Experten diskutieren über das kirchliche Arbeitsrecht

Wohin führt der Dritte Weg?

Veröffentlicht am 29.01.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Debatte

Mülheim an der Ruhr ‐ In der katholischen Akademie "Die Wolfsburg" des Bistums Essen trafen 2013 Kirchenvertreter und Gewerkschafter aufeinander. Besucher wollten die Frage beantwortet wissen, ob der sogenannte "Dritte Weg" ein "Arbeitsrecht zweiter Klasse" ist.

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Zunächst sorgte Jacob Joussen, Experte für kirchliches Arbeitsrecht, dafür, dass allen klar war, worüber an diesem Abend überhaupt diskutiert werden sollte. "Das Arbeitsrecht der Kirchen ergibt sich aus dem Grundgesetz", so der Bochumer Professor. In bestimmten Grenzen hätten die Kirchen ein Selbstbestimmungsrecht in diesen Fragen. In der Vergangenheit hätten die Gerichte in vielen Streitfällen die Loyalitätsvorschriften, die die Kirche ihren Angestellten macht, allzu leicht akzeptiert, so der Jurist. "Aktuelle Urteile rütteln allerdings am kirchlichen Arbeitsrecht", stellte Joussen fest. "In wenigen Jahren ist viel passiert."

Urteile, auf die sich Joussen bezog, kommen beispielsweise vom Bundesarbeitsgericht aus Erfurt. Im ersten Fall hatten die Richter 2011 die Kündigung eines katholischen Chefarztes für rechtswidrig erklärt, der zum zweiten Mal geheiratet hatte. Zwar sprachen sich die Richter nicht grundsätzlich gegen die kirchlichen Regeln aus, mahnten aber eine Abwägung der Interessen beider Seiten an. Im anderen Fall hatte das Bundesarbeitsgericht 2012 Streiks in kirchlichen Einrichtungen, die eigentlich nicht erlaubt sind, unter bestimmten Bedingungen zugelassen .

Uneinigkeit über Rolle der Gewerkschaften

Im Nachgang des Urteils zum Streikrecht, dessen ausführliche Begründung allerdings noch nicht vorliegt, müsse ein Ausgleich zwischen Kirchen und Gewerkschaften geschaffen werden, so der Jurist Joussen. Über das Aussehen eines solchen gingen die Meinungen allerdings auseinander.

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Die Frage, wie eine Beteiligung der Gewerkschaften aussehen könne, sei erst nach der Urteilsbegründung aus Erfurt möglich, sagte Heinz-Josef Kessmann, Direktor des Caritasverbandes für die Diözese Münster und zugleich stellvertretender Präsident des Gesamtverbandes. Eine dritte Bank in den Dienstgemeinschaften – den Institutionen, in denen kirchliche Arbeitgeber und Arbeitnehmer beispielsweise Gehaltsfragen klären – für Gewerkschaft sähen die aktuellen Richtlinien der Caritas nicht vor. Auch gehe er nicht davon aus, dass Mitarbeitervertreter ihre Plätze für externe Gewerkschafter freimachen würden, so Kessmann. Vielmehr könnten diese möglicherweise beratend tätig sein. "Wir haben bei der Caritas verstanden, dass beide Seiten ausgestattet sein müssen."

Widerspruch kam umgehend von Ellen Paschke aus dem Bundesvorstand der Gewerkschaft ver.di. "Nur beraten oder ein einzelner Sitz: So geht das nicht." Zudem habe sie keine Bedenken, dass ver.di in kirchlichen Unternehmen mehr und mehr Mitglieder gewinnen würde. Überdies prangerte Paschke eine Aushöhlung der Dienstgemeinschaft an. Vor allem in der evangelischen Diakonie gebe es zahlreiche Ausgliederungen und Tochtergesellschaften mit dem Ziel, den Dritten Weg zu umgehen und niedrigere Löhne zu zahlen.

Nicht Recht zweiter Klasse, sondern ein anderes System

Laut Caritas-Vertreter Kessmann gibt es in der katholischen Wohlfahrtsorganisation in diesem Bereich nur Einzelfälle. Zugleich bezog er sich auf eine entsprechende Verordnung der Deutschen Bischofskonferenz , die solchen Vorgängen in der katholischen Kirche entgegenwirken soll.

Meinung

Was bedeutet Dienstgemeinschaft? Was ist das zentrale Anliegen des Dritten Weges? Caritas-Präsident Peter Neher kommentiert das kirchliche Arbeitsrecht

Ebenso Uneinigkeit herrschte über Definition der kirchlichen Dienstgemeinschaft und die Frage, ob kirchliches Arbeitsrecht nur für diejenigen gelten solle, die in der konkreten Verkündigung tätig sind. Die ver.di-Vertreterin Paschke sah das so und stellte fest: "Nach meinem Selbstverständnis kommt Verkündigung vom Pfarrer." Differenzierter sah das der Caritas-Direktor. "Dienstgemeinschaft bedeutet nicht nur reine Verkündigung", sagte Kessmann. Auch der soziale und medizinische Dienst am Nächsten sei Teil des kirchlich-caritativen Handelns. Mit der Definition des kirchlichen Dienstes rang auch der Jurist Joussen. So stellte er die Frage in den Raum, ob beispielsweise auch die EDV-Abteilung, die einen Pfarrbrief versendet, zur Verkündigung gehört.

Diskutieren zum kirchenlichen Arbeitsrecht (von links): Co-Moderator Burkhard Kämper, Heinz-Josef Kessmann, Jacob Joussen, Ellen Paschke sowie Moderator und Akademie-Direktor Michael Schlagheck.
Bild: ©KOMMWIRT/ Christian Schnaubel

Diskutieren zum kirchenlichen Arbeitsrecht (von links): Co-Moderator Burkhard Kämper, Heinz-Josef Kessmann, Jacob Joussen, Ellen Paschke sowie Moderator und Akademie-Direktor Michael Schlagheck.

Einig war sich die Runde, dass im kirchlichen Arbeitsrecht in naher Zukunft noch einiges passieren wird. Ein Recht zweiter Klasse sei es allerdings nicht, befand Joussen. Es sei eben ein anderes System. Im Konflikt zwischen Kirchen und Gewerkschaft versuchte sich der Jurist an einer Vermittlung: "Die Kirchen sollten die Gewerkschaften miteinbeziehen", so Joussen und weiter: "Die Gewerkschaften sollten wiederum den Dritten Weg akzeptieren."

Von Christoph Meurer

Hintergrund: Der Dritte Weg

Der Staat hat den Kirchen in Deutschland das Recht eingeräumt, ein eigenes System des Arbeits- und Tarifrechts zu schaffen. Hintergrund ist die Auffassung, dass Arbeit im kirchlichen und karitativen Dienst eine religiöse Dimension hat. Es gilt das Prinzip der Dienstgemeinschaft, wonach alle in der Kirche Tätigen gleichen Anteil am religiösen Auftrag der Kirche haben. Daraus leiten sich besondere Loyalitätspflichten ab. So können kirchliche Arbeitgeber Mitarbeiter für ein Verhalten außerhalb des Dienstes entlassen, das den Werten und Prinzipien ihrer Glaubensgemeinschaft widerspricht. Beim sogenannten Dritten Weg handelt es sich um eine konsensorientierte Suche nach einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Bereich der Kirchen. Das Betriebsverfassungsgesetz und die Möglichkeiten von Streiks und Aussperrung gelten für die Kirchen nicht. Alle Fragen des Tarifrechts werden durch paritätisch aus Dienstgebern und Dienstnehmern besetzte Kommissionen geregelt. Gewerkschaften wie ver.di und der Marburger Bund kämpfen für ein Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen. (KNA)