Wo Ehrenamt die Kirchenschließung verhindert
In dem hellen Saal mit dem großen Seitenfenster wird die Stille nur vom Klappern der Schälmesser unterbrochen: Zwei Frauen und ein Mann sitzen in einer Ecke und schälen Kartoffeln – so viele, dass die Schalen schon Haufen bilden. "Das ist für das Mittagessen, denn heute gibt es Linsensuppe", erklärt Ansgar Stötzel. Er ist Geschäftsführer des Vereins zur Förderung der Schul- und Sozialkirche St. Jakobus. Das Essen, das an zwei Tagen in der Woche von Ehrenamtlichen zubereitet und für einen kleinen Beitrag allen angeboten wird, "die nicht alleine essen wollen", so Stötzel, ist nur eines von vielen Angeboten des Vereins. Zehn Jahre ist es nun schon her, dass das Konzept für die Schul- und Sozialkirche St. Jakobus in Oberhausen erarbeitet wurde – und diesen Ehrenamtlichen des Fördervereins, seinen Spendern und Unterstützern ist es zu verdanken, dass es diese Kirche noch gibt.
Eine Idee gegen die Schließung
"Am Anfang, im Jahr 2006, stand die Entscheidung von unserem damaligen Bischof Felix Genn, zwei von drei Kirchen im Bistum Essen zu schließen", erzählt Stötzel, der hauptberuflich Leiter der Familienbildungsstätten in Duisburg ist. Auch in der Gemeinde St. Franziskus, zu der drei Kirchen gehörten, hätten zwei, darunter St. Jakobus, auf der Streichliste gestanden. Das habe unter den Gemeindemitgliedern großen Unmut hervorgerufen, da die Pfarrei St. Franziskus selbst erst 2002 aus dem Zusammenschluss von drei Gemeinden entstanden war. "Damit hatten wir eigentlich genau diesen Schließungen vorgreifen wollen", erinnert sich Stötzel, der damals Pfarrgemeinderatsvorsitzender war. Eine weitere Schließung hätten viele nicht hinnehmen wollen. Es gab Trauer, Wut, öffentliche Proteste – und einen klaren Aufruf: "Wenn uns für St. Jakobus nicht etwas einfällt, ist unsere Kirche verloren!" Für viele der Gemeindemitglieder, die teils sogar selbst geholfen hatten, die Kirche in den fünfziger Jahren aufzubauen, sei das schlichtweg keine Option gewesen.
Also erstellten der damalige Pfarrer, der Kirchenvorstand und der Gemeinderat ein Konzept für ein sozialpastorales Zentrum: Gemeinsam mit der Caritas Oberhausen führten sie eine Sozialraumanalyse in den umliegenden Stadtteilen Klosterhardt und Tackenberg durch, um die künftigen Aufgabenfelder zu spezifizieren. Dabei sollten nicht nur die überdurchschnittlich alte Bevölkerung und eine hohe Arbeitslosenquote, sondern auch die vier in unmittelbarer Nähe gelegenen Schulen eine Rolle spielen. Das Konzept sah vor, St. Jakobus umzubauen, sodass mit einem eingezogenen Stockwerk unter anderem Gemeinschaftsräume, ein Saal und eine Großküche entstehen würden. Letztere wollte eine Jugendberufshilfeeinrichtung für die hauswirtschaftliche Qualifizierung von arbeitslosen Jugendlichen nutzen. In den Gemeinschaftsräumen und im Saal sollten unter anderem die Lebensmittelausgabe der Tafel, der Mittagstisch und ein Schülercafé Platz finden, aber auch private Feiern und Veranstaltungen abgehalten werden können.
Eine besondere Bezeichnung
Wichtig war den Verantwortlichen, dass der Kirchenraum nur verkleinert werden, nicht verschwinden sollte. Für das "neue" St. Jakobus wählten sie die Bezeichnung "Sozialkirche": "Der Begriff soll hier die untrennbare Verbindung zwischen den sozialen Aktivitäten im Stadtteil und dem Glaubensleben aufzeigen. Diesseitsbezug und Transzendenz finden ihren Platz in diesem Gebäude", heißt es in der Erläuterung zum Konzept. Der Vorschlag überzeugte schließlich das Bistum Essen: Der Förderverein bekam die Kirche zum wirtschaftlichen Betreiben für zehn Jahre übertragen.
Weil St. Jakobus nun kein Geld mehr aus Kirchensteuermitteln erhielt, wurde alles in ehrenamtlicher Tätigkeit organisiert und durch Mieteinnahmen, Mitgliedsbeiträge und Spenden für den Förderverein finanziert. Der Umbau der Kirche 2007 wurde durch den Verkauf von Grundstück und Gebäude des Pfarrbezirks möglich – und durch sehr viel Eigenleistung: "Die Ehrenamtlichen haben hier zum Beispiel den Altar und die Altarstufen entfernt, einen neuen Altar aus alten Kirchenbänken gezimmert und viele Anstreicharbeiten erledigt", erzählt Ansgar Stötzel. "Wenn ich an diese Phase zurückdenke, bekomme ich eine Gänsehaut. Wir hatten damals wirklich viel Gottvertrauen, dass das Projekt an den Start gehen konnte!"
Eine Bohrmaschine durchbricht mit Krach die Vormittagsstille. Hinter der Kirche, gleich am Rand des gepflegten Rasens, bringen drei ältere Männer im Blaumann eine Garderobe in einer Garage an. "Die Garage richten wir gerade als Geräteschuppen ein", erklärt Wilhelm Tintrop. Er ist erster Vorsitzender des Fördervereins und jeden Mittwochvormittag hier – wie sechs weitere Männer, die meisten schon in Rente. "Wir machen alles: Lampen austauschen, Außenanlagen pflegen, Anstreichen, Bäume fällen, Gemeindefeste vorbereiten, Public Viewing zur Fußballweltmeisterschaft …", zählt er auf. Viele der "Rentnerband", wie Stötzel die Ehrenamtlichen liebevoll nennt, sind schon seit dem Umbau der Kirche oder sogar noch länger dabei. Die Frage nach dem Grund für ihr Engagement verwundert Tintrop und die anderen beinahe. "Wir machen das aus Verbundenheit zu unserer Kirche St. Jakobus", sagt Tintrop überzeugt, die anderen nicken.
Noch immer ein ehrenamtliches Projekt
Die Ehrenamtlichen freuen sich auf die Feier zum zehnjährigen Jubiläum des Kirchenumbaus nächstes Jahr – aber vor allem auch darüber, dass es auch nach so langer Zeit noch ein rein ehrenamtliches und kein hauptamtliches Projekt ist. "Diese Struktur ist wirklich das, was uns auszeichnet", meint Ansgar Stötzel. Weil die Aufgaben der Sozialkirche sich geändert haben, wurde auch das Angebot angepasst: Das Schülercafé zum Beispiel pausiert zurzeit, da sich die weiterführenden Schulen umstrukturieren und die benachbarte Hauptschule demnächst ausläuft. Danach soll es aber weitergehen. Das Jugendhilfeprojekt nutzt die Großküche in St. Jakobus nicht mehr, dafür stieg die Caritas ein und kocht nun dort für zwei ihrer Wohnheime.
Und es gibt neue Angebote, zum Beispiel eine Demenzberatung. Auch die Verknüpfung mit anderen sozialen Institutionen im Stadtteilnetzwerk wurde intensiviert. "Wir müssen eben weiterhin sehen, welche Inhalte und Themen hier wichtig sind, wo wir Schwerpunkte setzen", so Stötzel. Das Projekt wurde über die Jahre auch zum Vorbild für andere sozialpastorale Zentren. "Die Organisatoren waren alle hier, um sich unser Projekt anzuschauen", erzählt er nicht ohne Stolz. Und ausgezeichnet wurden sie auch, unter anderem 2008 mit dem Caritas-Sozialpreis des Bistums Essen.
Ansgar Stötzel ist sich sicher, dass St. Jakobus von den Menschen im Stadtteil akzeptiert wird. Nicht nur das Raumangebot zur Miete, sondern auch die Kirche als Sakralraum werde wahrgenommen, meint er: "Zum Beispiel wollten einige Schüler in die Kirche, nachdem eine Mitschülerin verunglückt war. Sie wussten, dass sie hier Stille und Besinnung finden können." Probleme mit Vandalismus hingegen habe man noch nie gehabt. Der verkleinerte Kirchenraum werde bei den Gemeindemitgliedern geschätzt; die Sonntagabendmessen besuchten über die Kerngemeinde hinaus auch Menschen aus anderen Gemeinden. "Vom Erlebnis im Gottesdienst her", meint auch Pastor Vinzent Graw, "finde ich die Kirche gut, weil der Raum so klein ist". Stötzel pflichtet ihm bei: "Schon mit 30 Besuchern wirkt ein Gottesdienst dann gut besucht, es ist eine schöne Atmosphäre."
Kaffee, Kekse, Bäume fällen
Inzwischen ist im Außengelände Ruhe eingekehrt. Die ehrenamtlichen Handwerker sitzen bei Kaffee und Keksen zusammen, einer zeigt Fotos von dem kürzlich gefällten Baum. "Da hatte ich Bammel, dass das klappt", erinnert sich Wilhelm Tintrop. "Aber hier gab es einen mit Erfahrung im Bäumefällen. Der hat uns dann angeleitet und wir haben den Baum sanft umgelegt." Alle lachen. Über das Gelände zieht der Geruch von Linsensuppe, im Saal sitzen schon die ersten Gäste für das Mittagessen. Sie grüßen einander freundlich, man kennt sich. Heute werden es wohl um die 60 Gäste, die sich an die sorgfältig gedeckten Tische setzen. "Eintöpfe sind hier sehr beliebt", heißt es vom Kochteam aus der Küche.
Wie es mit der Sozialkirche weitergeht? Der Vertrag mit dem Förderverein werde nun zunächst um fünf Jahre verlängert, berichtet Stötzel. Danach müsse man dann eben sehen – "wenn es dann nicht mehr läuft, dann kann nach 15 Jahren auch mal gut sein", meint er. Vielleicht ist St. Jakobus aber eben die Form von Kirche, die in den kommenden Jahren immer gefragter wird? "Aus dem Bistum heißt es nun jedenfalls, das Projekt habe zukunftsweisenden Charakter", sagt Stötzel und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.