Was wurde Christen in der DDR angetan?
Thüringen will die Diskriminierung von Christen in der DDR wissenschaftlich aufarbeiten lassen. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) kündigte am Dienstagabend nach Gesprächen mit Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche in Erfurt an, gemeinsam eine Arbeitsgruppe auf den Weg zu bringen. Erstmals solle bewertet und aufgearbeitet werden, dass Menschen als Christen in der DDR schikaniert und benachteiligt wurden.
Ramelow: Akten zeigen nicht das ganze Bild
"In unserem Aktenbestand haben wir bislang nur sieben Fälle gefunden, die ausdrücklich als christliche Verfolgung dargestellt worden sind", sagte Ramelow. Das stehe aber in Widerspruch zu dem, was Christen tatsächlich erfahren hätten. "Wir wollen nun genauer gucken, wie es Menschen erging, die ihre Religion gelebt haben." Ramelow zufolge soll die Arbeitsgruppe am Ende ihrer Arbeit das weitere Vorgehen empfehlen. Die Frage einer Entschädigung ließ er offen: "Am Anfang schon über Geld zu reden, scheint mir der falsche Ansatz zu sein."
Der Linkspartei-Politiker hatte zu Beginn der rot-rot-grünen Regierungsbildung 2014 versprochen, der Aufarbeitung des DDR-Unrechts besonderes Augenmerk zu widmen. Das war auch eine Reaktion auf die massive Kritik an der Übernahme des Spitzenamts durch einen Vertreter der SED-Nachfolgepartei gewesen.
Katholische Kirche begrüßt Vorhaben
Die katholische Kirche in Thüringen begrüßte die Ankündigung; sie will die Aufarbeitung weitestmöglich unterstützen. Die individuellen Folgen der Diskriminierung seien fast unerforscht, erklärte der Leiter des Katholischen Büros Erfurt, Winfried Weinrich. Damit könne Thüringen eine "Vorreiterrolle" bei der Aufarbeitung dieser Form von DDR-Unrecht einnehmen.
Nach Angaben Weinrichs gehören dem Gremium außer ihm selbst auch der Beauftragte der Evangelischen Kirchen im Freistaat Thüringen, Christhard Wagner, und Kulturstaatssekretärin Babette Winter (SPD) an. Die Arbeitsgruppe werde nun prüfen, welche Experten sie weiter einbeziehen könne. Eine offene Frage sei zudem, ob das Gremium die Situation auch in Sachsen und Sachsen-Anhalt in den Blick nehme.
Zur Begründung der neuen Arbeitsgruppe führte Weinrich an, dass die bereits bestehende Thüringer "interministerielle Arbeitsgruppe" zur Aufarbeitung von DDR-Unrecht die Lage der Christen nicht eigens untersucht hat. Staatssekretärin Winter, die dieses Gremium leitet, hatte erklärt, das Thema Christen in der DDR sei durch die Forschung in den 1990er Jahren bereits sehr gut erfasst. Weinrich betonte dagegen, dass die damaligen Untersuchungskommissionen vor allem die Beziehungen zwischen Staat und Kirchen und nicht die persönlichen Schicksale von Christen behandelt hätten. Der Verzicht der Thüringer rot-rot-grünen Koalition auf eine gesonderte Untersuchung von DDR-Unrecht an Christen war in beiden Kirchen auf Kritik gestoßen. Zur Aufarbeitung der SED-Vergangenheit hatten sich Linke, SPD und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet. (kim/dpa/KNA)
05.10., 12:55 Uhr: Ergänzt um Stellungnahme Weinrichs