Manilas Kardinal Tagle zu Präsident Duterte und seinem Kurs

"Wir brechen die Gespräche nicht ab"

Veröffentlicht am 09.10.2016 um 15:03 Uhr – Lesedauer: 
"Wir brechen die Gespräche nicht ab"
Bild: © KNA
Philippinen

Manila ‐ Der neue philippinische Präsident Duterte hat bislang 3.500 Menschen im Kampf gegen den Drogenhandel töten lassen. Was sagt die Kirche dazu? Kardinal Tagle plädiert bei aller Kritik für einen differenzierten Blick.

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Seit gut drei Monaten ist die neue philippinische Regierung im Amt und sorgt schon für heftige internationale Kritik. Im Mittelpunkt steht die rigorose Anti-Drogen-Politik von Präsident Rodrigo Duterte. Seit Ende Juni wurden nach Polizeiangaben bereits mehr als 3.500 Menschen wegen Drogenhandels oder -besitzes getötet. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur wirbt Manilas Kardinal Luis Antonio Tagle (59) bei aller Kritik an Duterte für einen differenzierten Blick und für weitere Verhandlungen mit der Regierung.

Frage: Kardinal Tagle, das Hilfswerk missio stellt mit seiner neuen Aktion die Philippinen in den Mittelpunkt. Wie wichtig ist die Hilfe aus Deutschland für die Menschen in Ihrer Heimat?

Tagle: Das kann man gar nicht in ein paar Worten sagen. Die Hilfe für die Ärmsten ist einer der Kernbestandteile unseres Glaubens. Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, habt ihr mir getan, heißt es ja nicht umsonst. Und die deutschen Christen spielen hier eine führende Rolle mit ihrer großen Hilfsbereitschaft.

Frage: Was sind denn die gravierendsten Probleme auf den Philippinen?

Tagle: Als erstes die entmenschlichende Armut, die trotz aller Gegenmaßnahmen in den vergangenen Jahrzehnten eher noch schlimmer wird. Sie ist auch mit schuld daran, dass sich Gewalt, Drogen, Prostitution, Fundamentalismus und Terrorismus so ausbreiten können. Dazu kommen Naturkatastrophen, zum Teil sicher durch den Klimawandel verstärkt. Und ein weiteres Riesenproblem - auch das eine Folge der Armut - sind die vielen Familien, die auseinanderbrechen, weil die Eltern irgendwo im Ausland arbeiten müssen, oft unter sklavenähnlichen Bedingungen, um das Überleben der Familie zu sichern.

Bild: ©picture alliance / AP Photo

Tagle: "Die Armut ist auch mit schuld daran, dass sich Gewalt, Drogen, Prostitution, Fundamentalismus und Terrorismus so ausbreiten können. Dazu kommen Naturkatastrophen, zum Teil sicher durch den Klimawandel verstärkt." Im Bild sind Überlebende des Taifuns "Haiyan" in Tacoblan zu sehen.

Frage: Was kann die Kirche dagegen tun?

Tagle: Wir können nicht alle Lücken stopfen, die Politik und Gesellschaft nicht gestopft bekommen. Wir helfen vor allem in den Bereichen Bildung und Gesundheit, um die Menschen in die Lage zu versetzen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und besser zu bewältigen. Wir helfen auch und gerade Frauen und Müttern, damit sie eine Schulausbildung bekommen und einen Beruf ausüben können. Und wir sind Anwalt und Stimme der Armen in einem System, das diese Armen am liebsten links liegen lässt. Hier fördern wir auch kleine christliche Gemeinschaften, die sich nicht nur in der Kirche engagieren, sondern auch eine ganz wichtige Rolle in der Zivilgesellschaft spielen können und müssen, damit sich etwas ändert in unserem Land.

Frage: Sie vertrauen also nicht auf die Politik?

Tagle: Nicht allein jedenfalls. Dazu haben wir zu viel mitgemacht in den vergangenen Jahrzehnten. Es gab viele Versuche und Versprechen, die Gesellschaft gerechter zu machen. Die hörten sich oft auch sehr vielversprechend an. Wir haben eine gute Verfassung, aber in der Praxis wird nichts davon umgesetzt. Die Zivilgesellschaft muss stärker werden - und dabei müssen wir als Kirche mithelfen, aber auch die internationale Gemeinschaft.

Frage: Wie beurteilen Sie da die neue Regierung unter Rodrigo Duterte?

Tagle: Da bin ich etwas vorsichtig, denn sie ist ja erst gut drei Monate im Amt. Und man muss schon sagen, dass auf seiner Agenda etliche Punkte stehen, die für mehr Gerechtigkeit sorgen sollen und auch könnten - wenn sie denn umgesetzt würden. Daran müssen wir natürlich immer erinnern und auch darauf drängen.

Frage: Wo sehen Sie solche Ansätze für mehr Gerechtigkeit?

Tagle: Zum Beispiel da, wo die Regierung dafür sorgen will, dass sich auch die extrem reichen Oligarchen nicht länger vor dem Zahlen von Steuern drücken können. Oder wo sie Arbeitsgesetze ändern will, die einseitig die Armen benachteiligen. Weiterhin ist der Kampf gegen illegale Drogen eine Notwendigkeit. Allerdings stellt sich die Frage, welcher Ansatz hier der richtige ist.

Frage: In der Tat.

Tagle: Natürlich lösen die Aussagen von Präsident Duterte Besorgnis aus. Und ein willkürliches "Abschlachten", wie er es ja selbst nennt, muss ein Ende haben, weil diesen Aktionen auch unschuldige Menschen zum Opfer fallen.

Linktipp: Größte katholische Solidaritätsaktion gestartet

Die missio-Aktion "Monat der Weltmission" ist am Sonntag eröffnet worden. Während des Gottesdienstes forderte der Kardinal von Manila, Luis Antonio Tagle, mehr Solidarität mit Menschen in Not.

Frage: Aber?

Tagle: Das Ziel dahinter tragen fast alle Menschen auf den Philippinen mit: nämlich das Ende der Drogenkartelle mit ihren schmutzigen Geschäften und der Gewalt, die schon viele Chancen auf eine bessere Zukunft und so unendlich viele Familien zerstört haben. Und diese Familien der Opfer stehen mit großer Mehrheit hinter Dutertes Politik - egal wie brutal und rücksichtslos er vorgeht.

Frage: Und was sagt die Kirche dem Präsidenten?

Tagle: Einerseits, dass er sich mäßigen muss; dass es so wie derzeit nicht weitergehen darf. Aber wir belassen es nicht bei der öffentlichen Anklage mit erhobenem Zeigefinger und lehnen uns dann zurück und fühlen uns moralisch überlegen. Das allein führt in dem Fall nicht weiter, fürchte ich. Wir brechen die Gespräche nicht ab, sondern bleiben weiter im Kontakt mit Duterte und seiner Regierung.

Sie verstehen sicher, dass ich keine Details verraten kann, aber ich denke, dass wir nur auf diese Weise im Hintergrund an besseren Lösungen mitarbeiten können. Ich sehe keine andere Chance, wenn wir wirklich Verbesserungen erzielen wollen, anstatt nur weitere Verhärtungen zu provozieren. Es ist kein leichter Weg, und keiner kann uns garantieren, dass er zum Erfolg führt - aber es gibt keine wirkliche Alternative.

Von Gottfried Bohl (KNA)