Abt Hermann Josef Kugler über deutsches Klosterleben

Von der Kunst zu leben und zu sterben

Veröffentlicht am 17.04.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Orden

Windberg ‐ Die Ordensleute werden immer älter. Viele Klöster in Deutschland müssen schließen. Trotzdem kann das Ordensleben eine hohe Qualität haben, meint Abt Hermann Josef Kugler im katholisch.de-Interview.

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Frage: Abt Hermann Josef, der "Tag der offenen Klöster" steht 2018 unter dem Motto "Gut. Wir sind da". Beim Pressegespräch merkte ein Reporterkollege an, ob man nicht vielleicht eher sagen müsste "Gut, wir sind noch da". Hören Sie solche Kommentare öfter?

Kugler: Natürlich. Das ist eine Frage, die manche Oberinnen und Obere schon nicht mehr hören können. Dieses Wörtchen "noch" impliziert ja, dass es kurz vor zwölf wäre und wir demnächst die Luken dicht machen. Oft wird einfach vorausgesetzt, dass klösterliche Gemeinschaften zum Aussterben verdammt sind.

Frage: Öffnen Sie also nach 2014 wieder die Klosterpforten, um dieses Bild zu korrigieren?

Kugler: Wir Ordensleute wollen damit bewusst in die Öffentlichkeit gehen, um die Verschiedenheit der Charismen und Lebensweisen zu zeigen. Viele Menschen haben einen verkürzten Eindruck: Die Ordensfrau läuft mit dem Schleier herum und der Mönch mit der Kapuze. Aber die Ordenslandschaft ist sehr viel bunter, die Ausrichtungen der Orden sind deutlich vielfältiger. Und das gilt auch für die Situationen der einzelnen Gemeinschaften.

Bild: ©Alfred Hermann

Hermann-Josef Kugler ist Abt der Prämonstratenserabtei Windberg und Vorsitzender der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK).

Frage: In der Ankündigung nehmen Sie auch Bezug auf die Jugendsynode, die sich ja schwerpunktmäßig mit Berufungen junger Menschen befassen soll. Wie funktioniert die Nachwuchswerbung bei den Ordensgemeinschaften angesichts der vielen Negativschlagzeilen der jüngeren Zeit?

Kugler: Diejenigen, die auf der Suche sind nach einer anderen Lebensform, haben in der Regel auch persönliche Kontakte. Berufung hängt immer von konkreten Menschen und ihren Gemeinschaften ab. Das kann man eben nicht nur anhand rationaler Faktoren erklären. Man muss sich vom Charisma eines Ordens und einer konkreten Gemeinschaft angezogen fühlen. Man muss sich dort zu Hause fühlen. Natürlich läuft da nicht immer alles rund. Wir Ordensleute kochen auch nur mit Wasser. (lacht) Aber Schlagzeilen spielen dabei nicht die wichtigste Rolle. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass junge Leute, die auf der Suche nach ihrer Berufung sind, zwar rationale Faktoren beachten, vor allem aber emotionale und religiöse Gründe haben.

„Was sagt eine Zahl schon aus?“

—  Zitat: Abt Hermann Josef Kugler OPraem setzt auf Qualität im Ordensleben

Frage: Die rationalen Faktoren sind aber die einzigen, die Sie steuern können. Was machen die gut funktionierenden Klöster da richtig? Ist die Größe entscheidend?

Kugler: Auch eine kleine Gemeinschaft mit höherem Durchschnittsalter kann eine große Ausstrahlung haben. Umgekehrt merke ich, dass große Gemeinschaften mit Nachwuchs durchaus auch Schwierigkeiten haben. Die haben oft große Einrichtungen und Betriebe, die sie erhalten wollen. Da braucht es entsprechenden Nachwuchs, um das weiter zu führen. Und das wird oft trotz der relativ großen Zahlen schon schwierig.

Frage: Müssen wir beim Ordensleben also mehr auf die Qualität als auf die Quantität schauen?

Kugler: Was sagt eine Zahl schon aus? Natürlich geht es um die Qualität. Für mich persönlich ist zudem ganz wichtig, dass wir ja nicht für uns selber da sind. Es geht nicht darum, dass wir möglichst viele sind, sondern dass wir Ordensleute dort, wo wir sind, das Evangelium glaubwürdig verkünden. Das machen wir durch unsere Lebensweise und durch unsere unterschiedlichen Charismen. Das können fünf Schwestern oder Brüder genauso gut wie 50 oder 80 oder 100. Aber in unserer Welt fallen eben vor allem bombastische Zahlen auf.

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Frage: Entgegen der deutlichen Probleme bei der Nachwuchswerbung gibt es unter vielen Menschen – nicht nur Gläubigen – ein spürbares Interesse an den Orden und ihrer Spiritualität. Schlägt sich das auch im kirchlichen Leben der Orden nieder oder spielt das am Ende nur eine wirtschaftliche Rolle, etwa beim Verkauf von Büchern und Klosterprodukten?

Kugler: Sehr viele Ordensgemeinschaften haben sogenannte Assoziierte, auch Familiaren oder Drittorden genannt. Das sind Laien, die nicht als Ordensleute leben, aber in irgendeiner Form an die Gemeinschaft angegliedert sind und die Spiritualität für sich im Alltag leben. Das halte ich für eine ganz interessante Bewegung, die im Übrigen gar nicht neu ist. Es geht also wirklich nicht nur um Klosterprodukte und den wirtschaftlichen Wohlstand der Orden. Ich stelle auch fest, dass Orden ihre Mitarbeiter prägen. Das sieht man zum Beispiel bei den Barmherzigen Brüdern, die versuchen, die Menschen in ihren Krankenhäusern und Einrichtungen mitzunehmen. Ich habe den Eindruck, dass es ihnen gut gelingt, den Mitarbeitern etwas von ihrer Ordensspiritualität weiterzugeben.

Frage: Die Barmherzigen Brüder sind auch ein Beispiel für das "an den Rand gehen", das Papst Franziskus von der Kirche fordert. Ist das ein neues Charisma?

Kugler: Diesen Begriff "Rand" darf man nicht einseitig im Sinn des sozialen Rands verstehen. Da geht es auch um die Menschen, die am Rand der Kirche stehen, also vielfältige Fragen stellen und ihre Schwierigkeiten haben.

Frage: Wie lässt sich das An-die-Ränder-Gehen für die Orden unter diesem Gesichtspunkt praktisch ausleben? Müsste man nicht statt einen "Tag der offenen Klöster" zu veranstalten, an einem Tag alle Ordensleute aus ihren Klöstern und Konventen rausschicken?

Kugler: (lacht) Da geht es wieder um die unterschiedlichen Charismen der Orden. Es gibt sehr viele missionarisch oder apostolisch tätige Gemeinschaften. Die sind schon an den Rändern. Nehmen Sie etwa die Franziskaner in Berlin mit ihrer Obdachlosenseelsorge. Andererseits kommen zu uns in unsere Gästehäuser oft Menschen, die Sie in der Pfarrei oder der verfassten Kirche heute schon nicht mehr finden. Das sind eben Menschen, die am Rand der Kirche stehen, aber bei den Orden einen Ort finden, wo sie andocken können.

Frage: Wenn die Orden auf diese Weise der verfassten Kirche aushelfen: Gilt das auch umgekehrt?

Kugler: Zum Teil natürlich schon. Schauen Sie auf den Schulbereich: Die Diözesen übernehmen Ordensschulen, weil die Gemeinschaften nicht mehr die Manpower oder die finanziellen Mittel haben, diese Einrichtungen zu tragen.

Ein Mönch geht durch den Garten von Kloster St. Ottilien.
Bild: ©andrea-goeppel.de

Viele Ordensgemeinschaften in Deutschland beklagen heute einen Mangel an Nachwuchs. Im Zusammenhang mit dem oft hohen Altersschnitt der Konvente führt das dazu, dass immer mehr Niederlassungen geschlossen werden.

Frage: Was heißt das für einen Orden, für den die Schulträgerschaft konstitutiv ist?

Kugler: Wenn er keine Schule mehr tragen kann, muss sich der Orden die Frage stellen: Ist unsere Aufgabe erledigt? Haben wir unser Charisma in die Kirche eingebracht? Darauf darf man stolz sein, muss aber vielleicht auch anerkennen, dass die Arbeit getan ist. Und dann darf eine solche Gemeinschaft auch aussterben. Das hat es in der Kirchengeschichte immer gegeben. Wir dürfen nicht denken, uns müsste es immer geben. Einige Gemeinschaften üben sich bereits in der ars moriendi, der Kunst aufzuhören. Es ist schließlich wichtig, das, was gut war und noch gut ist, in die richtigen Hände für die Zukunft zu legen.

Frage: Abtpräses Jeremias Schröder aus St. Ottilien sagt, man müsse beim Blick auf Klosterschließungen die Melodramatik herunterfahren.

Kugler: Dem kann ich nur zustimmen.

Frage: Nun sind Sie, genauso wie der Abtpräses, mit Blick auf den Altersschnitt der Ordensleute ein relativ junger Mann. Wie sagen Sie das Ihren Mitbrüdern, die doppelt so alt sind?

Kugler: (lacht) Wir haben selbstverständlich ganz andere Perspektiven. Es ist nicht immer ganz leicht, sie dafür zu sensibilisieren, dass es schwierig wird, wenn eine Gemeinschaft dreißig Jahre lang keinen Nachwuchs hatte. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Deshalb versuchen wir auch als Deutsche Ordensobernkonferenz solche Prozesse zu begleiten. Wir haben zwei Schwestern, die zur Beratung und Begleitung für die Gemeinschaften zur Verfügung stehen. Dabei geht es auch um ganz praktische Probleme, etwa wenn Leitung oder Verwaltung nicht mehr funktionieren. Da hilft es nicht, einfach den Kopf in den Sand zu stecken und die Dinge laufen zu lassen. Aber klar ist, dass das nicht einfach ist. Solche Prozesse müssen dann auch spirituell aufgefangen werden.

Frage: Das ist die "ars moriendi", von der Sie gesprochen haben. Was ist denn die "ars vivendi", also die Lebenskunst der Orden?

Kugler: Gottvertrauen und Gelassenheit.

Von Kilian Martin

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