Zarte Früchte aus Hanoi
Kernpunkt: Regierungsvertreter stellten gegenüber der deutschen Delegation in Aussicht, umstrittene Registrierungspflichten für Glaubensgemeinschaften in einem geplanten Religionsgesetz deutlich abzuschwächen. Die katholischen Bischöfe in Vietnam hatten mit den unterschiedlichen Gesetzentwürfen vor allem deswegen Bauchschmerzen, weil sie vor eine staatliche Anerkennung religiöser Gruppen hohe Hürden setzten. So soll es 20 Jahre dauern, bis eine Gemeinschaft überhaupt offiziell bestehen darf - fast eine Generation im juristischen Fegefeuer.
Erfreut zeigte sich Marx nun etwa über die faktische Aufhebung der Zugangsbeschränkungen für Priesterseminare. Andere administrative Änderungen erleichtern es der katholischen Kirche, in der Gesellschaft stärker in Erscheinung zu treten. Gegenüber seinen Gesprächspartnern - religionspolitische Vertreter im Parlament, das Komitee für religiöse Angelegenheiten und der Präsident der "Vaterländischen Front", einer Art kommunistischem Dachverband für Christen - verwies der Kardinal auf den Beitrag, den die Kirche auch in Vietnam für Wohlfahrt und gesellschaftlichen Fortschritt spielt.
Marx für umfassende Religionsfreiheit
Diese Dienste, so Marx, könnten noch wirksamer sein, wenn der Staat den Glaubensgemeinschaften umfassende Religionsfreiheit gewähre und damit die Voraussetzungen schaffe, sich noch stärker in Gesundheitsversorgung oder Bildung zu engagieren. Zur Frage des Staat-Kirche-Verhältnisses erinnerte der Kardinal "an Einsichten und an Erfahrungen", die man in Europa hart errungen habe. Auch für den Transformationsprozess in Vietnam sei die Religionsfreiheit von herausragender Bedeutung.
In welche Richtung sich Vietnam aber transformiert, dazu gibt es unterschiedliche Perspektiven. Später in diesem Monat tritt die Kommunistische Partei zu ihrem Parteitag zusammen. Dabei geht es laut politischen Beobachtern bei wichtigen Personalentscheidungen auch um die künftige internationale Ausrichtung: mit einer stärkeren Anbindung an China oder einer vorsichtigen Öffnung gegenüber den USA und dem Westen.
Linktipp: Mission im Fernen Osten
Kardinal Reinhard Marx bricht am Freitag nach Vietnam auf. Die zehntätige Reise des Vorsitzenden der Bischofskonferenz hat fast zwangsläufig auch eine weltkirchliche Dimension. Denn die christliche Minderheit in dem kommunistischen Land hat es nicht leicht.Für letzteren Kurs steht der aktuelle Ministerpräsident Nguyen Tan Dung, früherer Zentralbankchef mit dem Ruf des Wirtschaftsreformers. Nguyen zeigt auch keine Scheu gegenüber anderen Weltanschauungen. Im Oktober 2014 besuchte er Papst Franziskus in Rom; der Vatikan sprach von einem "wichtigen Schritt" nach vier Jahrzehnten diplomatischer Eiszeit zwischen Hanoi und dem Heiligen Stuhl.
Es scheint, als hätten die Katholiken Vietnams die Gunst der Stunde vor dem Parteitag nutzen wollen. Die Einladung an Marx, so heißt es bei deutschen politischen Stiftungen in Vietnam, ging von der lokalen Kirche aus. Nachdem Restriktionen gegen Christen wie eine engmaschige Überwachung oder die Kontrolle von Predigten zuletzt schwächer geworden waren, versucht die Kirche jetzt, strengeren Auflagen durch das neue Religionsgesetz gegenzusteuern.
Ein Besuch von Format
Der Besuch eines Kirchenmanns vom Format eines Reinhard Marx kann da nicht schaden. Auch den staatlichen Gastgebern in Vietnam ist klar, dass Marx nicht irgendwer ist. Der Münchener Erzbischof und Vorsitzende der Bischofskonferenz ist einer von neun Kardinälen im engsten Rat um Papst Franziskus und zudem Präsident der EU-Bischofskommission COMECE.
Mit der EU verhandelt Vietnams Regierung über ein Freihandelsabkommen; hier geht es wieder um eine Öffnung des Landes, aber - angesichts der verlangten Liberalisierung der Wirtschaft - auch um Fragen des Arbeitsschutzes. Auch hier wird Marx als Sozialethiker mitzureden wissen. In Ho-Chi-Minh-Stadt besucht er unter anderem eine Textilfabrik und spricht mit Gewerkschaftern.