Theologe kritisiert "irregeleitete Kirchenfunktionäre"
Der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann fällt ein drastisches Urteil über das zu Ende gehende Reformationsgedenken. "Das Einzige, was von den gigantischen Investitionen bleiben wird, sind die in Glas und Stein", schreibt der evangelische Theologe in einem Gastbeitrag für den Fachdienst "Ökumenische Information" der Katholischen Nachrichten-Agentur. Besondere Kritik übte Kaufmann dabei am Umgang mit der Person Martin Luthers (1483-1546). Dessen Bild habe "auch dieses Reformationsjubiläum wieder bis zum Überdruss dominiert" und blieb nach Einschätzung Kaufmanns dabei "so schillernd und disparat, dass von ihm keine weitere Zwietracht, wohl eher gar nichts, ausgegangen ist".
Die drei nationalen Sonderausstellungen zur Reformation bekräftigten laut Kaufmann "auf ihre Weise, was die seriösen Vertreter der Wissenschaft niemals verhehlt haben und nur irregeleitete Kirchenfunktionäre nicht wahrhaben wollten: Dass unsere Zeit nicht unmittelbar zu Luther und zur Reformation ist, dass wir ihr anders als auf Umwegen nicht näherzukommen vermögen und dass die historischen Verbindungen vornehmlich im Modus komplexer Umformungen, gestreckter Langzeitwirkungen und nicht-intendierter Folgen zu beschreiben sind".
Kaufmann hält Ziel für "völlig gescheitert"
Auch das kirchenpolitische Ziel, das "landauf, landab verhasste" Reformprogramm "Kirche der Freiheit" mittels der Reformations-Dekade durchzusetzen und "gegen den Trend" kirchliches Wachstum zu generieren, sei "völlig gescheitert". Die dadurch "klaffende Sinnlücke" sei "eilfertig durch ökumenischen Aktionismus" zu schließen versucht worden.
Themenseite: Ökumene
Die Themenseite gibt einen Überblick über die aktuelle Berichterstattung von katholisch.de rund um das Thema Ökumene.Das evangelische Christentum brauche eine wissenschaftliche Theologie, "die sich nicht davor scheut, Differenzen auch zur reformatorischen Tradition zu markieren und neue Wege eines ebenso zeit- wie sachgemäßen christlichen Denkens zu beschreiten", betont Kaufmann. "Die ernsthafte, gern auch ökumenische Arbeit an den mit der Reformation gegebenen theologischen Herausforderungen, die im Jubiläum weitestgehend absent war, könnte und sollte jetzt beginnen."
Söding verwundert über manche evangelische Theologen
Der katholische Theologe Thomas Söding lobte unterdessen die ökumenische Ausrichtung des Reformationsgedenkens. Der Verdacht, die evangelische Kirche wolle die katholische Kirche "in die Ecke stellen", habe sich nicht bestätigt, heißt es in seinem Beitrag zur "Ökumenischen Information". Das Reformationsgedenkjahr sei im Gegenteil liturgisch von großen ökumenischen Gottesdiensten geprägt worden. Zugleich sei es "bemerkenswert, dass ausgerechnet in Teilen evangelischer Theologie die ökumenische Annäherung als Gefährdung der eigenen Identität und die theologische Fokussierung als ideologische Verzerrung kritisiert wurden".
Mit Blick auf die katholische Kirche meint der Theologe: "2017 ist nicht so euphorisch gefeiert worden, dass alle einen Kater haben müssten. Der Schwung war aber doch so groß, dass Aufbruchstimmung herrscht, die für einen Aufschwung sorgen kann." Eine nüchterne Bestandsaufnahme und eine ambitionierte Planung seien notwendig, etwa zur Lösung der Frage der Eucharistie- und Abendmahlsgemeinschaft. Es gebe Signale, "dass sich die katholische Kirche hier bewegt"; es gebe aber auch "Widerstände", so Söding unter Hinweis auf jüngste Äußerungen des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki.
Die Eucharistie- und Abendmahlsfrage berühre die Frage nach dem Verständnis der Kirche und des Priestertums, führt Söding weiter aus. Ausgeschlossen sei eine Verständigung nicht; "sie verlangt aber nicht nur auf katholischer Seite mehr Offenheit, sondern auch auf evangelischer Seite mehr Klarheit". (kim/KNA)