"Wenn das Holz knirscht, bin ich hellwach"
Frage: Bruder Bernhard, ihre Aufgabe besteht ausschließlich darin, im Petersdom die Beichte abzunehmen. Ist das nicht sehr anstrengend und monoton?
Bernhard Johannes: Anstrengend wird es, wenn niemand kommt. Wenn ich zum Beispiel morgens von sieben bis zehn Uhr im Beichtstuhl sitze, dann verbringe ich viel Zeit mit Warten. Dann bete ich gerne den Rosenkranz. Wenn ich schlecht geschlafen habe - was manchmal vorkommt -, kann es sein, dass ich einnicke. Aber das Interessante ist: Wenn sich das Holz bewegt, das heißt: jemand kommt in den Beichtstuhl, dann bin ich sofort hellwach. Die Beichte selbst strengt mich überhaupt nicht an, ganz im Gegenteil. Rein formal mag meine Aufgabe also einseitig sein, aber ich denke, dieses Angebot ist sehr wichtig.
Frage: Wer kommt zu Ihnen?
Bernhard Johannes: Das ist sehr gemischt. Morgens sind das vor allem Priester oder Ordensleute, die sich früh aufmachen, um die Beichte mit ihrer Arbeit verknüpfen zu können. Später kommen auch die in Rom lebenden Deutschen, Wallfahrer und Touristen.
Frage: Sind die Menschen im Petersdom als Touristenmagnet überhaupt in der richtigen Stimmung zum Beichten?
Bernhard Johannes: Im Petersdom ist schon sehr viel los, und es passiert alles Mögliche gleichzeitig. Aber das nördliche Querhaus der Basilika, wo sich unsere Beichtstühle befinden, das ist als stiller Bereich abgeteilt. Da kommt kein Tourist hin, da herrscht wirklich Ruhe. Und es gibt auch sonst gute, ruhige Orte in der Basilika, wo man sich vorbereiten kann: zum Beispiel die Sakramentskapelle etwa oder die Krypta.
Frage: Kommen denn auch manche Menschen, die es "chic" finden, während eines Rom-Aufenthalts auch mal wieder zu beichten?
Bernhard Johannes: Ja, manche sehen den Beichtstuhl und fühlen sich angezogen wie von einem Magneten. Denen muss ich ein bisschen unter die Arme greifen, weil sie eigentlich nicht so recht wissen, wie Beichten eigentlich geht. Mein Ziel ist, dass sie als Tourist in den Beichtstuhl kommen und als Wallfahrer wieder herausgehen. Es braucht ein wenig Fingerspitzengefühl, damit sie sich nicht abgestoßen fühlen. Aber der Papst legt ja großen Wert darauf, dass wir mehr Väter sind und weniger Richter. Wir sollen barmherzig mit den Menschen sein, auch wenn sie sich auf einem geistlich gesehen niedrigen Niveau bewegen.
Frage: Was ist für Sie ein gutes Beichtgespräch?
Bernhard Johannes: Dazu gehört, dass sich der Betreffende vorbereitet hat und mit seinen Möglichkeiten das zur Sprache bringt, worum es ihm tatsächlich geht. Das ist gar nicht so einfach. Ein Gespräch mit einem irischen Banker werde ich nie vergessen. Trotz seines Berufes, in dem es schnell zu ethischen Grenzfragen kommt, wusste er doch ganz klar, was geht und was nicht. Er hat mir in sehr gutem Deutsch eine Lehrstunde in eigener Gewissenserforschung gegeben. Das war phantastisch. Das ist für mich das Schöne am Beichten, dass komplexe Situationen ausdrückbar werden, dass Menschen durch ihr Gewissen wirklich unterscheiden können zwischen Gut und Böse, dass sie wissen, was sie Böses getan und Gutes unterlassen haben.
Frage: Was ist Ihr Anspruch an sich selbst?
Bernhard Johannes: Ich möchte mit den Menschen in ein wirkliches Gespräch kommen, das soll nicht nur so ein Abklopfen sein. Und ich versuche zuzuhören. Die Beichte abzunehmen, ist eine sehr gute Übung, den Menschen zuzuhören, zu lernen, zwischen den Zeilen zu lesen. Die Menschen sind in sehr unterschiedlichem Maß sprachfähig für das eigene Gewissen. Dabei habe ich große Ohren, um herauszuhören, was mir die Person eigentlich sagen will, was sie umtreibt. Das ist ja eigentlich meine Aufgabe: Zuhören.
Themenseite: Heiliges Jahr
Vom 8. Dezember 2015 bis zum 20. November 2016 findet das von Papst Franziskus ausgerufene "Heilige Jahr der Barmherzigkeit" statt. Diese Themenseite bündelt die Berichterstattung von katholisch.de zum Heiligen Jahr.Frage: Im Petersdom kann man in sehr vielen verschiedenen Sprachen beichten - gehen die Nationen unterschiedlich mit den Themen Schuld und Sühne um?
Bernhard Johannes: Ja. Italiener etwa haben meiner Meinung nach ein ganz anderes Verhältnis zum Bußsakrament als die Deutschen. In der gleichen Selbstverständlichkeit wie sie die Sünden zu beichten, da würden sich die meisten Deutschen schwer tun. Ich habe das Gefühl, sie sind da irgendwie schwerfälliger.
Frage: Woran liegt das?
Bernhard Johannes: Deutsche sind eben so deutsch (lacht). Wir sind gründlich, ich merke das ja bei mir selber. Ich gebe Ihnen ein ganz profanes Beispiel: Mit Mülltrennung können unsere älteren italienischen Mitbrüder nichts anfangen. Ich hole für sie dann die Kunststoffbecher aus dem Biomüll - und das ist sehr deutsch, diese Gewissenhaftigkeit oder Gründlichkeit, die man schon im Kindergarten lernt. Mein Eindruck ist dann auch, dass man das, was man tut, auch gut machen muss. Dabei kann es dann dazu kommen, dass sich der Deutsche manchmal selbst im Weg steht, wenn es darum geht Fehler zuzugeben. Bei uns muss einfach alles korrekt sein.
Frage: Ist die Beichte deswegen in Deutschland so unbeliebt?
Bernhard Johannes: Mag sein. Und die pastorale Situation - sprich die Zahl der Priester im Verhältnis zu den Pfarreien - trägt das ihre dazu bei. Ich habe hier im Beichtstuhl manchmal Priester, die ihre Not dahingehend zur Sprache bringen. Aber es gibt auch Gläubige, die gern beichten würden, aber keine Gelegenheit dazu haben. Das ist eine echte Notsituation, vor allem auf dem Land.
Frage: Aber die Beichte ist ja nicht nur in Deutschland auf dem Rückzug…
Bernhard Johannes: Die Seelenlandschaft in unseren urbanisierten Gesellschaften ist sehr komplex. Was den Begriff von Schuld und Sünde betrifft, hat die Kirche nicht mehr das Monopol. Da gib es einerseits das Zivil- und Strafrecht. Dann könnte man sagen, dass die Menschen in der Leistungsgesellschaft beziehungsweise Arbeitswelt auch gnadenloser geworden sind. Schnell kann jemand von der Öffentlichkeit oder den Medien an den Pranger gestellt werden - oft auch noch zu Unrecht, weil möglicherweise Machtinteressen im Spiel sind. Man kann sich keine Schuld mehr leisten. Folglich findet Verdrängung statt, die dazu führt, dass die Menschen sprachlos werden für das eigene Gewissen. Es kann passieren, dass sie über Jahrzehnte etwas mit sich herumschleppen. Dies hat ein Religionsphilosoph einmal als einen Rucksack beschrieben, der am Rücken klebt. Aber wohin will man diese Last tragen, wenn man die Beziehung mit Gott kaum mehr pflegt? Ich habe hier von dem Fall einer Frau gehört, die Jahrzehnte zuvor ein Kind abgetrieben hat, sich aber nicht getraut hatte, das zu beichten. Das müssen Sie sich einmal vorstellen: Diese Frau war im Grunde genommen exkommuniziert aufgrund der schweren Sünde, aber praktizierte in der Kirche. Ich hatte sehr großes Mitleid mit dieser Frau. Es ist zum Weinen.
Frage: Hat sich das Beichtverhalten der Menschen im Heiligen Jahr verändert?
Bernhard Johannes: Ja, es kommen schon mehr Menschen und manche kommen explizit, um einen vollständigen Ablass zu erlangen. Sie sind dann meistens sehr gut vorbereitet und nehmen das sehr ernst. Bei dieser Gelegenheit hat man dann schon den Eindruck, dass Papst Franziskus bei seinen Ansprachen den richtigen Ton für die Umkehr der Herzen trifft. Er ist ein echter Prophet.