Wir knüpfen eine Gemeinde im Netz
Frage: Herr Goldinger, mit dem Projekt "da_zwischen" wollen Sie eine "Netzgemeinde" sein. Was bedeutet das?
Felix Goldinger: Wir versuchen, eine Art Community aufzubauen und Menschen, die sich gerne in den Sozialen Netzwerken bewegen, die Möglichkeit zu geben, Kirche, Religiosität und Spiritualität für sich zu entdecken. Es ist weniger eine klassische Gemeinde, sondern eher die Möglichkeit, in seinem Alltag mit den Medien, mit denen man unterwegs ist, Teil von Kirche zu sein. Es geht darum, die eigene Spiritualität auszuprobieren und unter Umständen mit anderen in Kontakt zu kommen. Die Idee kam mir, als ich sah, wie viele Menschen in der S-Bahn auf ihre Handys schauen und ich dachte, wie toll es sein könnte, sie auf ihrem Handy mit der christlichen Botschaft erreichen zu können.
Frage: Sie verstehen sich als Gemeinde, nicht als Gebetsgruppe. Wie ist das gemeint?
Goldinger: Ähnlich wie in den Pfarreien und Gemeinden kann man in der Netzgemeinde kommen und gehen wie man will und bei den Angeboten mitmachen, auf die man Lust hat. Man ist bei uns genauso frei, auszusuchen, was für einen gut ist – und ist nicht Teil einer geschlossenen Gruppe. Die Netzgemeinde ist sehr offen und bietet einerseits eine gute Anonymität, sodass man zunächst aus der Beobachterrolle heraus an den Angeboten teilnehmen kann. Andererseits ist man nicht isoliert und nur Endverbraucher, sondern man hat die Möglichkeit, mitzumachen und sich einzubringen.
Frage: Was ist der Unterschied von da_zwischen zu den Gebetsgruppen, die es etwa auf Twitter bereits gibt?
Goldinger: Zunächst ist das Medium ein anderes. Wir haben mit Messenger-Diensten angefangen und sind auf WhatsApp, Telegram, dem recht neuen Insta und dem Facebook-Messenger. Das bedeutet, dass man auf den Kanälen, auf denen man sich auch sonst mit Freunden und Bekannten unterhält, uns Verantwortliche kontaktieren kann. Es gibt auch eine zusätzliche kleine WhatsApp-Gruppe von Menschen, die untereinander im Kontakt steht und gemeinsam unterwegs zu sein versucht. Da versuche ich, zu gucken, wie dieser Gemeindegedanke ausgebaut werden kann. Denn wir merken, dass die Menschen bei dem Medium Internet bleiben möchten und etwa Einladungen, sich im Speyrer Dom tatsächlich zu treffen, nicht angenommen werden.
Frage: Die Netzgemeinde wurde im Frühjahr 2016 gegründet. Wie lief und läuft der Gemeindeaufbau im Netz?
Goldinger: Zu Beginn haben wir auf Facebook mit kurzen Videos für die Netzgemeinde geworben. Für uns ist aber Mund-zu-Mund-Propaganda ein wichtiger Faktor. Inzwischen spricht sich das Projekt im Bistum Speyer herum und es wird auch über das Projekt gesprochen. Wir versuchen, mit der Netzgemeinde raus auf die Straße zu gehen, etwa zu Instawalks oder wir reisen mit einer Rikscha in Netzgemeinde-Optik zu verschiedenen Veranstaltungen in der Pfalz oder bieten an Wanderstrecken "Impulse am Wegesrand" an. Aber wie gesagt, oft schreiben Menschen, die sich neu anmelden, dass die Empfehlung durch einen Freund kam.
Frage: Von wie vielen Mitgliedern der Netzgemeinde reden wir und was tun sie da?
Goldinger: Insgesamt sind es 1.400 Menschen. Sie bekommen am Montagmorgen die Nachricht mit einem Impuls von uns, der eine Frage enthält, und entscheiden dann, ob sie darauf antworten oder nicht. Freitags bekommen dann alle eine Zusammenfassung von dem, was in der Woche an Antworten eingegangen ist. Es sieht also nicht jeder von jedem, wer was sagt, sondern wir sind die Zwischeninstanz, die die Antworten bündelt und Begriffe und Gedanken in einer schönen Form, etwa als kurzes Video, an alle weitergibt.
Unter der Woche treten dann diejenigen, die möchten, mit mir in Kontakt und schreiben ihre Gedanken zum Impuls der Woche, bei dem es meist um die Frage geht, was der Glaube an Gott mit dem eigenen Alltag zu tun hat. Ich stehe für Seelsorge, Fragen und Rückmeldungen zur Verfügungen und zwar in einem privaten Chat zwischen dieser Einzelperson und mir – Anrufe bei mir sind übrigens nicht möglich, weil diese Messenger-Dienste auch ohne Handynummer funktionieren.
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Frage: Wie intensiv beteiligen sich diese 1.400 Personen?
Goldinger: Das sieht ähnlich wie in einer Kirchengemeinde aus: Ein Großteil nimmt still teil, antwortet also nicht auf die Fragen in den Impulsen. Die schauen wahrscheinlich montags auf den neuen Impuls, vergessen ihn dann vielleicht und werden am Freitag nochmal daran erinnert. Etwa ein Drittel der Menschen tritt mit mir hin und wieder in Austausch, antwortet also nicht auf jeden, sondern auf ausgewählte Impulse. Und es gibt ungefähr 100 Menschen, mit denen ich im intensiven Austausch stehe und zwei bis dreimal die Woche chatte. Dazu kommt noch eine gewisse Fluktuation: Ungefähr 200 Menschen haben die Gruppe in den letzten 14 Monaten mit einer einfachen Stopp-Nachricht wieder verlassen. Aber die meisten sind konstant dabei.
Frage: Sie sagen, dass die Seelsorge hauptsächlich über Messenger-Dienste läuft. Aber da_zwischen ist mit Facebook, Instagram, YouTube und Twitter dennoch in allen relevanten sozialen Netzwerken unterwegs…
Goldinger: Die sozialen Netzwerke nutzen wir nicht für die eigentliche Seelsorge, sondern sehen sie als einen öffentlichen Raum, in dem Interessierte sehen können, worum es in der Netzgemeinde geht. Hier wird ein Teil dessen, was in den Messenger-Diensten läuft, gespiegelt. So sieht man dort etwa die kurzen Clips oder Fotos mit Text, die die Rückmeldungen auf einen Impuls zusammenfassen.
Frage: Ersetzt diese Onlinegemeinde für die Menschen, die drin sind, die Gemeinde vor Ort? Sind also auch Leute in der Gruppe dabei, die mit ihrer Heimatgemeinde keinen Kontakt haben?
Goldinger: Auch da ist das Spektrum sehr breit: Von manchen lese ich, dass sie sehr aktiv in der Pfarrei oder in einem katholischen Verband sind. Es sind aber auch mindestens genausoviele Leute da, von denen ich den Eindruck habe, dass sie keinen Kontakt zu ihrer örtlichen Gemeinde haben und über dieses Medium einen Raum gefunden haben, in dem sie Spiritualität erleben und eine Gottesbeziehung aufbauen können.
Frage: Die Angehörigen der Gemeinde können online keine Sakramente empfangen. Was bedeutet die Onlinegemeinde für das Kirchenverständnis?
Goldinger: Es ist klar, dass das keine Gemeinde ist, in der man alles bekommen kann, was es in einer klassischen Pfarrei gibt. Von den Grunddiensten der Kirche decken wir vor allem die Glaubensverkündigung ab und ein wenig den diakonischen Aspekt. Da sind wir recht stark, etwa indem wir in der Fastenzeit Online-Exerzitien anbieten, wo sich insgesamt 70 Menschen in sechs Gruppen ausgetauscht und kennengelernt haben. Aber man wird natürlich kein Kind in der Netzgemeinde taufen können. Und das braucht es auch nicht unbedingt. Denn wenn die Menschen in dem Fall Kontakt zur Pfarrei suchen, kann die Netzgemeinde eine Brücke sein zu dem Face-to-Face-Kontakt zu Seelsorgern vor Ort.
Frage: Wie geht es mit dem Projekt weiter?
Goldinger: Bislang ist es so, dass alle Impulse von mir kommen – und das, obwohl das nur ein kleiner Teil meiner Aufgaben im Ordinariat ist, wo ich auch für missionarische Pastoral und Grunddienst-Katechese zuständig bin. Zum Glück unterstützen mich meine Frau, die auch Theologin ist, und einige Kollegen mit Ideen. Aber derzeit steigen die Zahlen der Rückmeldungen auf die Impulse so an, dass ich auf der Suche nach Partnern in anderen Diözesen bin, die die pastoralen Aufgaben zusammen mit mir machen. Denn inzwischen haben einige Bistümer Interesse angemeldet, in das Projekt miteinzusteigen.
Frage: Dann soll es künftig in den einzelnen Bistümern Netzgemeinden geben?
Goldinger: Der Plan ist eigentlich, dass unsere Netzgemeinde eine Marke bleibt und eine Netzgemeinde für mehrere Diözesen wird. Es ist ja jetzt schon so, dass Leute von außerhalb des Bistums Speyer der Netzgemeinde angehören. Jetzt kommt zunächst eine Sommerpause und ab September geht das Projekt weiter. Und ich halte es für wahrscheinlich, dass die Netzgemeinde noch in diesem Jahr deutlich wachsen wird und sich die Arbeitsbelastung auf mehrere Schultern verteilt. Möglicherweise können wir auch mit der Internetseelsorge kooperieren, die auch Seelsorge im Chat anbietet, aber das wird sich alles noch zeigen.