Sicherheitsrisiko Kirche
Zu retten war kaum noch etwas, als vor kurzem im baden-württembergischen Walldürn die Feuerwehr gerufen wurde. Die dortige Wallfahrtskapelle brannte samt nachempfundener Lourdes-Grotte völlig aus, allein die weiße Madonnenfigur aus Gips hat – wenn auch leicht verrußt – das Feuer überstanden. Wie durch ein Wunder, pflegt man in solchen Fällen wohl zu sagen. Es war indes kein mit seiner Kirche entzweiter Sünder, der die Andachtsstätte einäscherte. Vermutlich wurde das Feuer durch Kerzen ausgelöst, die irgendwo nicht ganz sachgemäß ihrem Ende entgegenflackerten.
Kirchen sind einem Brand abwehrlos ausgesetzt
Einfache Kerzen ohne schützende Hülle dürfen von den Pilgern in der Kapelle zwar eigentlich überhaupt nicht entzündet werden, doch vielleicht kannte nicht jeder der Wallfahrer dieses Verbot. Vielleicht standen die Kerzen auch zu eng, oder es war generell Hitze, die das Verhängnis auslöste. "Es ist der unglückliche Ablauf der Ereignisse durch die stark frequentierte Wallfahrt", ergibt sich der Walldürner Pfarrgemeinderat Helmut Hotzy angesichts einer solchen unsicheren Ausgangslage quasi schulterzuckend in sein Schicksal, und in der Tat: Nach Meinung des renommierten Brandschutzsachverständigen Sylwester Kabat sind Kirchen selbst "heutzutage einem Brand in den meisten Fällen abwehrlos ausgesetzt."
Die Gründe dafür sind einfach. Da Kirchen in der Regel nicht dauerhaft bewohnt sind und sie in unserer Gesellschaft – von Ausnahmen abgesehen - nicht mehr übermäßig stark frequentiert werden, werden Brände meist eher spät entdeckt und gemeldet, automatische Rauchmelder könnten hier Abhilfe schaffen. Sie ist umso wichtiger, als gerade viele alte Gotteshäuser nur über unzureichende Hilfseinrichtungen wie Sprinkleranlagen, Feuerschutztüren oder wenigstens leicht erreichbare Feuerlöscher verfügen. Diese Defizite wiegen deswegen noch schwerer, weil angesichts hoher und höchster Kirchtürme selbst moderne Feuerwehren schnell an die Grenzen der Leistungskraft ihrer Gerätschaften kommen.
Linktipp: Kerzen verursachten Brand in Wallfahrtskapelle
Das Innere der Wallfahrtskapelle in Walldürn wurde bei einem Brand Mitte Juni vollständig zerstört. Nur die Marienstatue überstand das Feuer. Ursache für das Unglück sollen Kerzen gewesen sein.Noch nicht einmal jeder zehnte Brand in einer Kirche entsteht indes durch Fehler im Umgang mit Kerzen. Weit häufiger, so ermittelte der auf historische Bauten spezialisierte Feuerschützer Kabat, liegt die Brandursache in häufig überalterten elektrischen Anlagen, in mangelnder Vorsicht bei Schweißarbeiten oder – Kirchen gehören nun einmal zu den in jeder Hinsicht herausragenden Bauten unserer Gesellschaft – ganz einfach in Einschlägen von Blitzen. Die Brände entstehen folglich zu weit mehr als einem Drittel im Kirchturm oder im Dachbereich, Beichtstühle bilden dagegen ganz unabhängig von der Schwere der in ihnen vorgebrachten Sünden noch nicht einmal zu vier Prozent einen Brandherd.
Doch das Risiko, in einen Brand zu geraten, ist nicht die einzige Gefahr, die Gottesdienstbesucher oder einsame Beter treffen kann. Das wohl bemerkenswerteste Beispiel dafür, wie ein Gotteshaus seine Besucher gefährden kann, findet sich in Frankreich. Es war der Himmelfahrtstag des Jahres 1573, an dem dort die Stadt Beauvais um Haaresbreite einer Katastrophe entging. Die Festprozession hatte gerade die Kirche verlassen, als der Vierungsturm der Kathedrale mit lautem Getöse in sich zusammensackte und bei diesem Einsturz auch Teile von Chor und Querschiff mit sich riss.
Kathedrale war bereits einmal eingestürzt
Eigentlich hätte man in dem nordfranzösischen Bischofssitz gewarnt sein sollen, da die gewaltige Kathedrale der Stadt knapp 300 Jahre zuvor bereits einmal in sich zusammengefallen war. Wie beim legendären Turmbau zu Babel wollte man auch in Beauvais höchst hinaus und unter Missachtung aller Gesetze der Statik alle Nachbarbistümer mit einem riesenhaften und dennoch grazilen Dom übertrumpfen. Nach dem damals gerade angesagten Baustil der Gotik schuf man einen wahren sakralen Wolkenkratzer: Der Turm war – solange er denn überhaupt stand – mit 153 Metern das höchste Bauwerk seiner Zeit, selbst das stehengebliebene Querhaus bildet mit 48,5 Metern Höhe immer noch das höchste Kirchengewölbe der Welt.
Nun ist die Gefahr wohl zu vernachlässigen, dass übertriebener Ehrgeiz und übergroße Prunksucht der kirchlichen Bauherren es in unseren Breiten ein zweites Mal zu einer solchen Katastrophe kommen lassen: Sowohl die Entwicklung der Theologie als auch die des weltlichen Baurechts stehen dem entgegen. Dennoch gilt es gerade in historischen Kirchenbauten einen steten Blick auf den Zustand der Bausubstanz zu richten. Deckenkonstruktionen müssen ebenso regelmäßig überprüft werden wie etwa Emporen, die vor Überlastung zu schützen sind. Hilfe und Beratung bieten den Gemeinden hier die Fachleute für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in den Ordinariaten, Unterstützung ist aber auch bei der für die Kirchen zuständigen Berufsgenossenschaft vbg zu finden. Mit Unterstützung der Deutschen Bischofskonferenz hält sie online den Leitfaden "Kirchliche Gebäude sicher nutzen" parat, in dem sogar möglicherweise von der Kirchendecke fallende Erntekronen als Problem angesprochen werden.
Frage nach ausreichenden Fluchtwegen bleibt offen
Ob in Kirchen immer und überall ausreichend Fluchtwege vorhanden sind, bleibt trotz dieser vielfältigen Hilfsangebote allerdings eine offene Frage. Die Lage ist hier etwas vertrackt. Zwar beruhigt man beispielsweise aus dem Erzbistum Köln mit unmissverständlichen Worten: "Je nach den individuellen örtlichen Gegebenheiten und Erfordernissen werden zu besonderen Anlässen - aber auch ganz grundsätzlich - alle Maßnahmen ergriffen, die für die Sicherheit jeweils erforderlich sind. Diese Maßnahmen umfassen unter anderem Regeln zu besonderen Flucht- und Rettungswegen sowie die Sanitätsvorsorge oder abgesperrte Bereiche", eine gesetzliche Verpflichtung, in dieser Art vorsorgend tätig zu werden, besteht jedoch überraschenderweise nicht. In den Versammlungsstättenverordnungen der einzelnen Bundesländer ist geregelt, dass ihre Vorschriften nicht für Räume gelten, "die dem Gottesdienst gewidmet sind".
Warum das so ist, lässt sich nur schwer verstehen. Eine Begründung, die vielfach gegeben wird, bezieht sich darauf, dass die Freiheit der Religionsgemeinschaften in Deutschland unter dem besonderen Schutz der Verfassung steht und der Staat sich daher generell davor hütet, in den Gestaltungsbereich der Religionen einzugreifen. Nach derzeitigen Regelungen kann es daher zu der kuriosen Situation kommen, dass bei einer gut besuchten Christvesper oder Ostermesse niemand auf freie Gänge und nicht verschlossene Nebenausgänge achten muss, während bei einem Orgelkonzert in derselben Kirche eine gesetzliche Verpflichtung zur Sicherung ausreichender Fluchtwege besteht. Der Grund: erstere sind Gottesdienste, letzteres ist eine kulturelle Veranstaltung. Also doch: Sicherheitsrisiko Kirche? So pauschal wohl kaum. Andererseits gibt es nichts, was sich mit Gottes Hilfe nicht noch verbessern ließe…