"Wir haben keine Wahl mehr"
Es ist Martinsjahr. Frankreichs Bischöfe hätten einen veritablen Anlass, sich an fast 1.700 Jahren kirchlicher Tradition im Frankenreich aufzurichten. Doch stattdessen finden sie sich eher auf die Situation von damals zurückgeworfen: arm, angefochten, mit wankelmütigen Anhängern und schwächelnder Lobby. Ist das Krise oder Chance? Die Wege zu den Gläubigen werden allemal immer länger.
Der neue Bischof von Angouleme hat nicht mehr genug Geld für die Seelsorge. Unmittelbar vor der Vollversammlung bat Herve Gosselin in einem Offenen Brief um großzügige Spenden für seine Diözese in der französischen Region Charente. "Derzeit geben wir für jeden Euro, den wir bekommen, 1,22 Euro aus", schreibt der 60-Jährige. Wenn die Kirche Seelsorge für Kinder, Jugendliche und Familien, für Häftlinge und Flüchtlinge anbieten wolle, brauche sie dafür ausreichende Mittel.
Geld- und Priestermangel
Die Aktion dürfte auch in Lourdes für Gesprächsstoff sorgen. In Frankreich gibt es keine Kirchensteuer; Spenden sind die Haupteinnahmequelle. Die Baulast für historische Kirchengebäude liegt seit den Enteignungen im Zuge der Französischen Revolution beim französischen Staat - der seiner Verpflichtung jedoch oft nicht voll nachkommt. Kirche und Staat sind seit 1905 streng getrennt.
Ein weiteres Problem: der immer dramatischere Priestermangel. Bischof Francis Bestion fasst die Handvoll verbliebener Geistlicher seiner Diözese Tulle in Wohngemeinschaften zusammen. Es sei zu hart für einen betagten Priester, allein lebend auf dem Land die Last des Pfarrers zu tragen, argumentiert er.
In dem sehr ländlichen Bistum im zentralfranzösischen Departement Correze stehen in sieben Jahren nur noch zehn katholische Priester unter 75 Jahren zur Verfügung. Der Bischof will seine Geistlichen nun in drei oder vier Gemeinschaften bündeln. Von dort aus sollen sie sich dann die Verantwortung für ein sehr großes Areal mit mehreren Dutzend Kirchtürmen teilen.
Wege weit wie in den Missionsdiözesen Afrikas
Bestion verspricht sich durch das Zusammenleben und die gegenseitige Unterstützung der Seelsorger sogar einen missionarischen Schub. Bei seinen Geistlichen stößt der Plan offenbar weitgehend auf Zustimmung. "Wir sind in einem Zustand derartiger Armut, dass wir keine Wahl mehr haben", wird einer der wenigen verbliebenen Pfarrer zitiert. Ein anderer vergleicht die Lage mit den Missionsdiözesen Afrikas oder Asiens: Die Wege zu den Gläubigen würden heute zwangsläufig weiter als früher.
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Die Kirche in Frankreich ist arm. Besonders drastisch ist die Situation im westfranzösischen Bistum Angoulême. Der erst seit wenigen Monaten amtierende Bischof ergreift nun drastische Maßnahmen.Das ist eine globalisierte Sicht auf die Dinge. Warum nicht auf die eigene Vergangenheit schauen? Der heilige Martin, schon betagter Bischof von Tours, musste 386 zu Fuß zum Kaiser nach Trier wandern, als er einen seiner Bischofsbrüder (vergeblich) vor der Hinrichtung durch die weltliche Justiz bewahren wollte. Der Vorschlag aus Tulle: Künftig könnte etwa das Läuten der Glocken eines Ortes die Anwesenheit eines "Missionars" anzeigen.
Als ein weiteres missliches Thema legt die Vollversammlung einen Studientag zu Pädophilie und sexuellem Missbrauch ein - eine Vergebungsbitte für die Sünden von Geistlichen und Kirchenmitarbeitern inklusive.
Islam, Amoris laetitia und Seelsorge auf der Tagesordnung
Ob symbolisch oder nicht: Frankreichs Bischöfe tagen dabei ohne ihren Vorsitzenden. Erzbischof Georges Pontier von Marseille wird in Lourdes fehlen. Seit 17. Oktober ist der 73-Jährige krankgeschrieben. Es sei "nichts Ernstes"; er brauche nur ein paar Tage Ruhe für weitere Untersuchungen im Krankenhaus und zur Erholung. Pontier hatte für den kurzfristigen Klinikaufenthalt eine Reise in den Libanon und nach Syrien abgesagt. Sein Stellvertreter, Bischof Pascal Delannoy (59) von Saint-Denis, wird die Versammlung in Lourdes leiten.
Offiziell stehen auf der Tagesordnung: Priesterberufungen in den Diözesen; der Dialog mit dem Islam - mit einem Referat von Kurienkardinal Jean-Louis Tauran hinter verschlossenen Türen; die pastoralen Auswirkungen des Papstschreibens Amoris laetitia; die Seelsorge in der Arbeitswelt und auf dem Land - und, recht allgemein gefasst, die politische und religiöse Situation in Frankreich. 2017 ist Wahljahr - und die Gefahr einer Staatspräsidentin Marine Le Pen noch längst nicht gebannt.