Detlef Pollack sieht wachsende religiöse Unkenntnis in Deutschland

Theologe: Protestanten wissen kaum etwas über Luther

Veröffentlicht am 26.10.2016 um 09:50 Uhr – Lesedauer: 
Gesellschaft

Münster ‐ Nur noch wenige Christen hätten ein fundiertes Wissen über ihre Religion, kritisiert Theologe Detlef Pollack. Das zeige sich zum Beispiel vor dem anstehenden Reformationsgedenken.

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Nach Ansicht des Münsteraner Theologen und Religionssoziologen Detlef Pollack wächst die religiöse Unkenntnis in Deutschland. Zugleich spielten für viele Christen konfessionelle Unterschiede kaum noch eine Rolle. Auch kurz vor Beginn des Gedenkjahrs zu 500 Jahre Reformation hätten selbst evangelische Christen kaum eine Ahnung von den Grundanliegen Martin Luthers, sagte Pollackzu "Welt online" (Mittwoch): "Was die Reformation konkret betrifft, so werden deren theologische Inhalte so gut wie nicht wahrgenommen."

Pollack: Nicht zur Kirche gehen ist typisch protestantisch

Viele hielten sogar das für evangelisch, was "gerade nicht protestantisch ist". In Untersuchungen habe sich etwa gezeigt, dass die Mehrheit der Protestanten meine, man könne vor Gott auch durch gute Werke gerecht werden. Das aber heiße, dass diese Mehrheit der evangelischen Christen "das Zentrum des Protestantismus verneint", betonte der Experte. Denn es sei eine von Luthers wichtigsten Lehren, dass man nicht durch gute Taten gerechtfertigt sei, sondern einzig durch den Glauben an Jesus Christus.

Porträt von Professor Detlef Pollack
Bild: ©Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Detlef Pollack ist Religionssoziologe und forscht am Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Evangelisch zu sein, folgert Pollack, sei für die meisten Protestanten nicht mehr mit dogmatischen Aussagen verbunden. Vielmehr bedeute ihre konfessionelle Zugehörigkeit für sie die Aufforderung, "ein guter Mensch zu sein und sich nach dem Gewissen zu richten". Typisch protestantisch sei zudem, so gut wie nie zur Kirche zu gehen. Weniger als vier Prozent der Protestanten besuchten regelmäßig Gottesdienste, bei den Katholiken seien es immerhin noch zwölf Prozent.

Auch die Austrittszahlen seien bei den Protestanten in der Regel höher, ergänzte Pollack. Bei den Katholiken gebe es nach wie vor eine höhere Kirchenbindung. Einen starken Rückgang beobachtet der Religionssoziologe zudem bei der Weitergabe von Glaubensinhalten.

Insbesondere gehe die religiöse Kindererziehung auch in Familien von Kirchenmitgliedern stark zurück. Damit sinke auch die Wahrscheinlichkeit für eine spätere Kirchenbindung: "Denn nichts macht so religiös wie eine religiöse Erziehung, und wo sie abbricht, da bricht auch die religiöse Bindung ab."

Möglicherweise, so Pollack weiter, sei dies auch ein Hauptgrund dafür, dass sich die konfessionellen Unterschiede immer stärker verwischten. Wer wenig über den Glauben wisse, den interessierten konfessionelle Unterschiede nicht.

Nur noch eine kleine Minderheit von kirchlich sehr stark Engagierten habe einen Sinn für das Trennende, dagegen könne es "die ganz große Mehrheit der Kirchenmitglieder beider Konfessionen nicht nachvollziehen, dass Katholiken und Protestanten das Abendmahl nicht gemeinsam feiern".

Der Glaube definiere sich kaum noch konfessionell. Konfliktlinien verliefen nicht mehr zwischen den Konfessionen, "sondern zwischen religiösen und nicht religiösen Menschen" Zwischen Katholiken und Protestanten herrsche "ein ganz großer Wertekonsens", betonte der Fachmann. Daher sei es "angemessen, wenn die beiden großen Amtskirchen in gesellschaftspolitischen Fragen wie dem Umgang mit Flüchtlingen an einem Strang ziehen". (KNA)

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