Studie liefert differenziertes Bild zu Einstellungen von Christen

So halten es die Westeuropäer mit der Religion

Veröffentlicht am 01.06.2018 um 14:00 Uhr – Lesedauer: 
Statistik

Bonn ‐ 24.000 Menschen aus 15 Ländern wurden gefragt, ob und was ihnen das Christentum bedeutet. Herausgekommen ist ein differenziertes Bild auf den Einfluss der Religion auf die Einstellungen der Menschen. Nicht alle Ergebnisse dürften die Kirchenoberen erfreuen.

  • Teilen:

"Nun sag, wie hast Du's mit der Religion?" – diese Frage hat Johann Wolfgang von Goethe vor über 200 Jahren das junge Gretchen an den geliebten Faust stellen lassen. Eine weniger literarische, aber dafür detailliert statistische Antwort liefert in diesen Tagen das Forschungsinstitut "Pew Research Center": 24.000 Telefoninterviews in 15 westeuropäischen Ländern haben die Mitarbeiter geführt. Herausgekommen ist ein differenziertes Bild, welchen Einfluss das Dasein als Christ auf die Einstellungen zu wichtigen gesellschaftlichen Fragen hat – und wie die Christen zu ihrer eigenen Religion stehen.

Christliche Identität als bedeutsamer Marker

Das erste, so profane wie vielleicht überraschende Ergebnis lautet: Ja, die Zugehörigkeit zur christlichen Religion beeinflusst auch im Jahr 2018 noch die Einstellungen zu grundsätzlichen gesellschaftlichen Fragen: "Die christliche Identität ist immer noch ein bedeutsamer Marker in Westeuropa, auch für diejenigen, die nur selten in die Kirche gehen", so fassen die Autoren das Ergebnis ihrer Studie zusammen. Die Identifikation mit dem Christentum gehe über eine "nur 'nominelle' Identität ohne praktische Bedeutung" weit hinaus.  

Ein statistisches Diagramm
Bild: ©katholisch.de

Als Legende merken die Forscher des Pew-Instiuts zu den Zahlen an: "Als praktizierende Christen gelten Personen, die nach eigenen Angaben mindestens einmal pro Monat einen Gottesdienst besuchen. Als nicht praktizierende Christen gelten Personen, die weniger häufig an einem Gottesdienst teilnehmen. Bei „Sonstige Religion/Weiß nicht/Möchte nicht antworten“ handelt es sich hauptsächlich um muslimische Befragte. Allgemeine Bevölkerungsstudien in Westeuropa erfassen u. U. die Größe von Bevölkerungsminderheiten, etwa Muslime, nicht vollständig. Daher können diese Zahlen von zuvor veröffentlichten demographischen Schätzungen abweichen."

Die zweite grundlegende Erkenntnis aus den Zahlen: Es gibt nicht nur einen Unterschied, wie Christen und Konfessionslose politische, religiöse und kulturelle Fragen bewerten, sondern auch praktizierende und nicht-praktizierende Christen unterscheiden sich in dieser Hinsicht – und das zum Teil sehr deutlich. Im Trend sind die "praktizierenden Christen" – nach der Definition der Studie solche, die mindestens einmal im Monat einen Gottesdienst besuchen — bei vielen Themen im Vergleich zu den anderen Gruppen eher konservativ und restriktiv eingestellt. Die Konfessionslosen haben dagegen eher liberale Einstellungen, während die "nicht-praktizierenden Christen" -  also solche, die seltener als einmal im Monat in die Kirche gehen - sich jeweils in der Mitte wiederfinden.  

Die Forscher haben in ihrer Studie etwa gefragt, ob die jeweilige Regierung mit ihrer Politik auch religiöse Werte und Glaubensvorstellungen unterstützen sollte. Die Antworten der drei Gruppen ergeben ein erwartbares Muster: Ein großer Teil der praktizierenden Christen stimmt der Forderung zu, das gilt ebenfalls für einen kleineren Teil der nicht praktizierenden Christen, aber nur für wenige Konfessionslose. Konkret finden bezogen auf Deutschland 68 Prozent der praktizierenden Christen, 38 Prozent der nicht Praktizierenden und 18 Prozent der Konfessionslosen, dass die Regierungspolitik religiöse Werte unterstützen sollte.

Wenig schmeichelhaft aus christlicher Sicht sind die Ergebnisse, wenn es um den Nationalismus in Europa geht. In Deutschland finden 73 Prozent der praktizierenden Christen, dass es wichtig ist, eine deutsche Abstammung zu haben, um wirklich "deutsch" zu sein. Unter den nicht praktizierenden Christen sagen dies 46 Prozent, unter den konfessionslosen nur 35 Prozent. Dieses Muster  zwischen den drei Gruppen ergibt sich in sehr ähnlicher Weise, wenn alle 15 Länder gemeinsam betrachtet werden. Darüber hinaus neigen nach der Studie in Westeuropa praktizierende Christen eher als nicht praktizierende Christen und diese wiederum eher als Konfessionslose zu der Meinung, dass ihre Kultur anderen Kulturen überlegen ist. Dieses Ergebnis blieb auch bestehen, als die Forscher Faktoren wie Alter, Geschlecht, Bildungsgrad und politische Überzeugung herausrechneten. "Anders ausgedrückt neigen Christen insgesamt in Westeuropa dazu, ein höheres Maß an nationalistischen Gefühlen auszudrücken", heißt es in der Studie.

„Die christliche Identität ist immer noch ein bedeutsamer Marker in Westeuropa, auch für diejenigen, die nur selten in die Kirche gehen.“

—  Zitat: Aus der Pew-Studie "Christsein in Westeuropa"

Zudem zeigen sich Christen gegenüber anderen Religionen laut der Studie weniger tolerant als Konfessionslose. Dass der Islam grundsätzlich nicht mit den deutschen Werten und der deutschen Kultur vereinbar ist, meinen in Deutschland 55 Prozent der praktizierenden Christen, 45 Prozent der nicht praktizierenden Christen, aber nur 32 Prozent der Konfessionslosen. Auch in diesem Bereich bettet sich die Bundesrepublik in den westeuropäischen Trend ein: Über alle 15 Länder gesehen, sehen 49 Prozent der praktizierenden Christen, 45 Prozent der nicht Praktizierenden und 32 der konfessionslosen Menschen den Islam ähnlich kritisch.

Bei einigen anderen Ergebnissen zum Islam wurde auch erfasst, wie sich die Einstellungen der christlichen Konfessionen unterscheiden: "Katholiken neigen eher als Protestanten dazu, negative Ansichten über Muslime zu vertreten", ist das Ergebnis der Forscher. Sie belegen das mit den Antworten zu mehreren Fragen. Beispielsweise zeigen sich in Deutschland etwa 51 Prozent der Katholiken nicht bereit, Muslime als Familienmitglieder zu akzeptieren, bei den Protestanten sind dies nur 16 Prozent. Außerdem fühlen sich auch deutlich mehr Katholiken (31 Prozent) als Protestanten (19 Prozent) "wie ein fremder im eigenen Land aufgrund der hohen Anzahl an Muslimen". Insgesamt meinen in Deutschland 48 Prozent der praktizierenden Christen, dass die Einwanderung verringert werden sollte, aber nur 36 der nicht praktizierenden Christen und 35 Prozent der Konfessionslosen. Die deutschen Bischöfe, die sich stetig für Toleranz und eine Willkommenskultur für Flüchtlinge einsetzen, dürfte dieses Ergebnis schmerzen. 

Interessieren dürfte sie möglicherweise auch ein weiterer Befund: Bei ethischen Themen, die gleichzeitig sogenannte heiße Eisen für die christlichen Kirchen sind, ähneln die Einstellungen von nicht-praktizierenden Christen eher denen der Konfessionslosen als denen der praktizierenden Katholiken. Erhoben wurden in der Pew-Studie die Einstellungen zu legalen Abtreibungen und gleichgeschlechtlichen Ehen. Während in Deutschland mit 86 bzw. 84 Prozent die überwältigende Mehrheit der Konfessionslosen und der nicht-praktizierenden Christen eine legale Abtreibung befürworten, sind es unter den praktizierenden Christen mit 54 Prozent "nur" etwas mehr als die Hälfte. Bei der gleichgeschlechtlichen Ehe liegen die Zustimmungsraten der drei Gruppen ähnlich verteilt,  bei 88, 82 und 53 Prozent. Übrigens unterscheiden sich praktizierende und nicht-praktizierende Christen auch in der Art, wie sie ihren eigenen Glauben beschreiben, deutlich. Während die meisten praktizierenden Christen in Westeuropa an "Gott, wie er in der Bibel beschrieben wird", glauben (64 Prozent), neigen nicht praktizierende Christen eher dazu, weniger konkret an eine höhere Macht oder spirituelle Kraft zu glauben (51 Prozent).     

Suppenküche
Bild: ©KNA (Symbolbild)

Die Teilnehmer der aktuellen Pew-Studie wurden auch gefragt, ob sie zustimmen, dass die Kirche eine wichtige Rolle bei der Hilfe für Arme und Bedürftige spielt.

Jenseits persönlicher Positionen der Menschen zu Glaubensfragen haben die Pew-Forscher auch erhoben, wie die katholische Kirche als Institution nach außen wirkt. Die Umfrageteilnehmer wurden gefragt, ob sie zustimmen, dass die Kirche eine wichtige Rolle bei der Hilfe für Arme und Bedürftige spielt. Positiv antworteten dazu in Deutschland 73 Prozent der praktizierenden und 62 Prozent der nicht-praktizierenden Christen, aber nur 41 Prozent der Konfessionslosen. Damit schneidet das Ansehen der deutschen Kirche im europäischen Vergleich etwas unterdurchschnittlich ab. Während in der gesamten Bevölkerung der Bundesrepublik "nur" 59 Prozent eine wichtige Rolle der Kirche bei der Armenhilfe sehen, sind es im Durchschnitt der 15 Länder 62 Prozent. Deutlich mehr Menschen sehen etwa in Skandinavien und Spanien einen großen Einfluss der Kirche.

Christen größter Teil der Bevölkerung

Trotz dieser aus Sicht der Kirchen bisweilen unbefriedigenden Teilergebnisse, liefert die Studie für sie auch Positives: Denn die Christen stellen in Westeuropa weiterhin den mit Abstand größten Anteil der Bevölkerung. In Deutschland sehen sich nach der Definition der Studie noch 71 Prozent als Christen. Damit liegt die Bundesrepublik im europäischen Mittelfeld. Die "christlichsten Länder" sind demnach Portugal, Italien, Irland, die Schweiz, Österreich und Finnland. In den Niederlanden bezeichnen sich nur noch 41 Prozent der Menschen als Christen. Die größte Bevölkerungsgruppe stellen in fast allen Ländern die nicht-praktizierenden Christen: In Deutschland machen sie 49 Prozent der Bevölkerung aus, 25 Prozent sind nach dem Ergebnis der Studie Konfessionslos, während sich immerhin noch 22 Prozent selbst als praktizierende Christen bezeichnen – und das ist doch eine gute Nachricht.

Von Gabriele Höfling