Neutestamentler Thomas Söding über Ablasskritik Martin Luthers

Theologe: Luthers Thesen wären heute reformkatholisch

Veröffentlicht am 07.10.2016 um 14:38 Uhr – Lesedauer: 
Theologe: Luthers Thesen wären heute reformkatholisch
Bild: © KNA
Ökumene

Wien ‐ An manchen Stellen hat Martin Luther übertrieben, sagt der Neutestamentler Thomas Söding. So habe er sich etwa unnötig radikalisiert. Aus heutiger Sicht lag er in einem Punkt jedoch richtig.

  • Teilen:

Der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding bewertet Martin Luthers Thesen gegen die damalige Ablasspraxis der Kirche aus heutiger Sicht als "reformkatholisch". Luthers Kritik hätte eine konstruktive Antwort verdient, die aber die Kirchenleitung nicht gegeben habe, schreibt Söding in einem Beitrag für die Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag". Luther habe sich dann in Folge radikalisiert und von der großen Mehrheit der Kirche isoliert. "Nötig wäre das nicht gewesen", so der Theologe, der von 2004 bis 2014 der päpstlichen Internationalen Theologenkommission angehörte.

Den Kern von Luthers Kritik umschreibt Söding folgendermaßen: Der Ablass, wie er damals gepredigt wurde, widerspreche der Bibel; er schreibe der Kirche und besonders dem Papst ein Recht zu, das ihm nicht zustehe; er führe zu einer Veräußerlichung des Glaubens, zu einer Abhängigkeit einfacher Menschen von angemaßter Autorität.

Nach Worten Södings gibt es heute zwar charakteristische Unterschiede zwischen evangelischer und katholischer Rechtfertigungslehre; "aber sie trennen die Kirchen nicht, sondern verbinden sie auf eine spannende Weise". Der Theologe verwies auf die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre", die am 31. Oktober 1999 in Augsburg von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund unterzeichnet wurde. Söding: "Es gab, vor allem auf evangelischer Seite, viel Widerspruch. Aber Luther hätte sich gefreut."

Söding: Luther hat stellenweise überzogen

Gegen "gute Werke" könne niemand etwas haben, der bei klarem Verstand ist, betonte Söding. "Gottes- und Nächstenliebe gehören zusammen. Aber wer Gutes tut, um vor anderen als gut zu erscheinen, ist ein Heuchler." Jesus habe das in der Bergpredigt gesagt, und auch Paulus habe es "an einem empfindlichen Punkt konkretisiert". Luther habe "hier und da überzogen", so Söding; aber er habe theologisch Recht, wenn er die Heilshoffnung nicht von guten Taten abhängig macht, sondern umgekehrt die Werke der Liebe als Konsequenz des Glaubens erkennt.

Seit 2008 ist Söding Wissenschaftlicher Beirat zum Reformationsjubiläum 2017. Seit 2002 gehört er der Internationalen lutherisch/römisch-katholischen Kommission für die Einheit an. (KNA)

Linktipp: Theologe warnt vor Überhöhung Luthers

Keine Frage: Martin Luther war eine entscheidende Figur in der Kirchengeschichte. Aber wie sollte man heute mit seiner Person umgehen? Der evangelische Theologe Jörg Lauster hat eine Antwort. (Artikel von September 2016)