Eine Rundreise durch die ostdeutsche Diaspora

Zart blühende Kirchenlandschaften

Veröffentlicht am 14.11.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Kirche

Berlin ‐ Wie steht es um das kirchliche Leben in der ostdeutschen Diaspora? Gibt es nur die vielzitierten Abbrüche? Am Beispiel von Leipzig, Jena und Gera hat katholisch.de die Situation unter die Lupe genommen.

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Wenn die Sprache auf die katholische Kirche in Ostdeutschland kommt, werden nur selten Erfolgsgeschichten erzählt. Allzu oft dominiert mit Blick auf die Kirche zwischen Ostsee und Erzgebirge stattdessen ein negatives Bild. Doch wie sieht es konkret in der ostdeutschen Kirche aus? Wie stellt sich das Leben in einzelnen Pfarreien dar? Und wo gibt es Aufbrüche und Neues zu erleben?

Um diese Fragen zu beantworten und sich ein eigenes Bild von der katholischen Kirche vor Ort zu machen, hat unser Autor Pfarreien in Leipzig, Jena und Gera besucht und mit Verantwortlichen über das kirchliche Leben in der ostdeutschen Diaspora und die Herausforderungen im Alltag gesprochen.

Galerie: 3 Bilder

Leipzig: Propsteigemeinde St. Trinitatis

Bild: ©katholisch.de

Propst Gregor Giele ist Pfarrer an der Leipziger Propsteikirche.

Sie ist so etwas wie der katholische Leuchtturm in Ostdeutschland: Die Propsteikirche St. Trinitatis in Leipzig. Mitten im Zentrum von Sachsens größter Stadt setzt das vor zwei Jahren fertiggestellte Gotteshaus mit seinem 50 Meter hohen Glockenturm ein kirchliches Ausrufezeichen. "Durch die neue Kirche sind wir als Katholiken richtig sichtbar in der Stadt", freut sich Pfarrer Gregor Giele. Der Umzug in den Neubau habe für die Gemeinde eine "Dimension der Veränderung mit sich gebracht, die wir uns nie erträumt hätten".

Die Kirche ist ein Anziehungspunkt – wie die ganze Stadt. Seit 1996 ist Leipzigs Einwohnerzahl vor allem durch Zuzüge um mehr als 100.000 auf rund 560.000 gestiegen. Davon profitiert auch die Kirche. "Im Vergleich zur Bestandsbevölkerung ist die Zahl der Christen unter den Zuzüglern überdurchschnittlich hoch", erläutert Giele. Leipzig wird also christlicher – wenn auch auf niedrigem Niveau, denn Katholiken und Protestanten machen hier zusammen nur rund 16 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

Wachsende und junge Gemeinde

Giele spürt das Wachstum auch in seinen Gottesdiensten, zu den vier Messen am Wochenende kommen im Schnitt etwa 1.200 Gläubige. Insgesamt hat seine Pfarrei rund 4.500 Mitglieder, 1996 waren es nur 1.900. Durch das Wachstum ist die Gemeinde auch jünger geworden, das Durchschnittsalter liegt derzeit bei knapp 40 Jahren.

Bis heute profitiert die Propsteikirche zudem vom Katholikentag 2016. "Das hat uns viele positive Reaktionen gebracht", erzählt Pfarrer Giele. Zahlreiche Leipziger seien durch die Veranstaltung in ihrer Stadt überhaupt erst auf Kirche aufmerksam geworden. "Der Eindruck vieler Menschen war: Kirche ist bunter und zeitgemäßer, als wir gedacht hätten", so Giele.

"Viele Menschen haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben"

Der Pfarrer erlebt seine Kirche seither auch als Anlaufpunkt für Suchende, die sich durchaus für die strengen katholischen "Spielregeln" begeistern könnten. "Ich höre immer wieder, dass die katholische Kirche die strenge Variante der evangelischen Kirche sei – und das finden viele Menschen hier gut". Das zeigt sich auch an der Zahl der Erwachsentaufen: Pro Jahr empfangen bis zu 20 Erwachsene das Sakrament in der Propsteikirche. Giele spricht von einer "Sinnlosigkeitserfahrung", die viele Menschen zur Taufe führe. "Wenn das eigene Leben einigermaßen etabliert ist, fragen sich viele Menschen, ob das schon alles gewesen sein kann", so der Pfarrer. Diesen Menschen wolle seine Gemeinde ein Angebot machen.

Ein Problem für Giele und seine Gemeinde bleibt aber die große Gruppe derjenigen Leipziger, die keinerlei Interesse an Kirche und Religion haben. "Viele Menschen haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben", fasst der Pfarrer das Ergebnis von 40 Jahren DDR-Atheismus zusammen. Es sei unheimlich schwer, mit dieser Gruppe überhaupt in Kontakt zu kommen. "Wir können besser mit den Menschen umgehen, die Gott aktiv ablehnen", sagt der Pfarrer. Gleichwohl will er weiter den Dialog mit allen relevanten Gruppen der Leipziger Stadtgesellschaft suchen. Denn den Platz seiner Gemeinde sieht Giele dort, wo seine neue Kirche steht: In der Mitte der Stadt.

Jena: Pfarrgemeinde St. Johannes Baptist

Bild: ©katholisch.de

Sie geben der katholischen Kirche in Jena ein Gesicht: Kaplan David Wolf (l.) und Schwester Ruth Stengel von der Kirchengemeinde St. Johannes Baptist.

Die Wagnergasse ist Jenas Kneipenmeile. Hier geht man aus, hier trifft man sich. Neben Bars und Restaurants ist aber noch jemand anderes in der Straße präsent: die katholische Kirche. Leicht erhöht über der Wagnergasse steht die Pfarrkirche St. Johannes Baptist, das Zentrum des katholischen Lebens in Jena. Kaplan David Wolf freut sich über diesen Standort: "Draußen pulsiert das Leben, aber in unserer Kirche kann man Ruhe finden." Das Gotteshaus sei ein Ort der Stille, der im städtischen Trubel zum Innehalten einlade.

Die katholische Kirche ist also mittendrin in Thüringens "Boomtown". Jena ist eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte: Seit der Jahrtausendwende ist die Einwohnerzahl um zehn Prozent auf rund 110.000 angewachsen, auch die Wirtschaft wächst kräftig. Zu verdanken ist diese Entwicklung vor allem der Universität und wissenschaftsnahen Unternehmen, die viele Menschen in die Stadt locken. Ähnlich wie in Leipzig profitiert von dieser Entwicklung auch die Kirche. "Unsere Gemeinde wächst seit Jahren stetig an", erzählt Wolf.

Weite Wege als Herausforderung

Trotzdem hat auch St. Johannes Baptist mit den Herausforderungen der Diaspora zu kämpfen. Zum Jahresanfang wurde die Pfarrei mit der Gemeinde im nahen Apolda fusioniert. Seitdem gehören mehr als 60 Ortschaften mit 8.300 Katholiken zum Einzugsgebiet von St. Johannes Baptist. Die Folge: Weite Wege und neue Strukturen, die von den Gläubigen erst noch erlernt und akzeptiert werden müssen. "Die Teilnahme am Gottesdienst ist für viele Menschen bei uns keine Frage des Wollens, sondern wegen der großen Distanzen eher eine Frage des Könnens", beschreibt Gemeindereferentin Schwester Ruth Stengel eines der zentralen Probleme.

Doch die Diaspora bietet nach Ansicht von Wolf und Stengel auch viele Vorteile für das Gemeindeleben. "Wir profitieren sicher auch wegen unserer Minderheitensituation von einem hohen ehrenamtlichen Engagement in der Pfarrgemeinde", betont Wolf. Dies sei gerade in den Ortschaften außerhalb von Jena wichtig, denn dort brauche es neben dem Einsatz der Hauptamtlichen vor allem engagierte Freiwillige, um das christliche Leben überhaupt aufrechterhalten zu können.

Katholische "Dienstleistungen" aus einer Hand

In Jena selbst konzentriert sich das Gemeindeleben auf die Pfarrkirche in der Wagnergasse. Diese Fokussierung auf einen zentralen Standort empfindet Kaplan Wolf als großen Vorteil. Zumal nur ein paar Häuser weiter die Caritas mit ihren Beratungsangeboten ihren Sitz hat. So können katholische "Dienstleistungen" gleichsam aus einer Hand angeboten werden. Zu den Gottesdiensten kommen am Wochenende im Schnitt rund 800 Gläubige, darunter viele junge Familien. Dies spiegelt sich auch in einer beeindruckenden Zahl von Ministranten wieder: Mehr als 60 Messdiener verrichten derzeit ihren Dienst in St. Johannes Baptist.

Außerdem profitiert die Gemeinde von der Universität mit ihren rund 20.000 Studierenden. Zum einen gibt es in Jena ein sehr aktive Studentengemeinde; zum anderen, so erzählt Wolf, kommen tagsüber immer wieder Studierende in die offene Kirche – vielleicht auch, um eine Auszeit vom Trubel in der Wagnergasse zu nehmen.

Gera: Pfarrgemeinde St. Elisabeth

Bild: ©katholisch.de/stz

Klaus Schreiter ist Pfarrer der Kirchengemeinde St. Elisabeth in Gera.

Gera ist nur rund 45 Kilometer von Jena entfernt – und doch hat man das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein. Neben dem aufstrebenden Jena vermittelt Gera ein anderes, weniger positives Bild. Die ostthüringische Stadt hat mit großen Problemen zu kämpfen: Der kommunale Schuldenberg ist dramatisch hoch, die Einwohnerzahl seit der Wiedervereinigung stark rückläufig. Lebten 1990 noch fast 130.000 Menschen in Gera, sind es heute noch knapp 95.000.

Die schwierige Situation der Stadt hat über Jahre hinweg auch der katholischen Kirche zu schaffen gemacht. "Die Wegzüge hätten uns fast getötet", erzählt Pfarrer Klaus Schreiter mit Blick auf das kirchliche Leben in Gera. Doch immerhin: Seit einiger Zeit hat sich die Zahl der Katholiken stabilisiert, derzeit hat die Pfarrei St. Elisabeth rund 2.300 Mitglieder. "Wir sind als Katholiken hier zwar immer noch Exoten, aber als solche werden wir langsam interessant", so Schreiter, der ein wachsendes Interesse an Kirche feststellt.

Christliches Wachstum auch durch Flüchtlinge

Ein Beispiel dafür ist Kahla. Die Kleinstadt profitiert von ihrer Nähe zu Jena und preisgünstigem Bauland; viele junge Familien haben sich dort in den vergangenen Jahren niedergelassen – darunter auch Katholiken. Seit gibt es in Kahla laut Schreiter "relativ viele Taufen" (2016: 10) und eine stabile Nachfrage nach kirchlichen Angeboten.

Für christliches Wachstum sorgen darüber hinaus die in Gera lebenden Flüchtlinge. Rund 5.000 werden derzeit in der Stadt beherbergt, darunter Christen aus Eritrea, dem Irak und Syrien. Die Eritreer, die einer Abspaltung der koptischen Kirche angehören, feiern als Gäste regelmäßig eigene Gottesdienste in der Pfarrkirche St. Elisabeth.

Kirche in einem kirchenfernen Umfeld

Die Pfarrgemeinde selbst befindet sich derzeit – wie alle anderen Pfarreien im Bistum Dresden-Meißen – in einem Erkundungsprozess. Dabei geht es unter anderem um die Frage, wie die Kirche es in einem kirchenfernen Umfeld schaffen kann, dass jeder Mensch irgendwann in seinem Leben Christus begegnet. Für Pfarrer Streiter spielen hierbei die kirchlichen Orte eine zentrale Rolle, zu denen er neben den Gottesdiensten auch seelsorgliche Angebote außerhalb der Pfarrkirche, katholische Sozialdienste und Schulen sowie ökumenische Initiativen in Gera zählt. Immerhin: Der Pfarrer stellt inzwischen in der Bevölkerung "weniger Berührungsängste" gegenüber der Kirche fest.

Um die geringer werden finanziellen und personellen Ressourcen besser zu nutzen, werden die Pfarreien im Bistum seit einigen Jahren zu Verantwortungsgemeinschaften verbunden. Mehrere Gemeinden schließen sich dabei zu größeren Einheiten zusammen und tragen füreinander Verantwortung. Die Pfarreien in Gera wurden im Zuge dieses Prozesses bereits mit Gemeinden aus dem umliegenden Saale-Holzland-Kreis zusammengeschlossen. Für Klaus Schreiter eine gelungene Kombination: Größere kirchliche Einheiten seien lebensfähiger. "Das große System hilft kleinen Pfarreien, die sonst kaum mehr tragbar wären" sagt der Pfarrer. Seine Stadtpfarrei könne dem Umland durchaus Hilfestellung geben, um das kirchliche Leben dort zu erhalten.

Von Steffen Zimmermann