Zeuge des Jahrhunderts
"Sein Rat war stets begehrt, denn er gründete auf geistiger Unabhängigkeit, intellektueller Weitsicht und einem Sinn für das politisch Machbare", schreibt Gauck weiter. "Wir werden ihn nie vergessen." Der Diplomatensohn kam am 15. April 1920 in Stuttgart auf die Welt. Von Weizsäcker war Sohn einer evangelischen Theologen- und Juristenfamilie in Württemberg. Lutherisch getauft wurde er im schweizerischen Bern in einer reformierten Kirche konfirmiert. Bis zuletzt war er protestantischer Christ in einer unierten Kirche.
In jungen Jahren nahm er als Soldat am Zweiten Weltkrieg in Polen und der Sowjetunion teil, wobei er mehrfach verwundet wurde. Nach Kriegsende studierte er Rechtswissenschaften und Geschichte. Später half er bei den Nürnberger Prozessen bei der Verteidigung seines Vaters Ernst von Weizsäcker, der zu mehrjähriger Haft verurteilt wurde.
Zweimal war von Weizsäcker Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages (1964-1970 sowie 1979-1981). Dabei habe er, wie er erzählte, unter vier Augen mit dem verstorbenen Papst Johannes Paul II. (1920-2006) über Deutschland und die Ökumene gesprochen. Er kenne die "ökumenische Sehnsucht, die besonders intensiv ist und vor einigen nicht leicht überwindbaren Hürden steht". Von 1969 bis 1984 war von Weizsäcker zudem Mitglied der Synode und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sowie des Zentral- und Exekutivausschusses des Weltkirchenrats.
Leidenschaftlicher Berliner
1966 kam der Vater von vier Kindern in den CDU-Bundesvorstand, 1969 zog er in den Bundestag ein, wo er Vize-Unionsfraktionschef wurde. Zwölf Jahre lang prägte er die Linien der oppositionellen CDU mit, bevor er 1981 Regierender Bürgermeister von Berlin wurde. Auch wenn er erst 18-jährig nach Berlin kam, hatte er einen besonderen Bezug zu der Stadt.
Der leidenschaftliche Berliner stand am 9. November 1989 mit auf den Stufen des Rathauses im Berliner Bezirk Schöneberg, in den Stunden der Einheit und der fassungslosen Freude. Er mahnte zur Behutsamkeit beim Zusammenwachsen von Ost und West und gab zu bedenken, dass die Deutschen nicht nur durch eine harte Währung vereint würden.
Über die zehn Jahre als Bundespräsident - von Weizsäcker gehörte zu den drei Staatsoberhäuptern, die in eine zweite Amtszeit gewählt wurden -, sind längst nicht alle Geschichten erzählt. Als Staatsoberhaupt verlegte sich von Weizsäcker nicht aufs bloße Repräsentieren; er war der politischste Präsident, den das Land bis dahin hatte. Hinzu kam die spätestens nach dem Ausscheiden aus dem Amt greifbare Spannung zum CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl - hier der Großbürger, da der aus kleinbürgerlicher Herkunft stammende Partei-Netzwerker. Da der Katholik, hier der Protestant. Die Kontraste ließen sich fortsetzen, und traten bisweilen auch zu Tage.
Stellungnahme von Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, zum Tod Richards von Weizsäckers.
Die Katholische Akademie in Bayern verlieh Weizsäcker 1987 den "Romano-Guardini-Preis". Er bedankte sich mit einer Rede über Wahrheit und Freiheit in der Politik. Politiker sollten bei ihren Entscheidungen nach Klarheit suchen und dabei auch vor sich Rechenschaft ablegen. Mandate seien nur auf Zeit gegeben. "Das sind die Spielregeln. Sie sollten uns davor bewahren, den Kampf um die Macht bis aufs Messer zu führen." Denn es gehe nicht um Glaubenskriege im Namen ewiger Wahrheiten.
Bis ins hohe Alter war von Weizsäcker einer der prominentesten Protestanten Deutschlands. Dabei konnte er viele Geschichten der Ökumene berichten. In seiner Zeit als Berliner Bürgermeister wurde für ihn ausgerechnet die katholische Sankt-Hedwigs-Kathedrale zum "Haupttreffpunkt" mit den Einheimischen. "Unter ihrem Schutz konnten die Menschen trotz aller Sicherheitskräfte mit jemandem wie mir vollkommen offen und fröhlich umgehen. Das verbindet mich mit der Kathedrale sehr stark", sagte der Altbundespräsident einst.
Von Anna Mertens (KNA)