Vor 200 Jahren verbot Preußen den "Rheinischen Merkur"

Zu kritisch und zu liberal

Veröffentlicht am 10.01.2016 um 00:01 Uhr – Von Joachim Heinz (KNA) – Lesedauer: 
Im Jahr 2010 kam das endgültige Aus für die katholische Wochenzeitung "Rheinischer Merkur".
Bild: © KNA
Geschichte

Koblenz ‐ In der Ausgabe vom 10. Januar 1816 ließ Herausgeber Joseph Görres seiner Kompromisslosigkeit noch einmal freien Lauf. Doch da hatte der preußische König die Herausgabe des "Rheinischen Merkur" in seinem Reich schon verboten.

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Am 10. Januar 1816, vor 200 Jahren, zieht Joseph Görres noch einmal alle Register. In der letzten Ausgabe des von ihm gegründeten "Rheinischen Merkur" knöpft sich der streitbare Publizist aus Koblenz die Debatten um die Hamburger Bank vor. Aus den üppigen Bestände des Geldhauses hatten sich die Franzosen unter Napoleon kurz zuvor noch großzügigst bedient - und versuchen nun, nach Bonapartes endgültiger Niederlage, die Rechnung für den entstandenen Schaden so klein wie möglich zu halten. Aber auch die Sieger wollen nicht viel Energie in die Causa investieren. Europa sehnt sich nach Frieden. Da sind die pulverisierten Einlagen der Bank nur "Peanuts". Die Hanseaten beißen mit ihrem Ruf nach Kompensation auf Granit.

Das wiederum versetzt den Hitzkopf und Gerechtigkeitsfanatiker Görres in heilige Rage: "Teutschland hoffte von seinen Staatsmännern, daß sie das Panier seiner Ehre in allen Dingen hoch tragen würden, wie seine Krieger es gethan." Mit ätzendem Spott nimmt er sodann die zahlungsunwilligen Franzosen ins Visier, denen er "Leichtsinn" und "Komödiantenwesen" attestiert. Über allem schwebt die Sehnsucht nach einem geeinten Deutschland, das nicht zuletzt gegenüber den Nachbarn in Frankreich klare Kante zeigen sollte: "Kommen sie uns zu nahe, so führen wir sie höflich um die Ecke, rechts am Kreuz vorbey über Saarbrücken, und haben wir erst einmal Elsaß und Lotharingen und unsere Wasserscheide wieder, so haben wir bey ihnen auch nichts Großes mehr zu suchen."

Ein letztes Aufbäumen vor der Zensur

Als diese Philippika die Leser erreicht, hat der Autor die Quittung für seine fortgesetzte Unbotmäßigkeit allen Autoritäten gegenüber bereits erhalten. Am 3. Januar 1816 lässt König Friedrich Wilhelm III. durch königliche Kabinettsordre die "fernere Herausgabe des Rheinischen Merkurs in den preußischen Staaten" untersagen. Das Blatt war den Regierenden zu kritisch und für damalige Verhältnisse zu liberal geworden.

Joseph Görres (1776-1848), Herausgeber des "Rheinischen Merkurs", gilt bis heute als eine der größten Persönlichkeiten in der Geschichte der katholischen Publizistik in Deutschland.
Bild: ©F. Diez

Joseph Görres (1776-1848), Herausgeber des "Rheinischen Merkurs", gilt bis heute als eine der größten Persönlichkeiten in der Geschichte der katholischen Publizistik in Deutschland.

Dabei ist den Preußen die Zeitung zunächst hochwillkommen. Damit, so ihr Kalkül, lassen sich die von den Franzosen abgerungenen Rheinprovinzen an Berlin anbinden. Görres trifft den Nerv der Zeit. Schnell steigt die Auflage auf die damals hohe Zahl von 3.000 Exemplaren. Der wortgewaltige "Milliardär in Bildern" will ein neues Deutschland unter preußischer Führung herbeischreiben. Als "Artilleriedirektor der katholischen Sache" gehört Görres zu jenen, die sich früh für eine Vollendung des Kölner Doms stark machen. Später, 1841/42, gehört er zu den Mitgründern des Zentral-Dombau-Vereins zu Köln.

Dem kompromisslosen Görres widerstrebt die Wiener Diplomatie

Zurück ins Jahr 1815: Die von Diplomaten ausgehandelten Ergebnisse des Wiener Kongresses schmecken dem kompromisslosen Geist nicht. Er bleibt bei seiner Linie und entfernt sich damit immer mehr vom politischen Comment. Seine Förderer, darunter der preußische Staatskanzler Karl August Freiherr von Hardenberg, können ihn nicht mehr stützen. Görres geht nach München und steigt dort bis zu seinem Tod 1848 zu einem der führenden Köpfe des politischen Katholizismus in Deutschland auf.

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"'Publik' kommt anders als erwartet" - so warb Ende der 1960er-Jahre eine neue katholische Wochenzeitung um Leser. Tatsächlich kam vieles anders als erwartet. Eine Studie rollt den "Fall 'Publik'" jetzt noch einmal auf.

Die Geschichte des "Rheinischen Merkur" ist mit der letzten Ausgabe 1816 freilich nicht zu Ende. Vor 70 Jahren, am 15. März 1946, kommt es zu einer Neugründung gleichen Namens. "Es gibt keinen größeren Namen, zu dem wir greifen könnten. Mit der Ursprünglichkeit seines Denkens, mit der Kraft seiner Sprache, mit der ganzen hinreißenden Leidenschaftlichkeit seines Geistes hat Görres dem Rheinischen Merkur den höchsten Rang gesichert", schreibt der erste Chefredakteur, Franz Albert Kramer.

Die "Zeit" führt die Tradition des einstigen Konkurrenten fort

Zwischenzeitlich gilt die konservative Wochenzeitung als ernster Konkurrent der liberalen "Zeit" aus Hamburg. Doch 2010 verkünden die katholischen Bischöfe, die seit den 70er-Jahren zu den Hauptgeldgebern des Blattes aufgestiegen waren, das zweite Aus für den "Merkur". Die "Zeit"-Beilage "Christ und Welt" führt seither das Erbe fort. An eine nochmalige Wiedergeburt der Traditionszeitung würde Gründervater Görres selbst wohl kaum glauben: "Der Merkur ist ein Werk nie widerkehrender Zeitumstände, das, einmal vernichtet, sich um keinen Preis wieder herstellen ließ."

Von Joachim Heinz (KNA)