Deutsch-griechische Ärztin über die Stimmung in Athen

Warten auf das Referendum

Veröffentlicht am 30.06.2015 um 12:55 Uhr – Von Gabriele Höfling – Lesedauer: 
Griechenland

Bonn/Piräus ‐ Ärztin Susanne Katholiki Roditis zog vor vier Jahren von Deutschland nach Piräus. Mit katholisch.de spricht sie über ihre deutsche katholische Gemeinde vor Ort und die angespannten Lage wegen des drohenden "Grexits".

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Frage: Wie ist in dieser Woche die Stimmung in Athen? Merkt man, dass da etwas in der Luft liegt?

Dr. Susanne Katholiki Roditis: Ja, schon. Ich sehe das vor allem an den Banken. Man darf ja pro Person und Tag im Moment nur 60 Euro abheben. Das verursacht Endlosschlangen an den Automaten. Und natürlich wird auch über die Situation diskutiert. Aber insgesamt ist die Bevölkerung eher ruhig. Im Grunde warten alle auf das Referendum am Sonntag. Es ist schwierig abzuschätzen, wie das ausgeht. Einerseits steht die Bevölkerung hinter Tsipras, andererseits will sie den Euro behalten. Ich denke, es bleibt spannend.

Frage: Wie ist die Stimmung in der Deutschen Gemeinde?

Roditis: Unsere Gemeindemitglieder sind angespannt. Sie wollen wissen, wie es weitergeht. Manche sind deutlich verunsichert. Da sind die älteren Gemeindemitglieder, die nicht mehr arbeiten und nicht wissen, wie es mit den Rentenzahlungen weitergeht. Einige fragen sich, wie sich mögliche Steuererhöhungen auswirken. Und andere haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Manchmal habe ich das Gefühl, die Unsicherheit ist unter uns Deutschen sogar stärker zu spüren als bei den Griechen. Die scheinen seltsamerweise irgendwie gelassener – auch, wenn die Krise sie vielleicht noch stärker betrifft.

Susanne Katholiki Roditis im Porträt
Bild: ©privat

Susanne Katholiki Roditis ist Deutsch-Griechin. 2011 zog die promovierte Ärztin nach Griechenland, wo sie eine Zahnarztpraxis unterhält.

Frage: Merken Sie im Umgang zwischen Griechen und Deutschen Spannungen, etwa aufgrund der Politik der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel?

Roditis: Nein, gar nicht, von keiner Seite aus. Weder aus meinem privaten Umfeld noch aus der katholischen Gemeinde wäre mir bekannt, dass es irgendwo Auseinandersetzungen oder Aggressionen gibt. Auch von den deutschen Touristen, die immer wieder in die Kirche kommen, habe ich nichts Derartiges gehört. Und wenn ich mit griechischen Freunden oder Patienten in meiner Praxis spreche, ist nichts von Vorurteilen zu spüren – genauso wenig, wie etwa Deutsche hier der griechischen Bevölkerung pauschal die Schuld  an der Situation geben. Nach meinen Erfahrungen sind das einfach zwei unterschiedliche Ebenen: Die Politiker, die sich streiten, und die Bevölkerung. 

Frage: Gibt es in der deutschen Gemeinde Menschen, die überlegen, wieder nach Deutschland zurückzukehren?

Roditis: Auch das nicht. Die meisten sind hier stark eingebunden. Deutsche sind mit Griechen verheiratet, beruflich fest engagiert, die Kinder gehen in die Schule. Ältere Menschen wollen hier ihren Lebensabend verbringen. Da bricht man nicht ganz so einfach die Zelte ab. Es kann sein, dass der eine oder andere sich eigentlich lieber in Deutschland sehen würde, aber es ist nicht möglich, das so abrupt umzusetzen. Ich kenne es eher, dass junge Griechen nach Deutschland gegangen sind, um Arbeit zu finden.

Frage: Wie hat sich Griechenland seit Beginn der Schuldenkrise verändert? Gibt es einen dramatischen Abrutsch?   

Roditis: Als dramatisch würde ich das nicht bezeichnen. Aber es gibt schon Viertel, in denen man an auffällig vielen leeren Geschäften vorbei geht. Viele Lokale am Strand oder an der Promenade sind geschlossen. Und auch die Kürzungen bei den Dienstleistungen der Stadt merkt man. Da sitzt eine Sachbearbeiterin, wo früher vielleicht vier waren. Ganze Abteilungen von Behörden werden geschlossen. Und man muss schon sagen: Die Einsparungen sind in vielen Bereichen ausgereizt. Noch mehr Rentenkürzungen, verkraftet die Bevölkerung nicht mehr. Sie müssen sich vorstellen: Eine Großmutter, die eine kleine Rente hat, unterstützt damit auch ihre Enkel, wenn sie arbeitslos sind. Wenn die Rente jetzt gekürzt wird, kann sie nichts mehr weitergeben.

Frage: Wie ist der Zusammenhalt innerhalb der Bevölkerung?

Roditis: Es gibt einen großen Zusammenhalt, besonders in den Familien. Jeder hilft jedem. Aber wenn das aufgrund der Rentenkürzungen nicht mehr möglich ist, dann wird es teilweise schon dramatisch. Aber auch dann versuchen die Menschen, sich gegenseitig zu unterstützen, zum Beispiel, wenn jemand den Strom nicht mehr bezahlen kann oder zu wenig zu Essen hat. Dann sammelt die Schule oder der Bürgerverein, wir haben auch schon Lebensmittelpakete verschickt. Die orthodoxe Kirche hier in der Nachbarschaft hat eine Küche, sie kochen und verteilen Essen. Da kommen jeden Tag Leute. Oder es wird Obst und Gemüse zu einem ganz geringen Preis verkauft. Die katholische und die evangelische Kirche veranstalten einen ökumenischen Basar. Im medizinischen Sektor läuft das ähnlich: Wenn es hart auf hart kommt, dann gibt es die Behandlung eben günstiger oder eben kostenlos. Das versteht sich von selbst. Durch diese gegenseitige Hilfe, die in Griechenland viel ausgeprägter ist als in Deutschland, wird ganz viel kompensiert.

Frage: Sie sind 2011 nach Griechenland ausgewandert. Was mögen Sie besonders an diesem Land?

Roditis: Alles. Als Tourist würde man natürlich sagen: Die Sonne, das Meer, die Strände. Ich mag aber auch die Mentalität der Menschen. Ich bin ein Familienmensch, dies ist die Heimat meines Vaters, wo ich immer meine Schulferien verlebt habe. Hier in der Nähe leben sehr viele Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen. Deren Kinder sind die Freunde meiner Kinder. Und ich mag auch das Leben in Griechenland. Hier ist zwar nicht immer alles so korrekt und pünktlich wie in Deutschland, daran musste ich mich schon gewöhnen. Wenn beispielsweise eine Straßenlaterne kaputt geht, empfinden die Menschen das hier erstmal nicht als so schlimm. Und dann kommt vielleicht nicht sofort jemand und repariert das. Was mir aber gefällt, ist die Spontaneität der Menschen. Wenn es etwas zu organisieren gibt, zum Beispiel einen Basar, dann muss das in Deutschland im Vorhinein geplant werden, Wochen, Monate, Jahre voraus. Hier geht das zwei Tage vorher und es funktioniert. Jeder hilft mit und dann steht das Zelt oder der Basar. Es ist zwar auf die letzte Minute, aber es klappt. Das finde ich prima.

Zur Person

Dr. Susanne Katholiki Roditis (47) ist Deutsch-Griechin. Sie ist in Deutschland geboren, wuchs hier auf, studierte und promovierte. Neun Jahre hatte sie eine eigene Zahnarztpraxis im Saarland. Vor vier Jahren zog sie dann mit ihren beiden Kindern nach Piräus, die Hafenstadt vor Athen. Die ganze Familie engagiert sich dort in der katholischen Gemeinde St. Michael.
Von Gabriele Höfling