"Unser Glaube braucht Gemeinschaft"
Frage: Monsignore Austen, welche integrative Kraft kann der christliche Glauben mit Blick auf die aktuelle Flüchtlingssituation haben?
Austen: Menschen in Not und auf der Flucht aufzunehmen, ihnen beizustehen und zu helfen, das ist der Lebensnerv unseres Glaubens. An diesem gesamtgesellschaftlichen Auftrag müssen wir uns als Einzelne und zusammen mit den Gemeinden beteiligen. Ein großer Dank gilt den vielen Haupt- und Ehrenamtlichen, die sich unermüdlich engagieren und mit vollem Einsatz für die in Not geratenen einsetzen. Doch dürfen wir die vielen Probleme die es gibt, nicht verschweigen und müssen klar Stellung gegen politisches Unrecht beziehen. Das christliche Menschenbild ist dabei eine klare Richtschnur. Als Weltkirche sind wir eine Gemeinschaft, die uns trägt, auch durch schwere Zeiten.
Frage: Oft basieren viele Probleme auf Missverständnissen und Vorurteilen. Wie lassen sich diese ausräumen?
Austen: Als Bonifatiuswerk sehen wir in den ländlichen Gebieten der Diaspora, vornehmlich in Ostdeutschland, dass es oftmals wenig Erfahrung im Umgang mit Menschen ausländischer Herkunft gibt. Hinzu kommt, dass dort die Mehrzahl der Bevölkerung keiner Konfession angehört, wodurch eine doppelte Befremdung entsteht. Daher müssen wir die Themen Flüchtlinge und Religion als ein Ganzes betrachten. Um miteinander in einen Dialog treten zu können, muss ein grundlegender Informationsprozess zu Fragen von Kultur, Religion und Werten angestoßen werden. Ein solches Begleitungsangebot sollte aufzeigen, was uns unterscheidet und verbindet, und wie konkretes Zusammenleben aussehen könnte. Dabei sollten wir nicht übersehen, dass viele Flüchtlinge wegen Ihres Glaubens verfolgt werden. Diese treffen dann nicht selten in Deutschland auf eine "ermüdete" Glaubensgemeinschaft, trotz allem ehrenamtlichen Engagement. Sobald es uns gelingt, diese Menschen gesellschaftlich in unseren Gemeinden zu integrieren, tragen diese gewiss zur Vitalisierung bei, da wir selbst wieder auskunftsfähiger in unserem Glauben werden.
Frage: Die Diaspora-Aktion des Bonifatiuswerks steht in diesem Jahr unter dem Leitspruch "Keiner soll alleine glauben". Welche Botschaft steht dabei im Fokus?
Austen: Im Mittelpunkt steht der Gedanke der Gemeinschaft. Für mich heißt das: Keiner soll alleine glauben. Unser Glaube braucht Gemeinschaft. Diese wird erst dann lebendig, wenn wir Menschen anderer Kulturen nicht als Befremdung, sondern als Bereicherung ansehen und unser Herz öffnen. Menschen, die neu in unsere Gemeinde kommen, sollten wir mit offenen Armen empfangen. Eine gelebte Willkommenskultur ist Chance und Herausforderung zugleich, aber auch ein Zeichen gelebter Solidarität.
„Überall wo sich Menschen zur Eucharistiefeier und zum Gebet versammeln, entsteht eine neue Gemeinschaft. Und diese Gemeinschaft ist eine Frucht unseres Glaubens.“
Frage: Was bedeutet Willkommenskultur für Sie?
Austen: "Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten" sagt das Buch Levitikus. Dieser Auftrag ist in unserer globalisierten Welt aktueller denn je. Gäste sind ein Segen und Gastfreundschaft ist ein hohes Gut. Menschen verschlägt es an unterschiedliche Orte. Doch jeder verspürt die tiefe Sehnsucht nach einer Heimat. Ich kann Gott nicht am Menschen vorbei lieben. Vergessen wir nicht, Begegnungen können uns bereichern und neue Perspektiven eröffnen. Wir sollten wieder mehr Freude, Toleranz und Respekt mit in unsere Begegnungen nehmen als Angebot von Mensch zu Mensch.
Frage: Im Mittelpunkt des diesjährigen Diaspora-Motivs steht die Heilige Schrift, aus der ein Baum erwächst. Was möchten Sie damit ausdrücken?
Austen: Gott und die Menschen in Beziehung zu bringen, dazu ist Jesus in die Welt gekommen. Das Wort Gottes will Gemeinschaft stiften. Menschen sind willkommen, gleich aus welchem Kulturkreis sie kommen. Überall wo sich Menschen zur Eucharistiefeier und zum Gebet versammeln, entsteht eine neue Gemeinschaft. Und diese Gemeinschaft ist eine Frucht unseres Glaubens. Diese Früchte zeigen sich im täglichen Leben. In der Art, wie wir unseren Mitmenschen begegnen und in der erkennbaren Solidarität.
Frage: Mit den Spendengeldern des Bonifatiuswerks werden Katholiken in der Minderheit unterstützt. Im Osten gehören bereits 80 Prozent keiner Konfession mehr an. Hat Kirche hier noch eine Chance?
Austen: Natürlich stimmt es mich nachdenklich und traurig, dass im Osten Deutschlands so wenige Christen leben oder auch die traditionell katholisch geprägten Regionen unseres Landes mehr und mehr zur Glaubensdiaspora werden. Wir sind gefordert, Biotope in unserer Welt zu schaffen, damit Menschen an den Knotenpunkten ihres Lebens Glaubenszeugen begegnen, die ihnen helfen, die Tiefe des Menschseins und Gottes unendliche Liebe zu erfahren. Insbesondere den Menschen, die die frohe Botschaft Jesu Christi noch nicht kennengelernt haben oder die sich von der Kirche entfremdet haben, die wir auch in der Kirche nicht mehr im Blick haben, oder Menschen, die auf der Suche Wahrheit und Gerechtigkeit oder eben Bewahrung der Schöpfung sind, gerade diese Menschen dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren. Dann hat Kirche weiterhin eine Chance.
„Im Rahmen der Diaspora-Aktion möchte das Bonifatiuswerk dazu ermutigen, die Willkommenskultur als eine Frucht des Glaubens anzusehen.“
Frage: In diesem Jahr hat das Bonifatiuswerk eine Willkommenstasche konzipiert, mit der man Menschen genau an diesen Lebensknotenpunkten begleiten möchte. Was steckt dahinter?
Austen: Im Rahmen der Diaspora-Aktion möchte das Bonifatiuswerk dazu ermutigen, die Willkommenskultur als eine Frucht des Glaubens anzusehen. Daher verorten wir die Willkommenstasche auch im Mosaik verschiedener Initiativen. Wir möchten unseren Pfarrgemeinden, Verbänden, Orden und Gemeinschaften ein Willkommensgeschenk für die Begegnung mit Menschen unterschiedlicher Herkunft anbieten. Gerade unser Glaube gibt in schwierigen Situationen Heimat.
Frage: Eignet sich die Willkommenstasche für jeden Neuankommenden?
Austen: Diese Tasche kann und will die menschliche Begegnung unterstützen. Sie sollte der jeweiligen Zielgruppe und den Gegebenheiten angepasst werden. So kann der Inhalt der Tasche durch konkrete Hinweise für das Leben vor Ort - Stadtplan, Pfarrbrief, wichtige Telefonnummern - ergänzt, oder es können Inhalte ausgetauscht werden. Wir möchten mit diesem kleinen Mosaikstein die Seelsorge unterstützen. Denn sehr viele ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter engagieren sich und stellen sich den Aufgaben, die uns als Gesellschaft herausfordern. Die Tasche ist nur ein kleiner Bestandteil unserer Initiative. Wir gehen noch einen Schritt weiter und unterstützen konkret Projekte, die Neuankommende in unseren Gemeinden begrüßen.
Frage: Was für Projekte unterstützen Sie konkret?
Austen: Wir unterstützen unterschiedliche Initiativen zur Flüchtlingshilfe, darunter auch Projekte der Caritas im Erzbistum Berlin. In der Berliner Herz-Jesu Gemeinde zum Beispiel sind im leerstehenden Bettenhaus des St. Hedwig-Krankenhauses rund 100 Menschen untergebracht. Dort fördern wir Deutschkurse und helfen bei einer adäquaten Kinderbetreuung. In Bielefeld unterstützen wir eine Personalstelle, die in den pastoralen Räumen eine Willkommenskultur etablieren soll, damit Migranten eine Beheimatung erleben können. Oder blicken wir nach Södertälje. Durch die Einwanderung aus dem Nahen Osten ist eine große Anzahl orientalischer Christen nach Schweden gekommen. Die Anzahl der Gottesdienstteilnehmer vor Ort steigt stetig. Die Chaldäer suchen einen Zufluchtsort, eine neue Heimat, in der sie in Frieden leben und ihre Kinder im christlichen Glauben erziehen können. Zurzeit nutzen die rund 5.000 Christen eine ehemalige evangelische Kirche für Gottesdienste, die längst zu klein geworden ist. Das Bonifatiuswerk unterstützt den Bau einer neuen Kirche, die der Gottesmutter Maria gewidmet wird, um einen Ort zu schaffen, der als Symbol für die Einheit aller Katholiken steht.