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Die Russen , Ukrainer , Kasachen oder Georgier wollen gemeinsam beten und haben dafür teils weite Wege in Kauf genommen - von der Schweizer Grenze, dem Bodensee bis weit über Pforzheim und Karlsruhe hinaus. In der Kirche ist es warm und dämmrig. Kronleuchter, bunt bemalte Seitenfenster und Kerzen erhellen den reich mit Ikonen und Fresken geschmückten Raum. Rund 150 Gläubige haben sich zur Liturgie versammelt. Sie stehen. Immer wieder verneigen und bekreuzigen sie sich - Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammengelegt - am Ende des Glaubensbekenntnisses oder beim Nennen der Heiligen Dreifaltigkeit.
70 russisch-orthodoxe Gemeinden
Baden-Baden ist eine von rund 70 russisch-orthodoxen Gemeinden in Deutschland und bei weitem nicht die größte. Die mehr als 130 Jahre alte Kirche zur "Verklärung des Herrn" ist nach Meinung vieler Besucher in großem Umkreis aber die schönste.
Russische Adelige, die im 19. Jahrhundert oft und lange in dem Kurort weilten, hatten dafür Spenden gesammelt. Die Stadt hatte der russischen Gemeinde das Grundstück geschenkt. 1881/82 wurde der dreischiffige Sandsteinbau auf dem Grundriss eines griechischen Kreuzes nach Plänen des russischen Architekten Iwan Strom errichtet. Seitdem werden in der Kirche, die heute der "russisch-orthodoxen Kirche im Ausland" gehört, die Gottesdienste gefeiert.
Keine Unterschiede
Hat der ukrainisch-russische Konflikt an dem friedlichen Nebeneinander der Nationen in dem Gotteshaus etwas geändert? Nein, sagt der serbische Erzpriester der Kirche, Miodrag Glisic: "Wir unterscheiden nicht zwischen Russen und Ukrainern. Wir sind alle Orthodoxe in der einen Kirche von Jesus Christus ."
Wer woher kommt, ist auch für Vladimir Mostoveckij kein Thema. Der Ukrainer verkauft am Eingang Kerzen, Postkarten und kleine Heiligenbildchen und betont: "Wir sprechen alle zusammen."
Es ist ein uralter feierlicher Ritus, nach dem der Gottesdienst zelebriert wird. Dass sich die orthodoxe Kirche nicht primär als belehrende, sondern als betende, Gott ehrende Gemeinschaft versteht, zeigt sich bei der Predigt. Priester Miodrag Glisic steht dabei nahe an den Menschen und spricht wie einer von ihnen. Teils stimmt der Chor die altkirchenslawischen Lieder alleine an, teils singen die Gläubigen mit. Gesangbücher braucht hier niemand. Rechts stehen die Männer, links die Frauen, den Kopf nach orthodoxer Tradition bedeckt.
Politik als Tabu
Nicht alle halten sich daran. Aber so genau nimmt man es in Baden-Baden nicht. Nur in einem ist Erzpriester Glisic strikt: Politik bleibt in der Kirche außen vor. "Es ist ein Tabu, darüber zu sprechen", berichtet ein Rechtsreferendar aus Georgien. Der junge Mann, der zur Zeit am Landgericht Station macht, kommt oft hierher. Ein bisschen auch aus Heimweh. Beim gemeinsamen Mittagessen nach dem Gottesdienst unter der Kirche lernt man sich kennen und tauscht sich aus. Auch über Ereignisse von daheim.
Vieles sieht man in diesem Kreis in deutschen Medien als zu "einseitig gegen Russland" dargestellt. Das findet etwa die Ukrainerin Julia Schmidt, die regelmäßig zwischen Baden und Kiew pendelt.
„Was in der Ukraine passiert, tut so weh“
Das gemeinsame Leben war unkompliziert
Dem aus Russland stammenden Karlsruher Kinderarzt Dimitrij Poletajew geht es ähnlich. Er kann ohnehin nicht nachvollziehen, warum Ukrainer und Russen plötzlich nicht mehr zusammengehören sollen. Schließlich gilt das mittelalterliche Großreich Kiewer Rus als Vorläufer der heutigen Staaten Russland, Ukraine und Weißrussland. Und was Baden-Badens berühmte Dichtergäste Fjodor Dostojewski, Iwan Turgenjew, Lew Tolstoi oder Nikolai Gogol angeht, so liefen die hier wie anderswo immer unter russischem Etikett. Obwohl Gogol genaugenommen Ukrainer war.
"Die Trennung ist künstlich", sagt Poletajew, dessen Mutter Ukrainerin ist, der Vater Russe. "Unser gemeinsames Leben war unkompliziert." Das sagt auch die mit einem Deutschen verheiratete Lebensmittelchemikerin Angela Möllhoff: "Ich bin Ukrainerin, aber in Russland aufgewachsen. Wir hatten nie irgendwelche Differenzen."
Papiercontainer vor Kirche in Brand gesteckt
Und der Brandanschlag auf die russische Kirche? In der Nacht zum 27. April ging ein Papiercontainer vor der Kirche in Flammen auf. Andere Teile des Anwesens wurden mit Brandbeschleuniger besprüht. Verletzt wurde niemand. Die Feuerwehr konnte den Brand schnell löschen. Wer das Feuer legte, weiß die Polizei bis heute nicht. Hyperdiakon Sergej Celini will das nicht zu hoch hängen und sieht nicht unbedingt politische Motive.
Viele der heutigen Kirchgänger wissen gar nichts davon. Der Gottesdienst neigt sich dem Ende zu. Nach zwei Stunden mischt sich in den feierlichen Gesang des Kirchenchors zunehmend das müde Quengeln der jüngsten Besucher.
An diesem Sonntag wurde nicht eigens für den Frieden in der Ukraine gebetet oder der Toten gedacht. In Gedanken sind die Gläubigen ohnehin bei den Geschehnissen in der Heimat. "Es ist eine Tragödie - die Leute dort werden ohne Grund getötet", bedauert ein russischer IT-Spezialist und Vater von vier Kindern. Alle hier haben nur eine Hoffnung: Dass endlich wieder Frieden wird. "Was in der Ukraine passiert, tut so weh ", sagt eine Frau und steckt eine Kerze an.
Von Susanne Kupke (dpa)