Zwischen den Fronten
Wenn Schwester Deya von den jungen Schulabgängern ihrer christlichen Mädchenschule in Nazareth erzählt, dann muss sie seufzen. "Unsere Mädchen haben einen so guten Abschluss, sie könnten an der Universität jedes Fach studieren", sagt die Nonne vom Orden der Salvatorianerinnen. An die christliche Privatschule strömen täglich über 1500 Schülerinnen. Der Lehranstalt eilt ein exzellenter Ruf voraus, mehr als 91 Prozent ihrer Schülerinnen bestehen das israelische Zentralabitur, der Landesdurchschnitt liegt nach Angaben der israelischen Schulbehörde deutlich niedriger.
Erste Mädchenschule in Nazareth
Die Warteliste ist entsprechend lang. Auch muslimische Eltern sind von der christlichen Pädagogik überzeugt. Zwar gibt es keinen muslimischen Religionsunterricht, aber das friedliche Miteinander kommt bei der Bevölkerung Nazareths, die zu zwei Drittel muslimisch ist, gut an. Den Erfolg hat sich die Schule mühsam erarbeitet. Als die Nonnen die "Salvatorian Sisters‘ School" vor genau fünf Jahrzehnten gründeten, war es die erste Mädchenschule in der in der Heimatstadt Jesu.
Über die Jahre bauten die griechisch-katholischen Schwestern die Schule immer weiter aus. Mittlerweile bietet sie vom Kindergarten bis zur Oberstufe durchgehend alle Altersstufen an. Auch die christliche Erziehung spielt natürlich eine Rolle. "Dazu gehört das morgendliche gemeinsame Gebet, der christliche Religionsunterricht und ein Besinnungstag im Jahr", erläutert die 60-jährige Ordensfrau.
Doch gerade die ausgezeichnete Ausbildung der christlichen Privatschulen, die zu den besten Schulen Israels zählen, verschärft unbeabsichtigt ein gravierendes Problem: die Emigration junger Leute aus dem Heiligen Land. "Viele junge Christen stellen sich angesichts des Lebens als Minderheit immer wieder die Frage, ob sie auswandern sollten. Im Ausland haben sie mit ihren Abschlüssen gute Chancen auf den sozialen Aufstieg", erklärt Ludger Bornemann. Er ist katholischer Priester und lebt seit über 16 Jahren in Israel.
Zwischen den Stühlen
Als geistlicher Leiter des Pilgerhauses des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande in Tabgha hat er mit vielen jungen Christen zu tun und kennt ihre Probleme. "Zum einen sehen sie wenig Chancen, gut bezahlte Berufe ergreifen zu können, zum anderen ist das Leben als christliche Minderheit auf Dauer kräftezehrend", sagt der Seelsorger. An Arbeitsplätze komme man oft ausschließlich über Kontakte. Auch die Religion spiele eine wichtige Rolle. Und während Muslime Muslimen und Juden Juden helfen, säßen gerade arabische Christen oft zwischen den Fronten, ist Bornemanns Erfahrung. Für die Juden seien sie Araber, aber zu den muslimischen Familienclans gehörten sie auch nicht.
Hinzu kommen offene Anfeindungen von beiden Seiten: in jüngster Vergangenheit seien christliche Klöster vermehrt von orthodoxen jüdischen Fanatikern mit feindlichen Parolen beschmiert worden, erzählt Bornemann. Sogar eine Kirchentür sei in Brand gesetzt worden. Auf muslimischer Seite klappt das Zusammenleben gewöhnlich gut, doch auch hier versuchten Extremisten immer wieder, die Andersgläubigen einzuschüchtern. Daher hat Bornemann durchaus Verständnis, wenn junge Menschen Auswanderungsgedanken hegen. "Beliebt sind Länder wie Kanada, Schweden oder Polen, in denen mittlerweile schon viele christliche palästinensische Familien leben", sagt der 56-jährige Priester aus dem Bistum Münster.
Zahl der Christen in Israel sinkt
Denn als Minderheit könnten die Christen ihren Glauben in Israel und Palästina nur mit großen Einschränkungen leben. Das beginne bei der Feier des Sonntags, der in Israel und Palästina ein normaler Arbeitstag ist, über die Feiertage, für die man extra Urlaubstage nehmen müsse, bis hin zur christlichen Literatur, die in der Muttersprache der jungen Erwachsenen, dem Arabischen, nur sehr selten zu erwerben sei. So wundert es nicht, dass die Zahl der Christen im Heiligen Land geht stetig zurück geht, mittlerweile sind es nur noch knapp 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung.
„Wir motivieren die Mädchen immer wieder, hierzubleiben“
Auch im Palästinensergebiet sieht die Lage ähnlich aus. Mauern, Checkpoints und Grenzzäune schränken das Leben der Bevölkerung stark ein. Wichtige Orte des Christentums wie Jerusalem oder Nazareth seien nur schwer erreichbar, so Bornemann.
Vom israelischen Staat werden den Auswanderungswilligen nach seiner Ansicht keine Steine in den Weg gelegt. Hinter dieser Haltung vermutet Schwester Deya ein politisches Ziel: "Wer einmal aus Palästina ausgewandert ist, hat große Schwierigkeiten, wieder zurückzukommen". Israel versuche auf diese Weise, den Anteil der arabischen Bevölkerung im Land zu senken, glaubt sie.
Darum erinnert die Ordensschwester die Schülerinnen an die Bedeutung des Christentums in Israel und Palästina ans Herz und gibt sich hartnäckig in diesem Anliegen: „Wir motivieren die Mädchen immer wieder, hierzubleiben“. Sie hofft, dass die Bildungsarbeit der christlichen Privatschulen Früchte trägt. Wenn die jungen Menschen nach der Schulzeit in ihrer Heimat bleiben, dann ist für Schwester Deya ein wichtiges Ziel erreicht.
Von Johannes Reichart