Vor 25 Jahren ließ Rom offiziell Ministrantinnen zu
Es ist ein ganz normales Bild: Sonntags zieht der Priester in den Gottesdienst ein, begleitet von Ministrantinnen und Ministranten. Wahrscheinlich sind die Mädchen in der Überzahl. Denn seit Jahren gibt es in Deutschland etwas mehr weibliche als männliche Messdiener: 53,3 Prozent machen die Mädchen aus, um genau zu sein, hat die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (afj) in einer Erhebung herausgefunden.
Was heute normal ist, war lange Zeit nicht nur umstritten, sondern sogar verboten. Bereits in der frühen Kirche wurde die Frage diskutiert: Papst Gelasius I. verbot im fünften Jahrhundert Frauen den Altardienst, im 13. und 18. Jahrhundert erneuerten Päpste die Weisung. Auch das Kirchenrecht von 1917 ließ keine Ministrantinnen zu: Der Altardienst wurde eng mit dem Priestertum verbunden, die "niederen Weihen" als Vorstufe zur Priesterweihe, zu denen eine Beauftragung für bestimmte liturgische Dienste gehörte, existierten noch.
Aufbruchsstimmung des Konzils
Trotz des immer noch bestehenden Verbots begannen bereits in der Zeit nach der Liturgiereform in den Sechziger- und Siebzigerjahren einzelne Gemeinden, Ministrantinnen zuzulassen – gegen das geltende Recht, aber in der Aufbruchsstimmung, die das Konzil verbreitet hatte. Die Liturgiekonstitution "Sacrosanctum Concilium" nennt den Ministrantendienst einen "wahrhaft liturgischen Dienst", der eigenständig und nicht von einer Weihe abgeleitet oder durch eine geweihte Person delegiert ist – eine wichtige Bedingung dafür, dass Mädchen und Frauen (die ja keine Diakonen- und Priesterweihe empfangen können) ins Spiel kommen.
1970 und 1980, während in Westeuropa und Nordamerika immer mehr Gemeinden auch Mädchen bei der Messe dienen ließen, schärfte der Vatikan in zwei Instruktionen das Verbot noch einmal ein – ohne großen Erfolg. 1983, in der Neufassung des kirchlichen Gesetzbuches, fehlte schließlich erstmals ein explizites Verbot: "Alle Laien", heißt es im Canon 230, können "Aufgaben nach Maßgabe des Rechtes wahrnehmen". Kirchenrechtlich wie theologisch schien damit ein Weg zur Öffnung des Dienstes möglich. "Meine Position war immer: Warum sollen wir einen Teil der Charismen in der Kirche nicht nutzen, bloß weil es Mädchen sind, die sie haben?", erzählt Andreas Büsch, der zwischen 1988 und 2000 Referent für Liturgie und Ministranten bei der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge war, von dieser Zeit.
Unterschiedliche Positionen unter den Bischöfen
"Ich hatte den Eindruck, dass sich in den 80ern die Einsicht schon längst durchgesetzt hatte, dass die Regelung gelinde gesagt überholt war", so Büsch. "Die spannende Frage war natürlich, welche Sprachregelung und welche Form man findet, frühere anderslautende Regelungen so aufzuheben, dass es keine Zerwürfnisse gibt." Unter den deutschen Bischöfen gab es laut Büsch durchaus unterschiedliche Positionen: Während der jüngst verstorbene Kardinal Joachim Meisner in den 80ern in seiner Zeit als Bischof von Berlin noch abwertend von Ministrantinnen als "Pullimädchen" gesprochen habe, hätte es für dessen Trierer Amtsbruder, Bischof Hermann Josef Spital, gar keinen Grund mehr für grundsätzliche Diskussionen gegeben. Stattdessen solle man lieber konkret überprüfen, welche pastoralen und pädagogischen Konsequenzen zu ziehen seien.
Es sollte noch einige Jahre dauern, bis Messdienerinnen ganz ausdrücklich von Rom zugelassen wurden: Am 11. Juli 1992 bestätigte Papst Johannes Paul II., dass der Kanon 230 so zu interpretieren sei, dass auch Mädchen am Altar dienen dürfen. Der Päpstliche Rat für die Gesetzestexte hatte diese "authentische Interpretation" auf Anfragen aus Bistümern hin verfasst, 1994 wurde sie schließlich veröffentlicht. Die meisten deutschen Bischöfe begrüßten laut Büsch, der heute Professor an der Katholischen Hochschule Mainz ist, die Entscheidung: "Es war ja auch schon in vielen Gemeinden ohnehin pastorale Praxis, sogar in manchen Kathedralkirchen."
Umdenken bei Johannes Paul II.
1980 hatte Papst Johannes Paul II. noch in der Instruktion "Inaestimabile Donum" verfügt: "Frauen ist es nicht erlaubt, als Messdiener zu fungieren." Zwölf Jahre später ermöglichte er nun doch Frauen am Altar – wenn es der jeweilige Bischof aus "bestimmten örtlichen Gründen" denn erlaubt. Dennoch: "Der Heilige Stuhl möchte daran erinnern, dass es immer sehr angemessen sein wird, der edlen Tradition zu folgen, Jungen am Altar dienen zu lassen. Denn es ist wohlbekannt, dass dies erfreulich zur Entwicklung priesterlicher Berufungen beiträgt." Jungen als Ministranten sollten daher auch weiterhin besonders gefördert werden.
Eine Pflicht, Ministrantinnen zuzulassen, gibt es nicht, wie die päpstlichen Juristen immer betonten: Kein Bischof ist gezwungen, den Dienst für Mädchen zu öffnen, und selbst, wenn sich ein Bischof dafür entscheidet, darf ein Pfarrer auf Messdienerinnen verzichten. In Westeuropa und Nordamerika sind Ministrantinnen mittlerweile so selbstverständlich, dass ein Ausschluss von Mädchen sogar in der säkularen Presse große Wellen schlägt. Das musste 2014 ein Pfarrer aus San Francisco feststellen, nachdem er in seiner Pfarrei nur noch Jungen dienen lassen wollte. Wochenlang wurde der Fall in der überregionalen Presse diskutiert. In anderen Gegenden der Weltkirche wäre das kein Grund zur Aufregung, vor allem dort, wo der Ministrantendienst eng mit der Berufung zum Priesteramt verbunden wird.
Internationales Lernen
Die internationalen Ministrantenwallfahrten nach Rom sind daher für alle Beteiligten auch Gelegenheiten, bei denen Messdiener Erfahrungen fürs Leben machen, berichtet Alexander Bothe, der heute bei der afj für die Ministranten zuständig ist. In Rom kommen alle vier bis fünf Jahre zehntausende Messdiener aus vielen europäischen Ländern zusammen; mancher sieht zum ersten Mal, wie der Ministrantendienst anderswo verstanden wird.
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Sie sind für kirchliche Verhältnisse sehr jung und treten für gewöhnlich in Gruppen am Altar auf: die Ministranten. Doch auch außerhalb des Gottesdienstes sind die Liturgie-Helfer eine starke Gruppe.In Deutschland wird der Dienst nicht auf die Förderung von Priesterberufungen enggeführt. "Der Ministrantendienst hat eindeutig etwas mit Berufung zu tun", erzählt Bothe, "aber das gilt für alle Berufe der Kirche." Verantwortliche für Berufungspastoral wie im Personalwesen der Kirche berichteten immer wieder, wie viele der Interessierten auf positive Erfahrungen und Bestärkung aus ihrer Ministrantenzeit verweisen. "Der Dienst schafft natürlich zunächst eine liturgische Kompetenz", so Bothe. Das Selbstverständnis der Messdiener beschränke sich aber nicht auf die Liturgie: "Sie sagen: Ich tue meinen Dienst in der Gemeinschaft, mit der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft."
Zwischen Jungen und Mädchen herrsche dabei, so Bothe, ein absolut selbstverständliches Miteinander, Debatten gebe es keine mehr. Noch vor wenigen Jahren gab es aber in Rom noch Befürchtungen, dass es auch ganz anders ausgehen könnte. 2001 legte der Rat für die Gesetzestexte noch einmal eine Klarstellung nach: "Eine Erlaubnis [für Mädchen] darf in keiner Weise Männer, besonders Jungen, vom Altardienst ausschließen". Aus der Sicht Andreas Büschs bestand schon damals kein Anlass für solche Befürchtungen – auch wenn es bisweilen zu Reibungen kam: "Es gab natürlich hier und da auch etwas kindische Reaktionen von Jungs und jungen Männern, die sagten, wenn jetzt die Mädchen kommen, dann sind wir überflüssig, dann schmeißen wir hin. Aber das ist in meinem Augen genau das: kindisch."