"Sie wollten gegen das Establishment stimmen"
Frage: Pater Reese, Sie haben eine aufregende Wahlnacht hinter sich. Mehr als die Hälfte der US-Katholiken hat gestern für Donald Trump gestimmt. Überrascht Sie das?
P. Thomas Reese SJ: Die ganze Wahl war eine große Überraschung, von Anfang bis Ende. All die Experten in Washington – Republikaner wie Demokraten – die denken, sie wüssten, was im Land passiert, lagen falsch mit ihren Einschätzungen. Die Meisten dachten, lateinamerikanische Katholiken würden stark genug für Clinton abstimmen, um ihr die Mehrheit der katholischen Stimmen zu bringen. Aber das ist nicht passiert. Weiße Katholiken haben überwältigend für Donald Trump gestimmt und ihm so geholfen, die Wahl zu gewinnen.
Frage: Was hat diese Katholiken dazu gebracht, Trump zu wählen?
Reese: Ich denke, das war größtenteils eine Protestwahl, vor allem von weißen Männern mit niedrigem Bildungsabschluss, die sich von Washington komplett abgehängt fühlen. Sie wollten gegen das Establishment stimmen. Sie haben nicht das Gefühl, dass die Regierung irgendetwas für sie tut, sie haben Angst um ihre Jobs und denken, dass es ihren Kindern einmal noch schlechter gehen könnte. Das ist besonders schlimm für Amerikaner, die ja immer denken, dass alles besser wird. Diese Menschen leiden wirklich unter der Globalisierung der technischen Entwicklung, die ihre Fabrikjobs überflüssig macht. Also schlagen sie zurück. Sie sind wütend und enttäuscht, sie wollen Veränderung. Und Donald Trump war der Kandidat der Veränderung.
Frage: Wie kann man diese Menschen zurück in den politischen und gesellschaftlichen Diskurs bringen? Und was ist dabei die Aufgabe der Kirche?
Reese: Das wird in erster Linie eine Herausforderung für Donald Trump. Er hat Dinge versprochen, von denen viele Menschen denken, dass er sie nicht umsetzen kann. Vielleicht werden seine Unterstützer ihm vergeben, wenn er seine Wahlversprechen bricht. Aber dieser Realität muss er sich eben stellen.
Die Kirche kann meines Erachtens nun eine außerordentlich wichtige Rolle dabei spielen, Versöhnung und Heilung in unser Land zu bringen. Die katholische Kirche ist eine der wenigen Organisationen in den Vereinigten Staaten, die fast gleich viele Republikaner und Demokraten in ihren Reihen hat. Sie umfasst Hispanics, Schwarze und Weiße und Menschen aus allen Bildungsschichten und wirtschaftlichen Milieus. Und wir haben viel Erfahrung in Sachen Dialog, besonders mit unseren protestantischen Brüdern und Schwestern. Wenn wir Republikaner und Demokraten dazu bringen können, so gut miteinander auszukommen wie Katholiken und Protestanten, wären die Vereinigten Staaten ein großartiges Land! Wir müssen die Werkzeuge, die wir im ökumenischen Dialog entwickelt haben, auf unser politisches Leben anwenden. Das ist die Rolle, die die Kirche spielen muss: Menschen dazu zu bringen, einander zuzuhören, zu respektieren und zu verstehen. Andernfalls fürchte ich, dass die Dinge noch schlimmer werden könnten.
Frage: In einigen Tagen wird die US-Bischofskonferenz zu ihrer Vollversammlung zusammenkommen. Erwarten Sie, dass die Frage nach Versöhnung auch dort ein Thema wird? Wird der Einfluss der Bischöfe in der politischen Arena nun wachsen?
Reese: Das ist eine große Frage. Die meisten Bischöfe versuchen, sich aus der Politik herauszuhalten. Manchen haben sich jedoch sehr deutlich positioniert und die Abtreibungsfrage zum entscheidenden Wahlthema erklärt. Damit haben sie angedeutet, dass Katholiken für Trump stimmen sollten. Diese Bischöfe werden sich nun bestätigt fühlen. Zugleich sind viele US-Katholiken Hispanics und Trump war eben der Kandidat, der sich deutlich sichtbar und hörbar gegen Einwanderung gestellt hat. Einerseits werden die Bischöfe sich also wohl mit der Frage beschäftigen, was Trump in Sachen Abtreibung unternehmen wird, anderseits müssen sie auch die Ängste in den Blick nehmen, die es bezüglich Trumps Einwanderungspolitik gibt.
Frage: Sie haben es angesprochen: Ein Thema, bei dem Donald Trump die Sicht der katholischen Kirche teilt, ist seine Haltung zur Abtreibung. Ist seine Wahl zum Präsidenten also wenigstens teilweise ein Sieg für alle Katholiken?
Reese: Das muss sich noch erweisen. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass Donald Trump ein starker Abtreibungsbefürworter war. Vor seiner Kandidatur hat er "Planned Parenthood" unterstützt. Wie tief ist seine Überzeugung bei der Abtreibungsfrage also? Während des Wahlkampfes hat er wenig Interesse am Thema gezeigt. Und als Präsident kann er auch nicht viel tun. Hauptsächlich wird es dabei um Berufungen der Richter am Supreme Court gehen. Mit einer Mehrheit könnten die Abtreibungsgegner dort die berüchtigte Roe-Wade-Entscheidung rückgängig machen, durch die Abtreibung generell legalisiert wurde. Aber selbst dann wäre Abtreibung in den USA nicht verboten, sondern es wäre Angelegenheit der Staaten und wir hätten einen Flickenteppich an unterschiedlichen Regelungen. Ich kann also nicht sehen, wie das Abtreibungsthema allein durch Trump als neuen Präsidenten komplett gedreht werden soll.
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Frage: Also war sein Wahlkampf mit dem Thema eine Täuschung? War es falsch, Donald Trump wegen seiner Haltung zur Abtreibung zu wählen?
Reese: Er hat wirklich sehr selten über Abtreibung gesprochen. Das Thema kam in den TV-Debatten der zwei Kandidaten nur einmal auf, als ein Journalist eine Frage dazu stellte. Wir müssen also abwarten, wie aufrichtig er in dieser Frage war. Die Republikaner versprechen seit Jahren, dass sie etwas gegen Abtreibung tun werden und bis jetzt ist sehr wenig passiert. Sie hatten sogar eine Mehrheit im US Supreme Court, aber die Roe-Wade-Entscheidung wurde nicht rückgängig gemacht.
Frage: Gibt es andere Punkte, in denen der zukünftige Präsident mit der katholischen Kirche übereinstimmt?
Reese: Hier wird meist die Frage der Religionsfreiheit genannt. Können zum Beispiel Floristen und Bäcker dazu gezwungen werden, für ein homosexuelles Paar Blumen und Hochzeitstorte zu liefern? Können sie sagen 'nein, meine Religion verbietet mir das'? Oder kann ein Arbeitgeber sagen, dass er nicht die Versicherungskosten für die Familienplanung seiner Mitarbeiter übernehmen will? Donald Trump stimmt hier mit den Bischöfen überein, während Hillary Clinton sich für Geburtenkontrolle und die Rechte Homosexueller eingesetzt hat.
Frage: Das ist eine Frage der Religionsfreiheit von Christen. Gleichzeitig hat Donald Trump einige sehr aggressive Äußerungen über den Islam gemacht. Fürchten Sie eine neue religiöse Konfrontation in den USA?
Reese: Trump sprach darüber, Muslime nicht mehr ins Land zu lassen. Er hat sich auch stark gegen alle syrischen Flüchtlinge positioniert. Er sprach sogar davon, überhaupt niemanden ins Land zu lassen, der aus irgendeinem Gebiet der Welt kommt, in dem es Terrorismus gibt. Ich frage mich, was das bedeutet. Heißt das nun, dass wir niemanden mehr aus Frankreich ins Land lassen, weil es dort Terroranschläge gab? Trump möchte wohl eine Art religiösen Test für Einwanderer haben und es könnte bedeuten, dass diese Personen noch genauer untersucht werden, bevor sie ins Land dürfen. Es gibt all diese Vorhaben von Trump, aber die Frage ist doch: Wie wird er sie erfüllen und wie kann er sie erfüllen?
Frage: Lautet die Frage nicht eher: Sollte er sie erfüllen? Ein beachtlicher Teil der deutschen Bevölkerung stellt sich derzeit massiv gegen Migranten und den Islam. Aber die Mehrheit steht weiterhin dazu, dass Migration und der Islam nicht per se schlecht sind. Viele Amerikaner denken da anders, oder?
Reese: Es gibt sowohl in den Vereinigten Staaten, als auch in Europa starke Stimmungen gegen Migranten. Das sehen wir in einigen der konservativen Parteien Europas, sehr deutlich etwa beim Brexit-Votum in Großbritannien. Dieses Phänomen ist also nicht typisch für die Vereinigten Staaten. Es ist eine weltweite Reaktionen gegen die Globalisierung sehen. Menschen sind wütend und aufgebracht, weil sie denken, ihren Platz in der Gesellschaft an Einwanderer zu verlieren.