Sensationsfund im Kloster: Wem gehörte der Schatz?
Die Szene steigt vor dem geistigen Auge auf wie feuchter Novembernebel aus dem Flüsschen Grosne. Stockfinstere Nacht in der Abtei von Cluny in Burgund. Die Mönche des größten Klosters der Christenheit schlafen ihren grausam kurzen Schlaf. Bald schon ist die nächste Gebetszeit dran. Niemand sieht den Schatten durch die Dunkelheit der Gänge gleiten. Niemand hindert ihn daran, sich in der Krankenstation zu schaffen zu machen. Und niemand, kein Mensch, wird für die nächsten fast 900 Jahre erfahren, was er dort tat.
Es ist der Traum eines jedes Archäologen: Bei Routinegrabungen im Kloster Cluny haben Forscher 2.200 mittelalterliche Münzen und mehrere wertvolle Goldobjekte gefunden. Darunter zahlreiche Silbermünzen, knapp zwei Dutzend arabische Golddenare, ein Siegelring mit Edelsteinen und weitere goldene Gegenstände; alles weist auf die Zeit um 1135 hin - wer mag sich da nicht wie ein Schliemann des Mittelalters fühlen? Einem Forscherteam der Universität Lyon, neun Studenten und zwei Projektleiter, ergeht es derzeit genau so. Die Arbeit aber fängt jetzt erst an.
Noch nie eine solche Menge Silbermünzen gefunden
Nie zuvor, so teilt die Uni mit, sei ein solch großer Haufen Silbermünzen an einem einzigen Ort gefunden worden; und nie arabische und christliche Münzen dieser Menge zusammen mit einem Siegelring. Die Silberdenare, damals Alltagswährung, wurden - soviel steht fest - zumeist vom europaweiten Klosterimperium Cluny selbst geprägt, wohl zwischen 1120 und 1134. Der Rest ist pures Geheimnis. Goldmünzen - in diesem Fall in den 1120er Jahren unter der Herrschaft des Berbers Ali Ben Jussuf in Spanien oder Marokko hergestellt - waren außergewöhnlichen Rechtsgeschäften vorbehalten. Und der Siegelring?
Projektleiterin Anne Flammin beschreibt den Fund im heutigen Klostergarten so: Ziel der Routinegrabung war die Suche nach den Grundmauern des Großen Saals der mittelalterlichen Krankenstation. Sie war in den 1620er Jahren im Zuge großer barocker Neubauten zerstört worden. Schon am allerersten Tag der Kampagne beobachtete eine ihrer jungen Studentinnen merkwürdige Absenkungen, als der Bagger ein Probeloch aushob. Und tatsächlich: In 70 Zentimeter Tiefe gab es ein Loch in der Verfüllung; und darin der Lederbeutel mit dem Schatz.
So besonders die Kompilation an einem Ort - als Vermögen taugte der Schatz höchstens für eine Einzelperson. Ein Kirchenfürst? Ein reicher Adliger der Region, der das Privileg hatte, im Hospital von Cluny behandelt zu werden? Der vergeblich auf Genesung hoffte und seine "eiserne Reserve" dann doch nie mehr zurückholen konnte? Auf den Kaufpreis von drei bis acht Pferden schätzt der Doktorand Vincent Borrel die Summe - oder auf sechs Tage für den Etat des Megaklosters europäischer Ausmaße. Das hieße im Umkehrschluss: 60 solcher Schätze für ein Jahr Betriebskosten...
Klosterkirche war lange das größte Gotteshaus der Christenheit
Die Abtei von Cluny war im hohen Mittelalter die größte Westeuropas. Und der Klosterkomplex von Cluny war um das Jahr 1000 überaus reich - paradoxerweise. Gegründet im Jahr 910 von glühenden Asketen, die das radikale Armutsideal des benediktinischen Mönchtums erneuern wollten, zogen sie mit ihrer Strahlkraft in ganz Europa Tausende junger Männer an, die ein anderes Leben suchten - und dann Tausende frommer Stiftungen, mit denen die Reichen der Zeit ihr ewiges Seelenheil zu befördern wünschten. So entstand ein mächtiges, hierarchisch organisiertes Klosterimperium, das sich über ganz Europa erstreckte.
Mit dem Neubau der Klosterkirche entstand das über Jahrhunderte größte Gotteshaus der Christenheit. "Cluny III" war mit 187 Metern Länge um mehr als die Hälfte größer als die frühchristliche Basilika Sankt Peter in Rom. Um 1135, als der Unbekannte seinen Schatz vergrub, wurden gerade die letzten Meter der Vorhalle und die Westtürme errichtet. Es sind genau jene Jahre, in denen der Orden seinen geistlichen Zenit überschritt. Das global agierende Unternehmen Cluny wurde zu komplex und kompliziert. Neben der Verselbstständigung einzelner Klöster brachten die aufkommende Geld- statt Naturalwirtschaft und die drückenden Kosten für die riesigen Repräsentationsbauten das große Schiff allmählich ins Schlingern. Zeit vielleicht, seine Habe in Sicherheit zu bringen.