Steht der Papst der Einheit im Weg?
Manchmal spielt sich die Kirchengeschichte ab wie ein Krimi. Etwa in dieser Episode: Im Sommer des Jahres 1054 packt Kardinal Humbert von Silva Candida die Wut. Der Gesandte des Papstes soll in Konstantinopel den schwelenden Streit zwischen Rom und dem hier ansässigen Patriarchen beilegen. Statt auf Diplomatie setzt Humbert jedoch auf wüste Beschimpfungen der Gegenseite – selbstredend vergebens. Angesichts seiner erfolglosen Mission zieht der Kardinal am 16. Juli schließlich die ultima ratio und exkommuniziert den Patriarchen von Konstantinopel. Die Bannbulle über jenen Michael I. legt Humbert dramaturgisch wertvoll auf dem Altar der Hagia Sophia nieder. Dem Kardinal eben noch das Leben lassend schließt der Patriarch ihn im Gegenzug einige Tage später ebenfalls aus der "rechtgläubigen" Kirche aus.
Heute gilt jenes Morgenländische Schisma von 1054 als der Moment, von dem aus Ost- und Westkirche getrennte Wege gingen. Doch natürlich weiß die Geschichtsschreibung längst: Die Realität der Entzweiung ist deutlich weniger schillernd als die beschriebene Szene und obendrein um einiges komplexer. Seit gut einem halben Jahrhundert sind beide Seiten in einer gemeinsamen Kommission darum bemüht, dies aufzuarbeiten. Mit messbaren Ergebnissen.
Selbst der Streit ums "filioque" scheint überwunden
Im vergangenen Jahr bekannten katholische und orthodoxe Kirche gar, alle Probleme aus der Zeit vor dem Schisma aus dem Weg geräumt zu haben. Und das, obwohl Christen zwischen Westeuropa und Vorderasien sich schon Jahrhunderte zuvor gegenseitig in den Haaren lagen. Dabei ging es auch um theologisch gehaltvolle Fragen wie etwa den Streit um das "filioque": Die Westkirche bekennt mit diesem Wort, dass der Heilige Geist aus dem Vater und dem Sohn gleichermaßen hervorgegangen ist, während Christen im Osten diese Änderung des Glaubensbekenntnisses ablehnen. Die Differenz besteht bis heute, obgleich der Vatikan in jüngerer Vergangenheit zuweilen selbst nicht mehr auf das "filioque" pochte.
In der Hagia Sophia wollte Humbert jedoch etwas anderes verteidigen, nämlich den Primatsanspruch seines Bischofs in Rom. In den ersten Jahrhunderten war der Papst als ein Patriarch von Fünfen ein "primus inter pares" im Reich. Rom als Stadt der Kaiser und Apostelfürsten wurde jedoch ein "Vorsitz der Liebe" zugestanden. Mit der Verschiebung des weltlichen Machtzentrums von Rom nach "Neu-Rom" – Konstantinopel – gewann auch der dort residierende Kirchenführer zunehmend an Einfluss. So wurde zum Dreh- und Angelpunkt der Kirchenspaltung eine Frage von Theologie, Tradition und Macht: Welche Rolle spielt der Papst in Rom?
Während die Orthodoxie auf die Gemeinschaft der Bischöfe setzt und den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel nur als Ehrenoberhaupt anerkennt, führen im Katholizismus noch immer alle Wege nach Rom. Der Primat des Papstes ist gleichermaßen Wesensbestandteil des Katholizismus wie Stein des Anstoßes zwischen den Kirchen.
Benedikt XVI. und Franziskus setzen Zeichen
Dabei sanden ausgerechnet die Päpste selbst in jüngerer Vergangenheit demütige Signale gen Osten. Benedikt XVI. legte etwa nach 15 Jahrhunderten den Titel "Patriarch des Abendlandes" ab, was durchaus als Verneigung in Richtung seines Amtsbruders in Konstantinopel zu verstehen war. Benedikts Nachfolger Franziskus nahm sich sogar noch einen Schritt weiter zurück und stellte sich am Abend seiner Wahl der Welt als Bischof von Rom vor. Seine neue Diözese führe "den Vorsitz in der Liebe gegenüber allen Kirchen", erklärte Franziskus und griff damit auf jene Formulierung zurück, die in vorschismatischen Zeiten auch in Konstantinopel galt.
Die wohl größte ökumenische Geste vollzogen jedoch andere: Am Vorabend des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils hoben Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras I. die gegenseitige Exkommunikation von 1054 auf. Das Schisma war damit nicht geheilt, wohl aber die gegenseitigen Beleidigungen und Verletzungen. Damit wurde der 7. Dezember 1965 zum Startpunkt einer ergebnisorientierten Ökumene zwischen Ost und West, die in den folgenden Jahrzehnten institutionell verstetigt wurde.
Im Jahr 1979 setzten Papst Johannes Paul II. und Patriarch Dimitrios I. schließlich die "gemeinsame internationale Kommission für den theologischen Dialog zwischen katholischer und orthodoxer Kirche" ein. Der Gruppe sind in weniger als vier Jahrzehnten Schritte der Verständigung gelungen, die zuvor jahrhundertelang undenkbar schienen. Ein solcher Meilenstein war etwa die Deklaration vom Balamand (Libanon) von 1993. Darin erklärten beide Seiten ihre Ablehnung des sogenannten Uniatismus; eine Art Ökumene mit der Brechstange, mit der die katholische Kirche in der Neuzeit versuchte, die Byzantiner auf ihre Seite zu ziehen.
Und die Experten bearbeiten auch den größten Brocken auf dem Weg zur Einheit: die Frage nach der Rolle des Papstes. "Ich weiß, dass das Amt des Papstes das größte Hindernis auf dem Weg zur Einheit der Kirche ist", bekannte schon Paul VI. im Jahr 1967. Auch Johannes Paul II. erkannte in seiner Ökumene-Enzyklkika "Ut unum sint" von 1995 an, dass die katholische Kirche eine für orthdoxe annehmbare "Form der Primatsausübung" finden müsse. Papst Franziskus erneuerte das Angebot bei seinem Treffen mit dem Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., in Jerusalem im Jahr 2014.
Im Gegenzug erkannt die orthodoxe Seite bereits 2007 die Sonderstellung des Bischofs von Rom in den ersten Jahrhunderten an. Zuletzt wurde die Debatte auf das erste Jahrtausend ausgeweitet und im Sommer vergangenen Jahres mit dem Dokument von Chieti abgeschlossen. Darin bekräftigen die katholische und 14 orthodoxe Kirchen, dass sie einig sind, wie das Verhältnis zwischen Papst und Bischofskollegium vor dem Schisma zu bewerten sei.
Doch freilich ist das Papsttum des 11. Jahrhunderts in seiner Gestalt nicht mit dem heutigen vergleichbar. Die absolute Vorrangstellung des Bischofs von Rom entwickelte sich erst danach, begünstigt auch durch die Trennung von den konkurrierenden Patriarchaten im Osten. Umgekehrt war es gerade die westliche Fokussierung auf den Papst, welche die Spaltung der Kirche vertiefte und verfestigte.
Mit dieser heiklen Thematik von "Papst und Synodalität im zweiten Jahrtausend" will sich die katholisch-orthodoxe Dialogkommission im Jahr 2019 befassen. Während die Vorbereitungen darauf jetzt anlaufen, bleibt noch völlig offen, welches Ergebnis am Ende stehen könnte. Beim jüngsten Koordinierungstreffen auf der griechischen Insel Leros wurde erneut deutlich, dass allem Wohlwollen eine reale Spaltung gegenübersteht.
Moskau pocht auf einen harten Diskurs
Während der katholische Chefunterhändler in der Kommission, Kurienkardinal Kurt Koch, betonte, dass man stets weiter am "ursprünglichen Plan" der vollen Einheit arbeite, waren auf der Gegenseite distanziertere Töne zu hören. So pochte etwa der Vertreter des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion, darauf, das Thema Uniatismus erneut auf die Agenda zu setzen. Auch nach diversen Diskussionsrunden und verabschiedeten Erklärungen bleibe es kritisch für den Dialog. Bereits nach der Versammlung von Chieti hatte Hilarion zudem klar gemacht, dass man künftig vor allem die Punkte der Uneinigkeit bereden müsse, und zwar ohne den Anspruch, sie restlos aus der Welt zu schaffen.
In den kommenden Monaten will sich die Kommission zunächst an eine Reflexion ihrer Arbeit der vergangenen vier Jahrzehnte machen. Zudem soll ein Grundlagenpapier für die Vorbereitung weiterer Diskussionen entstehen, das sich mit "theologischen und kanonischen Problemen" der Spaltung befasst. So bürokratisch das klingt: Dieses Dokument könnte die definitive Roadmap für den letzten Weg zur vollen Einheit von Ost- und Westkirche darstellen. Ob diese dann gelingt, ist freilich eine andere Frage.