Frage: Herr Kardinal, die Bischöfe haben mit mehr als Zwei-Drittel-Mehrheit für Reformen des kirchlichen Arbeitsrechts gestimmt. Bedeutet das, dass es künftig - je nach Bistum - unterschiedliche Grundordnungen und damit unterschiedliche Regelungen für Mitarbeiter der Kirchen gibt?
Woelki: Der Beschluss hat grundsätzlich nur einen empfehlenden Charakter. Eine rechtswirksame Änderung des Gesetzes setzt voraus, dass die Bischöfe die Neuerungen in ihren Bistümern in Kraft setzen und in den kirchlichen Amtsblättern veröffentlichen. Ich gehe davon aus und hoffe, dass dies überall geschehen wird. Sollte in dem einen oder anderen Bistum die Änderung nicht in Kraft gesetzt werden, gilt dort die bisherige Rechtslage. Auch wenn eine einheitliche Umsetzung in allen Bistümern sicher wünschenswert wäre, verlangt das deutsche Staatskirchenrecht nicht zwingend eine Uniformität. Adressat des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sind die einzelnen Diözesen.
Frage: Was ist aus Ihrer Sicht das grundsätzliche Ziel der Reformen?
Woelki: Die Novelle verfolgt im Wesentlichen drei Ziele: Erstens ging es uns um eine bessere Beachtung der gelebten Rechtspraxis: Die Loyalitätsanforderungen der Grundordnung in der bisherigen Fassung suggerieren bisweilen eine Strenge, die in der kirchlichen Praxis seit Jahren nicht existiert. So wird bisweilen zum Beispiel der Eindruck erweckt, dass der Abschluss einer zweiten standesamtlichen Ehe in jedem Fall einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß darstellt, der in der Regel die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach sich zieht. Tatsächlich werden Kündigungen wegen Wiederverheiratung nur selten ausgesprochen. Dennoch ist in der öffentlichen Meinung und im kirchlichen Dienst die Vorstellung weit verbreitet, dass Beschäftigte in der Kirche - gewissermaßen automatisch und ausnahmslos - gekündigt würden, falls sie sich scheiden lassen und eine neue Ehe eingehen.
Frage: Muss man nicht auch zu einer Neubewertung von Ehescheidung kommen?
Woelik: Die Novelle bezweckt zweitens auch eine gewisse Neubewertung des arbeitsrechtlichen Umgangs mit wiederverheiratet Geschiedenen und eingetragenen Lebenspartnerschaften. Die Bedingungen, nach denen eine Kündigung in diesen Fällen in Betracht kommen soll, werden jetzt enger gefasst. Selbstverständlich soll auf diese Weise nicht der Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe aufgegeben werden. Das wäre völlig falsch. Es geht darum, die arbeitsrechtlichen Folgen einer Wiederverheiratung oder einer eingetragenen Lebenspartnerschaft auf die wirklich schwerwiegenden Fälle zu beschränken. Das sind Fälle, die geeignet sind, die Integrität und Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen. Über die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer solchen Neubewertung auf arbeitsrechtlichem Gebiet ist ja auch im Dialogprozess viel gesprochen worden.
Zum Dritten bezweckt die neue Grundordnung auch eine Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen in der Gesellschaft, in der staatlichen Gesetzgebung und in der Rechtsprechung. Exemplarisch nennen möchte ich die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zum Streikverbot. Diese hatten zur Folge, dass der kirchliche Gesetzgeber die organisatorische Einbindung der Gewerkschaften in den Dritten Weg und das gewerkschaftliche Zugangsrecht neu zu regeln hat.
Frage: In der geltenden Grundordnung ist viel von Abwägungen im Einzelfall und dehnbaren Kriterien wie "öffentliches Ärgernis" die Rede. Caritas-Generalsekretär Cremer hat demgegenüber mehr Rechtssicherheit gefordert. Ist das mit den Reformen gewährleistet?
Woelki: Wir haben uns bei der Texterarbeitung bemüht, Unklarheiten zu vermeiden und einige Tatbestände noch präziser und transparenter zu fassen. Juristische Begriffe sind aber immer auslegungsfähig und auslegungsbedürftig. Wertungs- und Gestaltungsspielräume sind notwendig, um auf die Vielgestaltigkeit des Lebens angemessen reagieren zu können.
Frage: Probleme gab es zuletzt im Erziehungsbereich, also bei Kindergärtnerinnen in Leitungsfunktion, die entlassen wurden. Gibt es da künftig Abstufungen je nach Nähe zum Verkündigungsauftrag?
Woelki: Beim arbeitsrechtlichen Umgang mit Wiederverheiratungen wird künftig in doppelter Hinsicht differenziert: Zum ersten wird nach der Religionszugehörigkeit des Mitarbeiters unterschieden. Wiederverheiratungen bilden nur bei katholischen Mitarbeitern einen Loyalitätsverstoß. Zum zweiten wird nach der Stellung und Funktion des Mitarbeiters unterschieden. Pastoral-katechetische und bischöflich besonders beauftragte Mitarbeiter unterliegen erhöhten Loyalitätsbindungen, in diesen Fällen wird ein schwerer Loyalitätsverstoß von Gesetzes wegen unwiderlegbar vermutet. Bei den sonstigen Mitarbeitern wird ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß nur bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen. Hier wird eine arbeitsrechtliche Ahndung des Fehlverhaltens also nur in Ausnahmefällen in Frage kommen. Zu welcher Gruppe die Leiterinnen von Kindertagesstätten gehören, wird davon abhängen, ob sie eine besondere bischöfliche Beauftragung erhalten oder nicht. Die Entscheidung hierüber trifft der jeweilige Ortsbischof.
Frage: Gibt es Unterschiede zwischen Beschäftigten der Caritas und der Bistümer und Gemeinden?
Woelki: Nein. Die Grundordnung gilt für den gesamten kirchlichen Dienst.
Frage: Gibt es eine Neubewertung von homosexuellen Lebenspartnerschaften?
Woelki: Mit der Novelle ist von den Bischöfen auch beschlossen worden, dass die "Erklärung zur Unvereinbarkeit von Lebenspartnern nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz" vom 24. Juni 2002 aufgehoben wird. Die Eingehung einer Lebenspartnerschaft stellt in Zukunft weiterhin einen Loyalitätsverstoß dar, wird aber analog zur Wiederverheiratung in der Regel nur in Ausnahmefällen geahndet.
Frage: Bleibt ein Kirchenaustritt weiter ein zwingender Kündigungsgrund?
Woelki: Tritt ein katholischer Mitarbeiter aus der katholischen Kirche aus, so stellt dieses Verhalten grundsätzlich einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß dar. Ein katholischer Arbeitnehmer im kirchlichen Dienst, der sich zu diesem Schritt entschließt, bringt seine fundamentale Abwendung von der Kirche zum Ausdruck, zerstört die notwendige Vertrauensgrundlage für eine Zusammenarbeit und stellt damit seine Eignung in der täglichen Arbeit grundlegend in Frage. Selbst bei diesem schweren Verstoß kennt die Grundordnung aber keinen Kündigungsautomatismus. Auch bei einem Kirchenaustritt sind immer die besonderen Umstände des Einzelfalles gegeneinander abzuwägen. Von einer Kündigung wird man in diesen Fällen aber nur ganz ausnahmsweise absehen können.
Frage: Ist die Kirche in Deutschland wirklich frei, diese Punkte selbstständig zu regeln? Oder fürchten Sie, dass Rom manche Lockerungen kassieren könnte?
Woelki: Die Ausgestaltung des kirchlichen Arbeitsrechts war seit jeher Aufgabe der Kirche in Deutschland. Dieses Recht beruht auf der besonderen verfassungsrechtlichen Situation in unserem Land. In kaum einem Land gibt es überhaupt eine solche Freiheit wie in Deutschland, die Dinge selbst zu bestimmen. In vielen anderen Ländern stellt sich gar nicht die Frage, wie etwa der Kirchenaustritt oder kirchenfeindliches Verhalten nach dem Arbeitsrecht der Kirche zu behandeln sind, weil es ein solches Arbeitsrecht gar nicht gibt. Es gelten dann nur die weltlichen arbeitsrechtlichen Regelungen, die von Land zu Land unterschiedlich ausfallen.
Frage: Die Bischöfe haben im vergangenen Herbst beschlossen, die Arbeitsrechtlichen Kommissionen für die Gewerkschaften zu öffnen. Wird das jetzt in der kirchlichen Grundordnung genauer geregelt?
Woelki: Die Neuordnung legt fest, dass in Zukunft Gewerkschaften am Zustandekommen kirchlicher Arbeitsvertragsbedingungen organisatorisch zu beteiligen sind. Näheres zu Aufgaben, Zusammensetzung und Arbeitsweise der Arbeitsrechtlichen Kommissionen des Dritten Weges kann man der Rahmen-KODA-Ordnung entnehmen, die bereits am 24. November 2014 von der Vollversammlung beschlossen wurde.
Ebenfalls neu geregelt wird das Zugangsrecht der Gewerkschaften zu kirchlichen Einrichtungen. Gewerkschaftsbeauftragte erhalten danach, auch wenn sie nicht im kirchlichen Dienst stehen, ein Zutrittsrecht zu kirchlichen Einrichtungen, um im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen innerhalb der Einrichtung für den Beitritt zu diesen Koalitionen zu werben, über deren Aufgabe zu informieren sowie Mitglieder zu betreuen.