Zwischen Ablass und Weltfriedenstreffen
Ziel von Touristen und Pilgern, von Kunstbeflissenen und Naturfreunden sind die in idyllischer Landschaft gelegenen Stätten des mittelalterlichen Ordensgründers Franziskus (1181-1226). Im Mittelpunkt stehen vor allem die ihm gewidmeten Gotteshäuser mit den berühmten Fresken von Giotto und Cimabue.
Doch die Geschichte von Assisi fing schon viel früher an: Zu Beginn des ersten Jahrtausends vor Christus besiedelten die Umbrer die Region in Mittelitalien. Sie gründeten Stadtstaaten wie Ariminum (Rimini), Perusia (Perugia), Spoletium (Spoleto) und Asisium (Assisi). Es entstand das heutige Umbrien. Assisi blieb eine umbrische Akropolis, eine auf dem Berg gelegene Wehranlage, bis die Römer den Ort 399 kolonisierten. Terrassenförmig bauten sie die Stadt auf einem Felsrücken an der Westseite des Monte Subasio aus. Vieles erinnert noch heute an diese Zeit: die Stadtmauern, das Forum, ein Theater, ein Amphitheater und der Tempel der Minerva. Nachdem die Ostgoten den Ort 545 größtenteils zerstörten, geriet er später unter die Herrschaft der Lombarden und wurde danach den Grafen von Spoleto unterstellt.
Vom reichen Sohn zum armen Heiligen
Der wohl bekannteste Sohn der Stadt, der heilige Franziskus (italienisch: Francesco), wurde im Jahr 1181/1182 in Assisi geboren. Als Kind reicher Eltern führte er ein sorgloses Leben. Nach einer Schlacht zwischen Assisi und Perugia kam er 1202 als junger Mann für ein Jahr in perugische Gefangenschaft. Während dieser Zeit erkrankte Franziskus schwer und bekehrte sich. In Spoleto hatte er kurz danach im Traum eine Vision. Daraufhin verabschiedete er sich vom Soldatenleben und kehrte in seine Heimatstadt Assisi zurück. Seine Einstellung änderte er radikal: Er begann, sich um einen Leprakranken zu kümmern. Beim Gebet vor dem Kruzifix in der damals baufälligen Kapelle von San Damiano nahe Assisi vernahm Franziskus eine Stimme, die ihn aufforderte, das Kirchengebäude zu erneuern.
Als er für die Wiederherstellung der Kirche Tuchballen aus dem Besitz seines Vaters verkaufte, wurde er von diesem zur Rede gestellt. Der Konflikt eskalierte. Franziskus soll sich seine Kleider vom Leib gerissen haben und nackt aus der Stadt gerannt sein. Fortan führte er ein Leben, das ganz auf Gott und den Dienst am Nächsten sowie an der Schöpfung ausgerichtet war. Später gründete er den Orden der Minderen Brüder. Heute ist der Bettelmönch und Friedensapostel Franziskus nicht nur einer der populärsten Heiligen der Kirche und Patron Italiens. Über Kultur- und Religionsgrenzen hinweg inspirieren seine Schöpfungs- und Naturliebe, aber auch seine Friedensmission in Ägypten Umweltschützer, Friedensaktivisten und Menschen auf der Suche nach einem alternativen Lebensstil.
Die Kirche San Damiano ist bis heute weitgehend erhalten und vermittelt durch ihre Schlichtheit einen guten Eindruck der franziskanischen Frömmigkeit. Franziskus nutzte San Damiano als Rückzugsort aus dem lebhaften Assisi. In den Jahren 1224 und 1225 dichtete er hier seinen berühmten Sonnengesang (italienisch: Cantico delle Creature). 1212 gründete die heilige Klara (italienisch: Chiara) in San Damiano mit Gefährtinnen den ersten Konvent der Klarissen, dem sich später auch ihre Schwester Agnes und ihre verwitwete Mutter anschlossen. 1253 starb Klara in der Kirche. Die Klarissen bewohnten den Konvent von San Damiano bis 1260.
Gelübde von Armut, Keuschheit und Gehorsam
Wie Franziskus stammte Klara aus einer wohlhabenden Familie in Assisi. Entgegen den Vorstellungen ihrer adeligen Rittersfamilie, die eine standesgemäße Heirat erwartete, schloss sie sich Franziskus an, dessen einfache Lebensweise sie beeindruckte. 1212 floh Klara aus ihrem Elternhaus und legte vor Franziskus die Gelübde von Armut, Keuschheit und Gehorsam ab. Bald darauf folgten ihr die ersten Frauen. Die Benediktiner vom Kloster San Angelo überließen ihnen die Kirche San Damiano, wo Klara ab 1215 als Äbtissin der sich rasch vermehrenden klösterlichen Gemeinschaft vorstand, den späteren Klarissen.
Heute gehören rund ein Dutzend Franziskus-Stätten in und um Assisi zu den Zielen der Pilger und Besucher aus aller Welt: unter anderem das Wohnhaus des Heiligen, die Berufungsstätte San Damiano, der Entkleidungssaal, wo Franziskus sich von seinem Vater und seinem Erbe trennte, und die Einsiedelei "Eremo delle Carceri", über der heute ein kleines Kloster inmitten einer Waldschlucht steht. Im San-Rufino-Dom befindet sich der Taufstein, auf dem Franziskus, seine Schülerin Klara und auch der spätere Kaiser Friedrich II. (1194-1250) getauft wurden.
Die Besichtigung der Basilika San Francesco, die über Franziskus' Grab errichtet wurde, zählt zu den Höhepunkten eines jeden Assisi-Besuches. Die Doppelkirche mit dem Freskenzyklus Giottos über das Leben des heiligen Franz gehört wie die anderen franziskanischen Pilgerstätten in Assisi zum Weltkulturerbe der Vereinten Nationen (UNESCO). Ein weiterer Höhepunkt ist die Basilika Santa Maria degli Angeli, die über der Portiuncola, dem Sterbehaus des Ordensgründers, entstand.
800 Jahre Portiuncula-Ablass
Die Portiuncula-Kapelle ist eng mit der Entstehung des Franziskanerordens verknüpft. Franziskus selbst soll die verfallene Kapelle laut der Überlieferung nach einer göttlichen Vision wieder aufgebaut haben. Auch die Heilige Klara betete oft in der Portiuncula. Auf Geheiß von Papst Pius V. (1566-1572) wurde über dem kleinen Gotteshaus später die Basilika errichtet, die 1697 fertiggestellt wurde. Besondere Bedeutung gewann die Kapelle wegen des mit ihr verbundenen vollkommenen Ablasses. Es handelt sich um einen Nachlass zeitlicher Bußstrafen für die Sünden, die man gebeichtet hat und deren Schuld schon vergeben ist. Der Portiuncula-Ablass ist seit dem 13. Jahrhundert Teil der franziskanischen Ordensidentität, obwohl seine Echtheit umstritten ist. Der heilige Franziskus hatte 1216 von Papst Honorius III. die Ablassgewährung für Gläubige erbeten. Der Papst gewährte dies, aber der Ablass war neben den üblichen Auflagen wie Reue, Beichte, Messbesuch und Gebete an das Datum des 2. Augusts gebunden. 2016 jährt sich dieses Ereignis zum 800. Mal.
Nicht zuletzt ist der Name Assisi seit Johannes Paul II. (1978-2005) auch eng mit dem Dialog der Religionen verbunden. Am 27. Oktober 1986 kamen hier auf seine Einladung erstmals mehr als 100 Vertreter aller großen Religionen zu einem Weltfriedenstreffen zusammen. Christen, Muslime und Buddhisten verurteilten jede Form religiös motivierter Gewalt. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 berief der Papst zum 24. Januar 2002 eine zweite interreligiöse Begegnung dieser Art ein. Auch Benedikt XVI. lud am 27. Oktober 2011 zu einem Weltfriedenstreffen. Die katholische Gemeinschaft Sant’Egidio führte seit dem ersten Treffen diese Tradition jährlich in wechselnden Städten fort: Das nächste Treffen wird ab dem 18. September 2016 wieder in Assisi stattfinden. (mit Material von KNA)