Zwischen Wunder und Pragmatismus
Ein architektonischer Schandfleck und Anachronismus im Zeitalter der Ökumene soll bald der Vergangenheit angehören. Die marode und seit 70 Jahren von Stahlträgern zusammengehaltene Kapelle über dem traditionellen Grab Christi in Jerusalem wird restauriert. In einer Geheimaktion hatten sich die Leiter der drei verantwortlichen Konfessionen der Grabeskirche - Griechisch-Orthodoxe, Armenier und Katholiken (vertreten durch die Franziskaner) - Ende März auf die überfällige Renovierung einer der heiligsten Stätten der Christenheit geeinigt. Seit Mai sind die Arbeiten im Gange, sie dürften noch bis weit ins nächste Jahr hinein dauern. Im oberen Teil strahlt jedoch bereits jetzt der zuvor fast schwarze Stein in hellen Beige-Tönen.
Die lauten Arbeiten mit Presslufthammer und Steinsäge sind weitgehend auf die Nachtstunden verlegt. Die Liturgien und der Pilgerbetrieb sollen möglichst wenig beeinträchtigt werden - auch wenn aufgrund Sommerhitze und Touristenflaute die Warteschlangen derzeit ungewöhnlich kurz sind. Dennoch wird es auch tagsüber laut, wenn die Bauleute der griechischen Firma hinter hohen weißen Absperrwänden hämmern, klopfen, schaben und schleifen. Meter für Meter werden die Steine und Platten abgenommen. In einem auf der Empore errichteten Laboratorium werden sie untersucht, gereinigt, ausgebessert, und im Notfall ersetzt.
Konservative Restaurierung
Die Kirchenführer hatten sich auf eine konservative Restaurierung des 8,30 mal 5,90 Meter großen und 5,90 Meter hohen Baus verständigt. Die Ädikola über dem Heiligen Grab solle nicht verändert werden, sie müsse hinterher genauso aussehen wie bisher: Also wie die Kapelle, die nach dem verheerenden Brand von 1808 von den Griechen im Stil des osmanischen Barock mit einem russischen Zwiebelturm errichtet worden war. Und natürlich muss die Statik stimmen - eventuell mit einer Titan-Vertärkung - um die Sicherheit der täglich Tausenden Pilger zu gewährleisten.
Linktipp: Überraschende Entdeckung am Heiligen Grab
Restauratoren haben bei den seit dreieinhalb Monaten laufenden Arbeiten an der Südseite der Grabkapelle ("Ädikula") in der Jerusalemer Grabeskirche eine überraschende Entdeckung gemacht.Allerdings sind die Arbeiten umfangreicher als zunächst angenommen, der "Patient" ist kranker als vermutet. Bereits die Architekten und Bauleute von 1810 hatten Fehler gemacht und falsche Materialien verwendet, zeigte sich jetzt. Dann griffen der Ruß von Kerzen und Weihrauch den Stein an, ständig brannten Kerzen direkt an der südlichen Außenmauer - und kippten regelmäßig um. Mehrere kleine Erdstöße schadeten der Stabilität. Schließlich machten die hohe Bodenfeuchtigkeit in der Jerusalemer Altstadt sowie Umweltabgase den Marmor porös. Nicht zu übersehen die Folgen des Pilgertourismus, die Ausdünstungen durch menschlichen Atem und Schweiß - gerade im Innern der Grabkammer.
Aber es war schon eine Sensation, dass sich die Teileigentümer des Gotteshauses über der Kreuzigungs- und Grabstätte Christi überhaupt auf eine Renovierung verständigten. Bislang traute sich niemand an das Provisorium heran. Der Grund: Seit 1852 regelt ein "Status quo" das oft schwierige Nebeneinander der christlichen Gemeinschaften in der Grabeskirche. Sein Prinzip: Der damalige Stand, die Besitzrechte und -pflichten sowie die räumliche und zeitliche Nutzung der verschiedenen Stätten und Gebäudeteile wurden eingefroren und dürfen nicht verändert werden. Insbesondere die Griechen drängten auf Einhaltung, in der Befürchtung, jede Änderung - auch eine Renovierung - könnte eine Seite zugunsten einer anderen bevorteilen und die Kräfteverhältnisse verschieben.
Sperre durch die israelische Polizei
Ob das Restaurierungsabkommen tatsächlich ein Wunder war - wie der griechische Patriarch Theofilos meinte - oder nur ein der Not gehorchender Pragmatismus, sei dahingestellt. Sicher traf es sich gut, dass die jetzt zuständigen Kirchenleiter flexibler und offener sind als ihre Vorgänger. Allerdings reagierten auch sie letztlich auf äußeren Druck: Am 17. Februar 2015 erschien unangemeldet die israelische Polizei in der Grabeskirche und sperrte die Grabkapelle für Kleriker und Pilger. Begründung: Gefahr wegen instabiler Strukturen. Nach Protesten der sofort herbeigeeilten Kirchenoberen wurde die Sperre nach vier Stunden wieder aufgehoben. Aber hinter verschlossenen Türen begannen Sondierungen und Absprachen - die 13 Monate später zu dem Bauprojekt führten.
Das griechischen Team unter Leitung von Antonia Moropoulou von der Technischen Universität Athen behebt nicht nur vorhandene Schäden. Ihnen bietet sich auch die einmalige Chance zur Erforschung der Grabkapelle mit ihrer spannenden Geschichte. Denn seit Kaiser Konstantin an der von der Ortskirche tradierten Stelle des Grabes Christi eine Basilika errichtete, ist das Gotteshaus samt dem Grabmonument mehrfach zerstört und wieder aufgebaut worden. Dabei wurden über dem Heiligen Grab offenbar immer neue Schichten angelegt, nach dem Zwiebel-Prinzip wurden neue Platten über Bestehendes gelegt, wie die jetzigen Arbeiten deutlich machten. Eine große Überraschung erlebten die Restauratoren, als in diesen Tagen unter den Platten auf der Südseite der gewachsene Fels zutage trat. Offenbar der Fels, den Konstantin stehen ließ, als er sein erstes Monument über dem vermeintlichen Grab des Josef von Arimathea aufführte. Bislang war vermutet worden, bei der schlimmen Zerstörung im Jahre 1009 habe Kalif al-Hakim das Heilige Grab dem Erdboden gleichgemacht.
Nach der geltenden Vereinbarung muss dieses mögliche Originalteil des antiken Grabes wieder unter Marmorplatten verschwinden, um die Rotunde im bisherigen osmanischen Barock wiederherzustellen. Vielleicht aber modifizieren die drei Kirchenführer doch noch einmal ihren Plan und lassen diesen Teil sichtbar - hinter Glas. Das wäre in der Tat ein weiteres Wunder.