"Wir haben hier qualifizierte Theologinnen, denen nur die Weihe fehlt"
Theologinnen, die für Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche beten, Katholikinnen, die zum Kirchenstreik aufrufen: Frauen fordern immer selbstbewusster ihren Platz in der katholischen Kirche ein. Das Thema macht auch vor den Frauenorden nicht Halt. Schwester Ruth Schönenberger ist Leiterin des Priorats Tutzing der Missions-Benediktinerinnen und für eine Gemeinschaft von 70 Frauen verantwortlich. Im katholisch.de-Interview erzählt sie, wie die aktuelle Diskussion das Leben im Kloster beeinflusst und welche Änderungen sie sich in der Kirche wünscht – besonders im Hinblick auf die Rolle von Frauen.
Frage: Schwester Ruth, auch Ihre Ordensgemeinschaft unterstützt via Facebook die Gebetsinitiative von Schweizer Katholikinnen für die Gleichstellung von Frauen in der Kirche. Hilft in dieser Frage etwa nur noch beten?
Sr. Ruth Schönenberger: Da hilft sicherlich nicht nur beten, aber warum soll man nicht dafür beten? Denken wir doch daran zurück, wie viele Menschen gebetet haben, bevor die Berliner Mauer gefallen ist. Mir ist ganz wichtig, bei allen strukturellen Diskussionen das Anliegen immer wieder gemeinsam vor Gott zu tragen. Das öffnet den Horizont, um sich bei all diesen Fragen darauf zu besinnen, worum es eigentlich geht. Dabei hilft mir das Gebet.
Frage: Was würde denn in dieser Angelegenheit noch helfen?
Sr. Ruth: Ich kann überhaupt nicht verstehen, warum Frauen und Männer sich nicht gegenseitig als gleichwertig anerkennen können. Ich finde es sehr erschreckend, wie sehr dieses Machtgefälle in aller Welt zu finden ist – und dass wir nicht gelernt haben, besser damit umzugehen. In Deutschland zum Beispiel haben wir erst seit 100 Jahren das Frauenwahlrecht – das ist eine ziemlich kurze Zeitspanne. Ich finde, da müssen wir ganz intensiv rangehen. Was in solchen Machtsituationen meiner Ansicht nach immer hilft: sie anzusprechen und nicht zu schlucken. Wir müssen ja schließlich nicht voreinander Angst haben. Und dann sollte man am Ball bleiben und schauen, dass wirklich Schritte gegangen werden und wir Frauen nicht nur vertröstet werden, wie es das Beispiel des Diakonats der Frau zeigt.
Frage: Sehen Sie so eine ungerechte Machtsituation auch in der Kirche gegeben?
Sr. Ruth: Ja natürlich ist die gegeben, keine Frage.
Frage: Sprechen Sie mit Ihren Mitschwestern darüber?
Sr. Ruth: Wir sind da im Moment sehr dran, sowohl im Bereich Missbrauch als auch beim Thema Frauen in der Kirche. Bei uns steht demnächst ein Prioratskapitel an, wo wir sicherlich auch darüber sprechen werden. Die Frage ist nur: Wo fängt man an, wo hat man konkrete Anknüpfungspunkte, um etwas zu tun? Das ist natürlich nicht so leicht. Wir haben Tag für Tag ganz konkrete Abhängigkeiten. Ein Beispiel: Wenn wir Eucharistie feiern wollen als Frauengemeinschaft, müssen wir immer organisieren, dass ein Mann zu uns kommt – und das jeden Tag. Er steht dann am Altar und leitet – und nicht wir. Wir werden danach suchen, welche Formen in Zukunft für uns passen und wie wir auch Neues entwickeln.
Frage: Sie leiten in Tutzing eine Gemeinschaft von 70 Frauen und sind darüber hinaus noch für zwei weitere Klöster zuständig. Wie schwierig ist das?
Sr. Ruth: Wenn ich benediktinisch leiten will, bedeutet das zum einen, die Gemeinschaft als Ganze im Blick zu haben. Zum anderen geht es darum auf jede Einzelne einzugehen und darauf zu achten, dass sie das entwickelt, was in ihr grundgelegt ist. Der heilige Benedikt hat einen sehr individuellen Ansatz. Das ist natürlich etwas sehr Herausforderndes, und man kann da eigentlich immer nur hinter dem Anspruch hinterherhinken. Andererseits leite ich die Gemeinschaften nicht allein, sondern mit vielen Mitschwestern zusammen. Wir haben bei uns in den letzten Jahren Schritt für Schritt eine gute Gesprächskultur aufgebaut. Wir besprechen viele Themen miteinander. Die Schwestern bringen sich da natürlich ein. Ich finde es sehr kostbar, dass wir nicht mehr dieses starre, hierarchische System haben. Aber klar ist auch: Irgendwann muss jemand die Dinge entscheiden.
Frage: Taugt dieser Ansatz Benedikts von Nursia für die Gesamtkirche?
Sr. Ruth: Ich denke, dass Benedikt einen tollen Ansatz für die Kirche hat mit diesem Aufeinanderhören und der Wertschätzung des Einzelnen. Es gehört genauso dazu, dass sich jeder einbringen kann und soll. Gemeinschaft ist ja etwas, wofür ich mich engagieren muss. Ich glaube, wir kommen in der Kirche nur dann weiter, wenn wir uns alle einbringen mit unseren ganz verschiedenen Facetten. Wir hatten gerade ein Generalkapitel mit dem Thema "Wir sind verschieden und doch eins". Die Kirche hat in den vergangenen Jahrhunderten viel zu viel Wert auf die Einheit gelegt und die Verschiedenheit zu wenig geschätzt. Daraus sind viele Regeln entstanden, damit mehr gleichgeschaltet wird. Ich finde, wir haben eine ziemlich legalistische Kirche, die sehr von Gesetzen und Vorschriften geprägt ist. So erlebe ich Jesus eigentlich nicht. Er ist dagegen angegangen.
„Ich finde, wir haben eine ziemlich legalistische Kirche, die sehr von Gesetzen und Vorschriften geprägt ist. So erlebe ich Jesus eigentlich nicht. Er ist dagegen angegangen.“
Frage: Sie haben gerade das Thema Verschiedenheit angesprochen. Die gibt es sicherlich auch bei Ihnen im Kloster, oder?
Sr. Ruth: Klar. Jeder Mensch hat seine eigene Kultur und ist anders geprägt. Wir im Kloster sind zwar alle Katholikinnen, aber wenn ich in das Herz jeder Einzelnen schauen würde, wäre ich wahrscheinlich überrascht, welche Bandbreite ich da sehen würde. Aber das ist ja auch wieder das Tolle, dass jede unterschiedlich sein darf und anders denkt. Doch das muss ich lernen, nicht nur auszuhalten, sondern auch wertzuschätzen. Irgendwie ist das ja eine Anfrage an mich selbst: Mache ich mich auf den Weg nach Neuland oder suche ich Sicherheit?
Frage: Auf welche Probleme stoßen sie im Ordensalltag?
Sr. Ruth: Die Probleme umfassen das ganze Leben. Schön finde ich, wenn man Probleme miteinander angehen kann und sie nicht unter den Teppich kehrt. Wenn man sich traut, sie anzugehen, ist es meistens für beide Seiten hilfreicher. Aber diese Frage stellt sich in jedem Miteinander. Für uns im Orden ist die Situation insofern anders, als wir viele Lebensbereiche miteinander teilen: Gebetszeiten, Mahlzeiten, Freizeiten, oft auch die Arbeit. Und das ist natürlich weitaus herausfordernder, als wenn ich mich dabei immer wieder mit anderen Leuten zusammentun kann. Aber es kann auch schön sein, weil man sich von vielen verschiedenen Seiten kennenlernt. Das macht ja auch das Gemeinschaftsleben aus.
Frage: Zurzeit wird viel über die Rolle von Frauen in der Kirche debattiert, besonders im Hinblick auf den Zugang zum Weiheamt. Wie ist Ihre Position als Ordensfrau in dieser Frage?
Sr. Ruth: Ich fände es eigentlich selbstverständlich, dass eine Frau auch geweiht werden kann. Ich verstehe die Begründungen nicht. Ich wundere mich, dass man die Präsenz Christi auf das Mannsein reduziert. Wir haben hier bei uns auch qualifizierte Theologinnen, denen nur die Weihe fehlt – sonst nichts. Ich frage mich oft, warum diese Differenzierung an Geschlechtern erfolgt und nicht an Qualifikation und an Weiterbildung. Man sollte wieder mehr darauf schauen, was Aufgabe eines Priesters ist. Wenn er Leiter einer Pfarrei ist, dann muss er viele Dinge tun, die er vermutlich nie gelernt hat. Muss das sein? Es finden sich ja inzwischen auch andere Lösungen. Ich würde jetzt nicht sagen, so und so viel Frauen und so und so viel Männer müssen in eine Position kommen. Man soll schauen, wer für diese Aufgabe qualifiziert ist. Unser derzeitiges Priesterbild gehört grundlegend revidiert. Manchmal wundere ich mich, dass Priester sich nicht mehr wehren gegen die Entwicklung, die derzeit auch mit ihnen geschieht.
Frage: Das heißt, Sie würden sich mehr Frauen in kirchlichen Führungspositionen wünschen?
Sr. Ruth: Selbstverständlich. Aber ich sage nicht, dass eine Frau eine Führungsposition bekommen soll, weil sie eine Frau ist – sondern weil sie qualifiziert ist. Und ein Mann soll sie auch nur bekommen, weil er qualifiziert ist – und nicht nur, weil er Priester ist.
Frage: Glauben Sie, dass sich in dieser Angelegenheit demnächst etwas tut?
Sr. Ruth: Man müsste es halt wollen. Und da bin ich mir nicht so sicher, dass dem wirklich so ist. Es würde viel helfen, wenn wir in der Kirche besser darauf achten, wie Jesus mit Frauen umgegangen ist. Er hat von ihnen gelernt, wenn ich etwa an die syrophönizische Frau [vgl. Mk 7,24–30] denke. Frauen sind ja mit ihm auch auf dem Weg gewesen. Das war ein ganz anderer Umgang als heute. Heute werden Auslegungen und Gesetze ins Feld geführt, die sich in der Geschichte der Kirche entwickelt haben. Wir müssen und – ich denke – wir dürfen sie heute gerade aus dem Blickwinkel des Evangeliums neu beleuchten. Ich bin mir auch sicher, dass es für die Kirche eine Bereicherung sein wird. Es wird nicht alle Probleme lösen, aber es wird viel Leid beseitigen, das Frauen durch die Strukturen erleiden. Jesus hat ja auch mit seiner Kritik an der Auslegung des Sabbatgebots darauf hingewiesen, dass der Sabbat für den Menschen da sein soll. Leben wir das heute? Da müsste man vielmehr im Blick haben, worum es hier eigentlich geht: Es geht um Menschen.
Frage: Bei der ganzen Debatte um Reformen in der Kirche: Wie stark finden Frauen mit Ihren Positionen und Forderungen Gehör?
Sr. Ruth: Frauen formulieren ihre Forderungen jetzt etwas lauter. Wir waren lange Zeit viel zu still. Nur mal ein Beispiel aus einer anderen Branche: Warum sind Pflegeberufe, in denen viele Frauen arbeiten, unterbezahlt? Denen schenkt man auch kein Gehör. Streiken können Sie ja nicht, weil sie sich um Menschen kümmern. Was braucht es, dass man sie wirklich hört? Durch den Mangel an Pflegekräften fängt man jetzt an, sie wertzuschätzen. Aber das ärgert mich auch in der Kirche, wenn Frauen in eine Position kommen, weil man keine Priester mehr dafür hat. Ich würde mir wünschen, dass man uns Frauen schätzt, weil wir qualifiziert sind und dass man uns deswegen will – und nicht, weil Priester die Stelle nicht mehr besetzen können. Manchmal habe ich das Gefühl, dass im Moment eher das Argument dahintersteckt, dass da Löcher sind, die man stopfen muss.
„Ich fände es eigentlich selbstverständlich, dass eine Frau auch geweiht werden kann. Ich verstehe die Begründungen nicht. Ich wundere mich, dass man die Präsenz Christi auf das Mannsein reduziert.“
Frage: Katholikinnen in Münster riefen kürzlich Frauen in ganz Deutschland dazu auf, eine Woche lang in Kirchenstreik zu treten und ihre Dienste ruhen zu lassen. Können Sie mit solchen Aktionen etwas anfangen?
Sr. Ruth: Das Thema braucht sicher Aufmerksamkeit. Und so eine Aktion bringt sie vermutlich. Von daher finde ich es schon reizvoll, sowas zu tun. Ich finde es im Moment in vielen Dingen nicht leicht, wo wir Frauen wirklich konkrete Punkte anpacken und Schritte gehen können. Das Thema ist sehr groß, und jede große Veränderung fängt im Kleinen an. Die Frage ist aber: Lassen wir uns immer auf das Kleine reduzieren – und es geht dann doch nicht weiter? Wir diskutieren über Vieles seit langem. Doch es tut sich nicht wirklich was. Sehen Männer in der Leitung der Kirche das nicht ein? Müssen wir warten, bis so und so viele austreten? Ich finde das total schade, denn die Kirche hat viele Schätze. Sie schleppt aber auch vieles mit sich, was historisch gewachsen ist, aber mit Jesus nicht viel zu tun hat. Darauf sollte man ehrlicher schauen.
Frage: Was wäre das zum Beispiel?
Sr. Ruth: Die ganzen Strukturen, die wir haben. Dieser ganze Klerikalismus, der entstanden ist. Und wenn ich mir Tagesgebete anschaue, frage ich mich oft, welches Gottesbild da dahintersteht. Und ganz praktisch: das äußere Erscheinungsbild der Kirche und ihre Sprache. Wenn das ein säkularer Mensch anschaut, dann kann ich gut verstehen, dass er sagt: Was ist das denn?
Frage: In welchen Bereichen in der Kirche könnten Frauen konkret anpacken?
Sr. Ruth: Andersrum gefragt: In welchen denn nicht? Man sperrt sie oft einfach aus, weil es heißt, dazu braucht es einen Priester. Aber da hätte ich gerne mal die Rechtfertigung dafür. Das müsste die Kirche begründet leisten.
Frage: Momentan ist das Thema sexueller Missbrauch an Ordensfrauen in der Öffentlichkeit präsent. Glauben Sie, dass dieses Thema jetzt – auch nach dem jüngsten Statement des Papstes – seitens der Kirche verstärkt aufgearbeitet wird?
Sr. Ruth: Teilweise geschieht die Aufarbeitung bereits. Aber wie ehrlich sie wirklich vollzogen wird, da kann man an einigen Stellen hoffen, aber an anderen habe ich große Zweifel. Es wurde ja so erschreckend Vieles unter der Decke gehalten. Je mehr ich derzeit erfahre, umso entsetzter bin ich über die Realität in der Kirche. Der zentrale Punkt für mich wäre, dass Männer wirklich kapieren, was sie da tun. Da müsste etwas im Denken und im Herzen passieren – sonst passiert nicht wirklich was. Ich kann die Strukturen verändern, wie ich will – wenn sich dieses Denken nicht ändert, kommen wir nicht weiter.
Frage: Was sollte sich im Denken der Kirche noch verändern?
Sr. Ruth: Ich habe neulich ein Interview mit dem Jesuiten Klaus Mertes gelesen, der davon spricht, dass wir uns in der Kirche fragen müssen, wie wir so von Gott reden können, dass er dabei nicht missbraucht wird. Kirche hat oft die Wahrheit verkündet. Das hat natürlich auch mit Macht zu tun. Ich traue mich nicht zu sagen, dass ich wüsste, was der Wille Gottes ist, schon gar nicht für andere. Die Kirche braucht meiner Meinung nach eine offenere Diskussionskultur. Wenn ich etwa höre, in der Kirche darf über Themen wie den Zölibat nicht mehr diskutiert werden: Gehen da etwa jemandem die Argumente aus? Das ist für mich kein Argument.
Frage: Welche Kirche wünschen Sie sich für die Zukunft?
Sr. Ruth: Ich wünsche mir eine Kirche, die sich intensiv am Evangelium orientiert und schaut, wie Jesus mit Menschen umgegangen ist. Ich wünsche mir eine Kirche, die auf die Menschen zugeht, die darauf achtet, dass Menschen zum Leben kommen und die für andere da ist. Die Kirche hat da einen großen, tollen Erfahrungsschatz. Ich hoffe einfach, dass wir uns immer weiter auf den Weg machen und jeder an seiner Stelle sieht, was er tun kann und sich davon überraschen lässt, wohin der Heilige Geist uns vielleicht führen möchte. Der Papst eröffnet den Bischöfen durchaus Möglichkeiten. Die Frage ist nur, ob sie das auch aufgreifen. Aber jeder Einzelne sollte sich die Frage stellen, wo er oder sie sich einbringen kann. Natürlich braucht es unbedingt auch strukturelle Veränderungen, weil Vieles sonst wieder kaputt geht. Auf beiden Seiten muss sich etwas tun.