Der katholische Puls ist spürbar
Es war nur eine einzige Zahl, doch sie sorgte gleich zu Beginn des Jahres für Aufregung über kirchliche Kreise hinaus: Nur noch 25 Prozent aller Einwohner Berlins sind Christen. So berichteten es in der vergangenen Woche bundesweit zahlreiche Medien – auch katholisch.de. Die beiden großen Kirchen, so der überwiegende Tenor der Berichterstattung, hätten in der Hauptstadt noch einmal erheblich an Rückhalt verloren. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb gar von einer "Hauptstadt ohne Gläubige".
Hervorgegangen war die Zahl, die so viel Wirbel auslöste, aus einer Antwort des Berliner Senats auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Der Linken-Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg hatte die Landesregierung darin nach den Kircheneintritten und -austritten in der Hauptstadt gefragt.
Grafik zur Entwicklung der kirchlichen Mitgliedszahlen
Seiner Antwort an die Fraktion fügte der Senat auf der letzten Seite eine Grafik über den "Anteil der Mitglieder der Religionsgemeinschaften an der Berliner Bevölkerung seit 2007" bei. Darin findet sich neben der Entwicklung der Gesamtbevölkerungszahl Berlins auch die Entwicklung der absoluten und prozentualen Mitgliedszahlen des Erzbistums Berlin und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz in den vergangenen zehn Jahren.
Für das Jahr 2016 wird in der Grafik für die beiden nicht mehr ganz so großen Kirchen eben jener Anteil von zusammen rund 25 Prozent an der Berliner Bevölkerung ausgewiesen. Und nicht nur das: Erkennbar wird im Zehn-Jahres-Vergleich auch, dass die Zahl der Christen in Berlin deutlich geschrumpft ist, immerhin lag deren Anteil 2007 noch bei über 30 Prozent.
Zuwachs in absoluten Zahlen bei der katholischen Kirche
Was in der Berichterstattung über den Berliner "Christenschwund" allerdings teilweise unterging: Der Rückgang bei den Mitgliedszahlen ist vor allem ein Problem der evangelischen Kirche. Sie hat in den vergangenen zehn Jahren mehr als 100.000 ihrer Mitglieder verloren – und das, obwohl Berlin im selben Zeitraum mehr als 300.000 Einwohner hinzugewinnen konnte. Der Anteil der Protestanten an der Berliner Bevölkerung sank damit seit 2007 von rund 20,5 auf nur noch knapp 16 Prozent. Auch wenn Berlin noch nie als besonders fromme Stadt galt, war die evangelische Kirche dort lange ein wichtiger religiöser und politischer Faktor. Die Zahlen des Senats zeigen, dass diese Zeiten vorbei sind.
Erkennbar besser sehen im Gegensatz dazu die Zahlen der katholischen Kirche aus. Zwar ging der prozentuale Anteil der Katholiken in Berlin seit 2007 ebenfalls zurück – allerdings nur moderat von 9,5 auf rund 9 Prozent. Der Grund: Bei den absoluten Zahlen erlebte das Erzbistum einen Zuwachs. Dank des Zuzugs von Katholiken aus Süd- und Westdeutschland sowie der Zuwanderung aus mehrheitlich katholischen Ländern wie Polen oder Spanien stieg die Zahl der Katholiken in Berlin um fast 13.000 auf rund 331.000 an – und ein Ende dieser Entwicklung ist vorerst nicht absehbar. Der Christenschwund in Berlin ist also zumindest in absoluten Zahlen kein Katholikenschwund.
„Christen müssen keine Mehrheit sein, um 'Sauerteig' zu sein.“
Triumphgeschrei gegenüber den evangelischen Brüdern und Schwestern war aus dem Erzbistum angesichts der Zahlen dennoch nicht zu hören. Im Gegenteil: Mit Blick auf den gesunkenen Anteil aller Christen in Berlin könne man nichts schönreden, so die Erzdiözese. Gleichwohl warb sie für einen "Perspektivwechsel" bei der Beurteilung der Senats-Zahlen. "Christen müssen keine Mehrheit sein, um 'Sauerteig' zu sein", schrieb das Erzbistum auf Facebook. Ähnlich argumentierte auch Erzbischof Heiner Koch. "Es kommt nicht auf die Zahlen an", sagte der 63-Jährige bei einem Gottesdienst am Dreikönigstag. Vielmehr gehe es darum, "die Botschaft Christi lebendig zu halten".
Mehr Gottesdienstbesucher als im Rheinland
Und hier hat das Erzbistum zumindest einige kleine Erfolge vorzuweisen: Laut den jüngsten Zahlen der Deutschen Bischofskonferenz nehmen in Berlin mehr Menschen an Gottesdiensten teil als im katholisch geprägten Rheinland oder in manchen Regionen Bayerns. "Ich erlebe gerade im Osten des Landes eine große Ernsthaftigkeit: Wer sich hier taufen lässt, wer hier seinen Glauben bekennt, der ist Christ mit voller Überzeugung", sagte Erzbischof Koch dazu an Silvester in einem Interview mit der "Berliner Morgenpost".
Doch nicht nur beim Gottesdienstbesuch ist Berlin katholischer, als es die Zahlen des Senats zunächst vermuten lassen. Seit einigen Jahren verzeichnet das Erzbistum in der Hauptstadt jährlich konstant um die 2.000 Eintritte, Taufen und Erstkommunionen. Die katholischen Bildungseinrichtungen in Berlin – immerhin 77 katholische Kindertagesstätten und 26 katholische Schulen – erfreuen sich bei Eltern so großer Beliebtheit, dass jedes Jahr zahlreiche Anmeldungen abgelehnt werden müssen.
Die katholische Präsenz im Bildungsbereich der Hauptstadt könnte demnächst zudem noch eine bemerkenswerte Stärkung erfahren: An der Humboldt-Universität ist die Gründung eines Instituts für Katholische Theologie mit mindestens vier Lehrstühlen geplant. Erzbischof Koch, der sich schon lange für eine Aufwertung der katholischen Theologie in Berlin stark macht, zeigte sich zuletzt zuversichtlich, dass es 2018 in dieser Frage "zu guten Lösungen" kommen werde.
Ein katholisches Aushängeschild, das schon jetzt in Berlin und darüber hinaus viel Beachtung findet, ist die Katholische Akademie. In ihren Veranstaltungen beschäftigt sich die 1991 gegründete Einrichtung mit gesellschaftlichen Entwicklungen und legt dabei besonderen Wert auf den katholischen Blickwinkel.
Jeden Donnerstag Wallfahrt
Und auch das gibt es in Berlin: Einen Wallfahrtsort. Jeden ersten Donnerstag im Monat finden Wallfahrten nach Maria Frieden im Süden von Berlin statt. Im Zentrum der Wallfahrten steht ein Bild von Otto Dix, die "Madonna mit Paulus und Petrus vor Trümmern und Stacheldraht", das der Maler 1945 in französischer Kriegsgefangenschaft gemalt hat.
Berlin mag keine katholische Herzkammer sein – der Puls der Kirche ist in der Hauptstadt aber durchaus kräftig zu spüren.