re:publica: Islamwissenschaftlerin über digitalen Haddsch

Wie Saudi-Arabien die Mekka-Pilgerfahrt digitalisiert

Veröffentlicht am 04.05.2018 um 11:10 Uhr – Lesedauer: 
Islam

Berlin ‐ Saudi-Arabien hat ein gespaltenes Verhältnis zur Moderne: Menschenrechte achtet das islamische Königreich gering. Doch die Digitalisierung macht es sich zunutze – auch bei der Pilgerfahrt nach Mekka.

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Saudi-Arabien ist ein Land der Gegensätze: Modernste Architektur trifft auf uralte Stätten, Ölreichtum auf Ausbeutung von Gastarbeitern, eine weltläufige Elite auf schlimmste Menschenrechtsverletzungen, eine strikte Auslegung des Islam, die sich auf die Zeit Mohammeds beruft, auf eine junge Gesellschaft, in der die Digitalisierung selbstverständlich ist.

"Die Gesellschaft Saudi-Arabiens ist dabei immer sehr pragmatisch und erkennt an, dass sie in einer modernen technisierten Welt lebt, und versucht, das mit den religiösen Vorschriften zusammenzubringen", erzählt Miriam Seyffarth. Die Islamwissenschaftlerin beschäftigt sich damit, wie Religion und Digitalisierung in Saudi-Arabien aufeinandertreffen und hat davon auf der Internet-Konferenz re:publica berichtet.

Miriam Seyffarth auf der re:publica 2018
Bild: ©katholisch.de/fxn

Miriam Seyffarth ist Islamwissenschaftlerin. Zwei Jahre lang hat sie selbst in Saudi-Arabien gelebt und dort unter anderem für das Goethe-Institut als Kulturmanagerin gearbeitet. Auf der Konferenz re:publica 2018 hat sie über die Digitalisierung der Haddsch geredet.

Sie selbst hat zwei Jahre lang als Kulturmanagerin in Saudi-Arabien gearbeitet und erlebt, was es bedeutet, in einer zugleich strikt islamischen und digitalisierten Gesellschaft zu leben. Selbstverständlich hätten alle auf dem Handy die App für die fünf täglichen Gebetszeiten installiert, auch Seyffarth: "Ich hatte die App nicht, weil ich beten musste, sondern weil ich wissen wollte, wann die Geschäfte und Restaurants wegen der Gebetszeit geschlossen sind."

Smartphone-App vom Wallfahrtsministerium

Auch in Mekka treffen Religion und Digitalisierung aufeinander. Millionen Pilger wollen jedes Jahr die heiligen Stätten des Islams besuchen und damit ihre religiöse Pflicht erfüllen; der Haddsch ist eine der fünf Säulen des Islam. Immer wieder kam es in der Vergangenheit dabei zu Unglücken in Mekka: Massenpaniken, bei denen Dutzende Menschen an einer der traditionellen Stationen, die zum Absolvieren der religiösen Pflicht gehören, totgetrampelt wurden. Aber auch Unfälle durch die vielen Baustellen.

Um solche Unglücke zu verhindern, ergreift die Regierung einerseits naheliegende Maßnahmen: eine Verbesserung der Architektur, bessere Laufwege, breitere und mehr Straßen und Brücken. Seit wenigen Jahren gibt es eine Maximalzahl an Menschen, die während des Pilgermonats Mekka besuchen dürfen. Doch es gibt auch digitale Strategien, um der Menschenmassen Herr zu werden. Zwar tragen die Pilger traditionelle weiße Gewänder, die an die Ursprungszeit des Islam erinnern. Das Smartphone ist aber trotzdem dabei – und oft ist darauf die Haddsch-App des Wallfahrtsministeriums installiert, die bei der Orientierung hilft, Nachrichten und Informationen anzeigt und mit einem Kompass die exakte Gebetsrichtung ermittelt.

Opfertiere im Online-Shop

Außerdem gibt es erste Prototypen von speziellen "eBracelets", elektronischen Armbändern, die diese Funktionen in einem kompakten Gehäuse am Körper vereinen – und die natürlich auch durch Ortungs- und Lokalisierungstechnik dafür sorgen, dass die Behörden die Menschenströme noch genauer steuern können. Am Ende der Pilgerfahrt gibt es dann eine Webseite des Wallfahrtsministeriums, auf dem man in einem Online-Shop das vorgeschriebene Tieropfer bestellen kann und so die geopferten Tiere nicht – unter zweifelhaften hygienischen Bedingungen – selbst schlachten muss.

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Natürlich wird auch in Saudi-Arabien diskutiert, ob soviel Technik nicht von der spirituellen Bedeutung des Haddsch ablenkt. Unter Muslimen gibt es sehr unterschiedliche Herangehensweisen an die Pilgerfahrt: Zum einen gibt es die, die sich monatelang auf den Haddsch vorbereiten, beten und meditieren. "Die sagen dann: Ich schaue jetzt nicht auf Twitter, wenn ich zum ersten Mal die große Moschee in Mekka oder die Kaaba sehe", so Seyffarth: "Das erste Bedürfnis ist dann nicht, davon ein Foto zu machen, sondern diesen Moment möglichst intensiv wahrzunehmen und sich nah bei Gott zu fühlen."

Aber es gibt auch andere, für die gerade die Berichte und Bilder in sozialen Netzen zur Pilgerfahrt dazugehören. Aus Sicherheitsgründen gibt es zwar seit 2017 ein Selfie-Verbot. Selfies werden aber natürlich trotzdem aufgenommen – weil es für viele Pilger einfach zu ihrer Art zu kommunizieren und zu glauben dazugehört, und auch, weil mit ihnen oft ganze Dörfer den Haddsch virtuell begleiten: "Da gibt es Menschen, die ein Leben lang für die Pilgerfahrt gespart haben, und bei denen die ganze Community dann online in den heiligen Stätten dabei ist", erläutert Seyffarth. "Durch Onlinemedien können noch mehr Leute an dieser Erfahrung teilhaben, die selbst nie dorthin kommen könnten."

Digitalisierung ist im Islam angekommen

Wenn über die Modernisierung des Haddsch in Saudi-Arabien diskutiert wird, dann weniger über diese digitalen Aspekte, so Seyffarth. Kontroversen gebe es eher aufgrund der enormen Bautätigkeiten, die den historischen Charakter Mekkas massiv verändern und die Wirkungsorte Mohammeds mit Hotel um Hotel verbauen.

Bild: ©picture alliance/AA/Ozkan Bilgin

Kurz vor der großen jährlichen islamischen Pilgerfahrt sind am 11. September 2015 mitten in Mekka bei einem Kran-Unglück mindestens 87 Menschen getötet und mehr als 180 verletzt worden.

Die Digitalisierung dagegen ist im Islam angekommen: Imame äußern sich in sozialen Medien zu allen Fragen der Lebensführung, es gibt Fatwas zu alltäglichen Problemen des Internets, und wenn es um die heiligen Traditionen geht, hilft auch schon einmal die enge Verknüpfung von Herrscherhaus und religiösen Eliten in Saudi-Arabien: Dann segnet ein gewogener Imam mit einer Fatwa ab, was pragmatisch geboten scheint, um einen reibungslosen Ablauf der Haddsch zu ermöglichen.

Der pragmatische Aspekt schlägt in der Regel auch Bedenken vor zuviel Technik bei den Gläubigen selbst, erzählt Seyffarth: "Es hilft nichts, wenn man in Mekka zu hundert Prozent spirituell drauf ist, aber dann findet man sein Hotel abends nicht mehr wieder. Dann ist es vielleicht doch ganz gut, wenn man sein Telefon rausholt und auf die Karte schaut."

Von Felix Neumann