"Weihrauch ist keine Droge"
Schon seit seiner Zeit als Ministrant ist Michael Pfeifer fasziniert vom Weihrauch. Später schrieb er seine Doktorarbeit und ein Buch über den Stoff. Gegenüber katholisch.de verriet er, warum er Feuer fing und was einen guten Weihrauch ausmacht.
Frage: Herr Pfeifer, was fasziniert Sie seit Jahrzehnten an dem Thema Weihrauch?
Pfeifer: Ich habe die klassische Karriere eines langjährigen Ministranten durchlaufen, der mit dem Weihrauch umzugehen hat. Nachdem unser Pfarrer gestorben war und der Weihrauch zur Neige ging, haben wir im Kreis der Ministranten ein "Weihrauchseminar" veranstaltet. Wir haben verschiedene Sorten ausprobiert, um die beste Qualität für unsere Gemeinde bestellen zu können. Da ich derjenige war, der Theologie studieren wollte, habe ich mir den biblisch-liturgischen Hintergrund angelesen. Mein Oberministranten-Kollege übernahm den medizinisch-chemischen Teil. So kam ich 1986 zu dem Thema und fing sozusagen Feuer. Schließlich habe ich auch meine Diplomarbeit über den Weihrauch geschrieben und sie 1997 zu einem ersten Buch verarbeitet.
Frage: Unter den Gottesdienstbesuchern polarisiert der Weihrauch: Entweder man liebt ihn oder man hasst ihn und leidet unter Atemnot und Husten.
Pfeifer: Das liegt oftmals an der Qualität des Weihrauchs. Ich habe keine schlechten Erfahrungen gemacht mit wirklich sauberen Naturprodukten oder mit dem byzantinischen Blütenweihrauch. Aber wenn man die Räuchermischungen mit den vielen bunten Körnchen nutzt, in denen außer Farbstoffen zahlreiche Zusatzstoffe dabei sind, die für die Rauchentwicklung sorgen, dann geht das auf die Atemwege. Diese Zugaben können durchaus ernsthafte körperliche Konsequenzen haben.
Frage: Die einen bezeichnen Weihrauch als aus der Antike bekannte Medizin, die anderen warnen vor gesundheitsbedenklichen Benzopyrenen. Zu welchem Schluss kommen Sie mit Ihren Forschungen?
Pfeifer: Da muss man unterscheiden zwischen dem Rauch beim Verbrennen und der eigentlich arzneilich wirksamen Stoffzusammensetzung des Weihrauch selbst. Von den vielen Bestandteilen sind es die Boswelliasäuren, die bei einer inneren Anwendung entzündungshemmend wirken. Tübinger Pharmakologen haben dies inzwischen gut erforscht. Weihrauch reguliert Entzündungsprozesse im Körper und ist anders als beispielsweise Cortison praktisch nebenwirkungsfrei. Weihrauch wird inzwischen in der Rheumatherapie und bei anderen chronischen Entzündungskrankheiten eingesetzt. In Deutschland ist dieses heilsame Naturmittel aber wegen laufender Prüfungsverfahren nur als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich. Was den Rauch angeht, dem lange Zeit nachgesagt wurde, er enthalte Wirkstoffe, die im Haschisch vorkommen: Es ist inzwischen wissenschaftlich nachgewiesen, dass das Unsinn ist. Der Rauch des Weihrauchs enthält keinen psychoaktiven Wirkstoff.
Frage: Ob jugendliche Ministranten den Weihrauch auch nach dieser Information noch mögen werden?
Pfeifer: Sicher, denn die Beschäftigung damit hat etwas Urwüchsiges. Es hat zu tun mit Feuer und Rauch, ich habe ein Naturprodukt in der Hand, das selten und außergewöhnlich ist und im Alltag nicht vorkommt. Das alles macht den Weihrauch attraktiv. Wie eine Kerze entwickelt auch er seine Zeichenhaftigkeit im Verbrennen: Er setzt etwas frei, während er vergeht.
Linktipp: Weihrauch: Wohlgeruch oder Hustenverusacher?
Die einen lieben den Duft und die Rauchschwaden, die anderen bekommen Hustenanfälle: Weihrauch in der Liturgie. Katholisch.de hat fünf überraschende Fakten zu dem Räucherwerk gesammelt. (Artikel vom Mai 2017)Frage: Was müssen die Ministranten machen, damit der Weihrauch richtig verbrannt wird und in der Kirche gut duftet?
Pfeifer: Luft, eine gut glühende Kohle und dann handelt man je nachdem, was für einen Weihrauch man hat: Reines Harz kann man direkt auf die Glut geben, aber griechischer Blütenweihrauch sollte nicht zu heiß werden. Den sollte man rund um die Kohle legen und ihn langsam verduften lassen, wobei er die ätherischen Öle freisetzt und nur wenig raucht. In Europa gibt es nur noch afrikanischen Weihrauch aus Äthiopien, Somalia und Eritrea. Die klassischen Weihrauchländer im Süden der arabischen Halbinsel exportieren nichts mehr, handeln aber mit der ostafrikanischen Ernte und verkaufen sie ungeniert als "arabischen Weihrauch". Um die richtige Weihrauchsorte zu finden, können Drogisten oder Naturkosmetikläden erste Anlaufadressen sein. In jedem Fall sollte man ein reines Naturprodukt wählen. Dann muss man ausprobieren je nach Einsatzzweck: Je geringer die Glut, desto feiner sollte der Weihrauch gemahlen sein; größere Stücke gehören nur auf eine sehr heiße Kohle.
Frage: Wie kam der Weihrauch in das Christentum?
Pfeifer: Im frühen Christentum war es ein Bekenntnismarker: "Wer Weihrauch gestreut hat, kann kein Christ sein." Denn das Räucherwerk wurde traditionell bei Götter-Opfern und beim Kaiserkult verbrannt und von solchen Kulten hat sich das Christentum stark abgegrenzt. Während der Christenverfolgung gingen viele in den Tod, weil sie dem Kaiser nicht als Gott opfern wollten. Sie hätten damit ihren Glauben an den einzigen Gott verleugnet. Dieses Weihrauch-Trauma haben die Christen erst durch die Befreiung der Kirche und durch den Beamtenstatus der Bischöfe überwunden. Sie übernahmen all die Ehrenzeichen der römischen Staatsbeamten und dazu gehörte es auch, dass beim Zug durch die Straßen ein Diener ein Rauchfass vorantrug. Dieser Rauchträger ging mit in die Kirche hinein bis zu dem Punkt, wo der Bischof seine weltliche Rolle als Reichsbeamter ablegte und den Gottesdienst begann.
Frage: Ab wann kam der Weihrauch dann in der Liturgie zum Einsatz?
Pfeifer: In der Liturgie des Ostens wurde Weihrauch bereits seit der Mitte des 4. Jahrhunderts verwendet. Im Westen begegnet er zunächst in die Tagzeitenliturgie. Im abendlichen Stundengebet wurde stets Psalm 141 gesungen. Darin heißt es: "Wie Weihrauch steige mein Gebet vor dir auf". Und mit der Zeit hat man diesen eigentlich metaphorischen Vers wörtlich genommen und zum Psalmengebet Weihrauch entzündet. Weihrauch als Zeichen des Gebets und als Ehrenzeichen des Bischofs waren die beiden Einfallstore des Weihrauchs in die christliche Liturgie.
Frage: Wie sieht die aktuelle Praxis in den katholischen Kirchen in Deutschland aus? War früher mehr Weihrauch?
Pfeifer: Nein, es ist eher umgekehrt. In den 1970er und 80er Jahren wurde es weniger. Damals war Reduktion von überkommenen Traditionen ein allgemeines gesellschaftliches Phänomen und so wurden Kirchen leergeräumt, und es wurde auch weniger geräuchert. Seit gut 10 Jahren beobachte ich eine Renaissance des Weihrauchs im Gottesdienst, auf dem profanen Markt war das schon vor 20 Jahren zu spüren, als Duftstoffe, Aromatherapie und Räucherstäbchen "in" wurden. In der Kirche ist das Bemerkenswerte, dass die Verwendung von Weihrauch in den nicht-eucharistischen Gottesdiensten zunimmt, etwa bei der Wort-Gottes-Feier und in der Tagzeitenliturgie. Hierbei wird endlich deutlich gemacht, dass der Weihrauch nichts mit Feierlichkeit zu tun hat.
Frage: Weihrauch soll nicht festlich sein?
Pfeifer: Weihrauch hat symbolische Aussagen: Es geht um Verehrung durch das Zufächeln, es geht um das sichtbar aufsteigende Gebet, und hin und wieder hat der Weihrauch im liturgischen Kontext auch mit Reinigung zu tun – aber mit Festlichkeit nichts! Das war eine Falle, die uns seit 500 Jahren in den Knochen steckt, seit dem Konzil von Trient. Damals wurde bestimmt, dass Weihrauch nur während des feierlichen Hochamts verwendet werden darf und muss. Deshalb denken wir, dass Weihrauch ein Accessoire von Festlichkeit ist. Solange wir ihn nicht aus dieser Ecke herausbekommen, können wir die symbolischen Eigenheiten und Stärken nicht entdecken. Die Öffnung kam mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das die Verwendung von Weihrauch in jeder liturgischen Feier erlaubte – und nicht nur bei der festlichsten.
Frage: Sie sprechen im Buch von einer neuen "Offenheit dem Weihrauch gegenüber". Was sind denn aktuelle praktische Überlegungen, wie der Weihrauch in den Gottesdiensten eine noch größere Rolle spielen kann?
Pfeifer: Ich bin in der liturgischen Fortbildung tätig und bekomme so die neuen Entwicklungen mit – das war auch ein Grund, mein Buch noch einmal zu überarbeiten und neue Kapitel zur Wort-Gottes-Feier und zur Ökumene zu schreiben. Die Sensibilisierung für das Thema zeigt sich schon darin, dass die Menschen sich Gedanken machen, wie sie den Weihrauch verwenden: Schwenke ich ihn im Rauchfass hin und her oder stelle ich eine Schale in die Mitte des Raumes und lasse den Rauch frei aufsteigen? Letzteres wird heutzutage bei Fürbitten praktiziert oder zum Psalm 141 im Stundengebet. Neu ist auch, dass Gläubige Weihrauchkörnchen bei der Kreuzverehrung am Karfreitag in die Schale legen – statt Blumen oder der klassischen Kniebeuge mit Kuss des Kreuzes. Das alles kommt zu der traditionellen Verwendung hinzu: In der Messe viermal – Einzug, Evangelium, Gabenbereitung und Elevation beim Hochgebet.
Frage: Und wo hapert es noch?
Pfeifer: Beim Begräbnis beispielsweise gibt es das einzige Deutewort zum Weihrauch, da soll während der Beweihräucherung gesagt werden: "Dein Leib war Tempel des Heiligen Geistes". Aus praktischen Erwägungen wird aber der Weihrauch oft weggelassen. Das Deutewort hängt dann in der Luft. Traurig finde ich auch, dass immer mehr Sternsinger nur ein leeres Rauchfass mit sich herumtragen. Es ist doch ein schönes Zeichen, wenn durch den Weihrauchduft der zugesprochene Segen noch einige Zeit in der Wohnung bleibt. Wenn man die Symbole nur andeutet, können sie nicht mehr wirken. Das sind Verflachungen, die niemandem etwas bringen.