"Wir senken die Hürden nicht"
Frage: Herr Priller, ihr Kollege Hartmut Niehues aus Münster sprach noch im April davon, dass man bei den Priesteramtskandidaten "quasi an der Nulllinie" angekommen sei. In Bayern werden dieses Jahr 30 Männer zu Priestern geweiht - so viele wie seit fünf Jahren nicht. Ist das Zufall oder beobachten sie einen anderen Trend als ihr Kollege?
Priller: Die Aussage über die "Nulllinie" ist medial sehr verkürzt wiedergegeben worden. Richtig ist, dass wir in den letzten Jahren einen Rückgang an Priesteramtskandidaten verzeichnen. Es gibt aber natürliche Schwankungen. In diesem Jahr sind es vor allem deshalb wieder mehr neue Priester, weil wir in den bayerischen Diözesen die Ausbildung um das sogenannte Propädeutikum erweitert haben. Dieses zusätzliche Vorbereitungsjahr hat uns statistisch einen ganzen Jahrgang geraubt und in den Jahren zuvor für weniger Priesterweihen gesorgt.
Frage: Man hat das Gefühl, dass bei einer rückläufigen Zahl von Kandidaten die Zahl der "Spätberufenen" steigt. Beobachten Sie diesen Trend ebenfalls?
Priller: Die Frage ist, wie man "Spätberufene" definiert. Es gibt Kandidaten, die älter sind als 30 oder 40 - und in ganz wenigen Ausnahmefällen auch noch älter. Aber ich würde nicht sagen, dass der Trend generell dahin geht. Was man allerdings sagen kann, ist, dass viele erst einmal etwas anderes versuchen, bevor sie den Schritt in das Priesterseminar wagen. Sie studieren andere Fächer - vielleicht aber auch schon Theologie -, machen ein Freiwilliges Soziales Jahr oder erlernen einen Beruf. "Spätberufene" sind das aber nicht zwangsweise.
Frage: Warum dauert es heute länger, bis sich die Kandidaten entscheiden? Ist das Wagnis, Priester zu werden, heute noch größer, als es das früher schon war?
Priller: Es war und ist immer eine sehr schwierige Entscheidung. Die meisten Kandidaten überlegen es sich heute aber in der Tat etwas länger, ob sie diesen Schritt nun gehen wollen oder nicht. Dafür sind sie danach entschiedener, wie die Abbruchquote zeigt, die spürbar geringer ist als noch vor 25 Jahren. Ich glaube, dass das lange Überlegen mit dem Lebensgefühl der jungen Leute von heute zu tun hat. Sie sind damit aufgewachsen, viele Optionen im Leben zu haben und sich diese auch möglichst lange offen zu halten. In meiner Generation wusste man noch genau: Ich erlerne jetzt einen Beruf und werde den bis zum Ende ausüben. Heute ist ein mehrfacher Berufswechsel die Realität und wird durchaus als bereichernd empfunden. Und dann kommen wir mit dem Anspruch von Verbindlichkeit und einer Entscheidung für das Leben, an der noch viel mehr hängt.
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Frage: Die Bischofskonferenz und das Zentrum für Berufungspastoral haben kürzlich das PR-Projekt mit dem Namen "Valerie und der Priester" gestartet, um das Image von Priestern zu verbessern. Gibt es ein Anerkennungsproblem und hat das mit einer Gesellschaft zu tun, die immer säkularer wird?
Priller: Vielleicht gibt es ein Anerkennungsproblem. Ich glaube aber nicht, dass es an der säkularen Gesellschaft als solcher liegt. Aus der Distanz und dem Nicht-Verstehen heraus gibt es häufig sogar Sympathie. Priester zu sein finden viele exotisch und interessant. Diese positive Wertschätzung kommt auch im Projekt "Valerie und der Priester" zum Ausdruck. Mein Eindruck ist, dass das Priesterbild innerkirchlich oft negativer ist als bei manchen sogenannten "Fernstehenden".
Frage: Die rückläufige Zahl der Neu-Priester hat sicher auch mit der sinkenden Religiosität im Allgemeinen zu tun. Wie schwer ist es heute, geeignete Kandidaten zu finden?
Priller: Es ist richtig, dass der "Pool", aus dem wir schöpfen können, durch den generellen Glaubensrückgang in der Bevölkerung kleiner geworden ist. Deshalb nehmen wir es aber auch mit einer gewissen Gelassenheit hin, wenn weniger Kandidaten zu uns kommen. Ich würde aber nicht sagen, dass es deshalb schwerer als früher ist, geeignete Priester zu finden. Vielleicht ist das Gegenteil der Fall. Denn wir können uns die wenigen Kandidaten jetzt genauer anschauen. Was wir nicht tun, ist, die Hürden für eine Aufnahme in das Priesterseminar zu senken oder bei der Bewertung großzügiger zu sein.
Frage: Also wird kein Auge zugedrückt?
Priller: Nein, das wäre kontraproduktiv. Die Kriterien sind dieselben, die es immer gegeben hat.
Frage: Man liest immer häufiger von enttäuschten Priestern, die mit dem Glaubensschwund in der Bevölkerung nicht mehr klarkommen. Bereiten Sie ihre Kandidaten auch darauf vor?
Priller: Wir gehen mit Realitätssinn an die Sache heran - die Ausbilder genauso wie die, die sich in der Ausbildung befinden. Wir suchen uns keine Nischen, in denen die Welt noch heil ist. Das führt zu nichts. Man muss sich der Zeit, in der wir leben, mit wachem Interesse stellen. Gleichzeitig darf man sie aber auch nicht schlechter reden, als sie ist. Das Problem ist, dass wir die früheren Verhältnisse noch zu sehr als Maßstab nehmen und deshalb nicht den Mut haben, als Kirche in der heutigen Zeit ganz neu anzusetzen. Zum Beispiel, indem wir missionarischer werden. Vieles funktioniert aber auch noch. Wir können auf viel Gutem auf- und weiterbauen.
Frage: Das Schrumpfen der Kirche in Deutschland hat auch ganz praktische Konsequenzen. Es entstehen Großpfarreien, die mittelständischen Unternehmen gleichen. Besuchen ihre Priesteramtskandidaten schon BWL-Kurse?
Priller: Wir sind mitten in Umwälzungsprozessen, die noch längst nicht an ihr Ende gelangt sind. Gerade mit Blick auf die wirtschaftlichen Belange einer Pfarrei muss es künftig zu Entlastungen kommen. Das ist ja nicht das Kerngeschäft von Theologen, Priestern und Seelsorgern. Es schlägt die Stunde der Laien. Es sind Leute gefragt, die entsprechende Kompetenzen haben und diese auch einbringen wollen. Und auch unter den Priestern wird es zur inhaltlichen Neuausrichtung kommen. Denn in den Großpfarreien gibt es mehr als einen Priester, von denen jedoch nur einer der Pfarrer sein kann. Es wird unterschiedliche Tätigkeitsfelder geben - zum Beispiel noch einmal verstärkt in der Kategorialseelsorge. Der Vorteil besteht darin, jeden nach seinen jeweiligen Talenten und Fähigkeiten einsetzen zu können.
Frage: Welche Auswirkung hat das dann konkret auf die Ausbildung?
Priller: Die Ausbildung zielt erst einmal auf die theologischen und pastoralen Grundkompetenzen sowie auf die Persönlichkeitsentwicklung ab. Allerdings hat sich auch da schon einiges geändert. Zum Beispiel mit Blick auf die Teamfähigkeit und die Kommunikation, die heute zunehmend stärker gefordert sind. Priesteramtskandidaten sollen und müssen heute lernen, die Gemeindemitglieder mitzunehmen und sie und ihre Charismen zu fördern. Das versuchen wir, indem wir schon das Zusammenleben - es ähnelt jetzt mehr einer Wohngemeinschaft - innerhalb des Seminars verändert haben, aber auch durch konkrete Ausbildungsinhalte.
Frage: Aktuell arbeitet die Kleruskongregation im Vatikan an neuen Leitlinien für die Priesterausbildung. Im Mittelpunkt sollen die "stabile psychische Reife" und eine "gefestigte und ausgeglichene Persönlichkeit" der Kandidaten stehen. Ganz provokant gefragt: War das vorher nicht der Fall?
Priller: Doch, das war es. In der aktuellen Rahmenordnung der Deutschen Bischofskonferenz für die Priesterbildung werden drei Dimensionen genannt, die durchgängig von Bedeutung sind: die theologische Bildung, die pastorale Befähigung sowie das geistliche Leben inklusive der menschlichen Reifung. Das ist also nicht neu und spielt eine große Rolle.
Frage: Wenn Sie Einfluss auf die Leitlinien der Priesterausbildung hätten. Was würden Sie sich wünschen?
Priller: Aktuell haben wir das Problem, dass die Rahmenordnung von einem bestimmten Kandidatenprofil ausgeht, das nicht mehr mit der Realität übereinstimmt. Der klassische Kandidat ist darin Abiturient, der nach der Schule in das Seminar eintritt und mit 25 oder 26 Jahren geweiht wird. Doch die Lebens- und Berufungswege sind heute viel verschlungener, so dass wir aktuell immer ein wenig "basteln" müssen. Ich würde mir wünschen, dass es hier künftig mehr Flexibilität gibt und wir dem Einzelfall besser gerecht werden können.