Ruanda in dem Konflikt?

Maroy: Die Rebellen in Bukavu haben ihre Basis in Ruanda. Aber es handelt sich nicht um einen ethnischen Konflikt. Die Grenzen sind offen, die Leute reisen, können sich frei bewegen. Es gibt Schüler und Studenten, die in Bukavu zur Schule gehen. Wenn das ein Krieg zwischen Völkern wäre, dann müssten die Grenzen geschlossen werden. Wer sich aber für Frieden einsetzt, der lebt in Bukavu gefährlich.

Frage: Was erwarten Sie von Europa?

Maroy: Selbst der Papst hat am Mittwoch zum Frieden im Kongo aufgerufen. Es gibt so viel Elend, so viele Tote, so viel Leiden. Es könnte in der internationalen Gemeinschaft viel mehr Initiativen dagegen geben, die ein Echo haben könnten. Alle ausländischen Aggressoren raus aus dem Land - solche Appelle wären wichtig.

Frage: Würden die denn gehört?

Maroy: Es wäre ein Zeichen der Solidarität, des guten Willens.

Zur Person: Francois-Xavier Maroy Rusengo

Der katholische Erzbischof von Bukavu, Francois-Xavier Maroy Rusengo, setzt sich im umkämpften Osten der Demokratischen Republik Kongo unter Einsatz seines Lebens für Frieden und Versöhnung ein. Nur knapp entging er einem Attentat; das Einschussloch in seinem Büro hat er mit einem Schrank verdeckt. Für die Opfer von Massakern und Vergewaltigungen baute der Erzbischof in seiner Diözese Betreuungszentren auf. Den umkämpften Rohstoff Koltan, dessen Ausbeutung den bewaffneten Konflikt anfeuert, hält er für ein Allgemeingut - allerdings auch den technologischen und wirtschaftlichen Nutzen daraus. (KNA)

Frage: In Ihrem riesigen Land leben Hunderttausende, ja Millionen Menschen als ausländische Kriegsflüchtlinge und als Binnenvertriebene. Sehen Sie für diese Menschen eine Perspektive?

Maroy: Den Frieden. Einen anderen Ausweg gibt es nicht. Ohne Frieden ist keine Rückkehr zu sich selbst möglich, und auch nicht in die Heimat. Die Leiden sind so unbeschreiblich groß und vielseitig: körperlich, psychisch, materiell. Warum? Weil Krieg ist. Und warum ist Krieg? Weil die Menschen Waffen haben. Weil sie ihnen jemand gegeben hat. Weil sie damit Menschen vertreiben sollen. Weil mit dem Land, dem Boden Geschäfte zu machen sind. Weil, weil, weil. Und diese ganze Kette führt ganz am Ende auch zu uns, zu uns allen. Wir sind nicht unbeteiligt, auch wenn wir so tun.

Frage: Sie meinen etwa den illegalen Handel mit Koltan, das zur Herstellung von Handys benötigt wird - und mit dem die Rebellen durch Preise unter Weltmarktniveau Hunderte Millionen Euro erwirtschaften.

Maroy: Gott hat das Koltan nicht nur für die Kongolesen in die Erde gelegt. Es soll allen gehören, wie die Luft zum Atmen. Aber es muss auch den Menschen hier zugutekommen, es muss der Bevölkerung Einkommen verschaffen. missio sammelt Unterschriften für faire Handys, damit künftig Koltan aus korrekt geführten Minen kommt. Und wenn die in Europa einen Euro mehr kosten würden - wäre das so schlimm? Ein kleiner Beitrag.

Frage: Der Dialog mit den Handyherstellern über die Ächtung von blutigem Koltan ist offenbar nicht einfach. Nur Nokia zeigt sich aufgeschlossen und die Telekom. Die anderen schweigen.

Maroy: Die Firmen reagieren nicht? Dann müssen wir sie umso stärker einladen, mit uns zu reden. Lassen wir nicht locker. Ein Privatvermögen von einer Milliarde? Wie viele Lebensjahre kann man sich dafür kaufen? Jeder muss sterben, auch die Reichen. Es hat sechs Millionen Tote durch Gewalt im Kongo gegeben. Wir müssen alle Unternehmen, alle Gesellschaften, alle Menschen erreichen, die vom Leiden so vieler Menschen profitieren.

Frage: Das ist ein dickes Brett zu bohren. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?

Maroy: Wir erleben 2012 grausame Gewalttaten. Wir haben sie 2011 erlebt, 2004, 1998. Die Menschen haben nie begreifen wollen, dass man nichts gewinnt, wenn man Unrecht tut. In der Kolonialzeit: Tod, Ausbeutung, Unterdrückung. Christus wurde vor 2.000 Jahren getötet, gekreuzigt, weil man seine Botschaft nicht hören wollte. Seitdem versucht die Kirche nun, die Botschaft von Frieden und Erlösung zu vermitteln. Meinen Sie, dass man in Deutschland schon alles begriffen hat, was Jesus wollte? Jeden Tag sehe ich die Leiden der Menschen im Kongo, und deshalb mache ich damit weiter, was Christus uns aufgetragen hat - auch mit aus Deutschland geförderten Hilfsprojekten für die Traumatisierten.

Frage: Massenvergewaltigungen sind im Kriegsgebiet an der Tagesordnung, teils aus Willkür, teils als Mittel zur Zerstörung des Zusammenhalts ganzer Dorfgemeinschaften. Rebellen, aber auch reguläre Truppen greifen zu dieser grausamen Willkür.

Frage: n unserer Sprache gibt es das Wort Vergewaltigung gar nicht. Das heißt, in unserer Kultur gab es dieses Phänomen bislang nicht; es ist neu bei uns. Das ist pure Barbarei, so schwer zu begreifen: Wie kann man in Wut "Liebe machen"? Das ist ein Widerspruch in sich. Einen Akt der Liebe und des Vergnügens so in Gewalt zu verkehren. Welche Schule hat uns das gelehrt?

Das Interview führte Alexander Brüggemann